Wenn Neil Young auf Heinz Rudolf Kunze trifft: Archiv-Interview
Heinz Rudolf Kunze trifft Neil Young: Zum 80. Geburtstag von Young haben wir dieses Gespräch aus ME-Dezemberheft 1992 wieder hervorgeholt. Ein Deep Talk über Musik, Instinkt und Haltung.
HRK: „From Hank To Hendrix“ – ist das ein Schlüsselsong für „Harvest Moon“ und vielleicht sogar für Ihre gesamte Arbeit?
Young: Es scheint so; zumindest ist das ein Song, auf den mich alle ansprechen.
HRK: Wer ist mit Hank gemeint? Hank Marvin?
Young: Nein, Hank Williams.
HRK: Ich hatte gelesen, Hank Marvin hätte Sie ganz am Anfang stark beeinflusst.
Young: Oh ja, sehr. Der Titel würde auf diese Weise auch mehr Sinn machen, aber ich hab tatsächlich an Williams gedacht.
HRK: Wie, glauben Sie, wird die Schlacht zwischen „Gitarre“ und „TV“ ausgehen, von der Sie in „You And Me“ singen?
Young (lacht nachdenklich): Ah, that’s a good one. Ich hoffe, die Gitarre gewinnt. Ich bin nicht sicher. Ich rege mich ständig übers Fernsehen auf, ich will nicht davon belästigt werden. Irgendwann während der 70er habe ich angefangen, in meinem Wohnzimmer ganz leise in mich hinein zu singen oder Gitarre zu spielen, immer liefen irgendwo Musik oder Nachrichten, es war nicht zum Aushalten. Früher hatte ich überhaupt kein Fernsehen, aber die Kids, die Frau, wissen Sie …
HRK: Schwer vorstellbar. Ein Nordamerikaner ohne Fernsehen?
Young: Ich könnte jederzeit darauf verzichten. Kein Problem. Wenn ich was sehen will, gehe ich zu anderen Leuten. Wir haben gerade unser Haus umgebaut, jetzt ist kein Fernseher mehr im Wohnzimmer. Überall sonst stehen freilich welche … in diesem Zimmer aber soll man sich unterhalten. Manche Menschen betrachten den Fernseher als ihren Freund! Ich mochte Elvis’ Art, mit dem TV umzugehen. Er war darin sehr originell.
HRK: Nämlich?
Young: Er schoss auf Fernseher. Er hatte extra ein Gewehr dafür.
HRK: Na endlich — Ihre erste richtige Rock’n’Roll-Bemerkung!
Young: Yeah! (lacht) Regelmäßig zerschoss er seine Fernseher. Immer wenn er frustriert war oder ihm eine Sendung nicht passte.
HRK: In „Natural Beauty“ singen Sie von den Menschen, als hätten sie sich allesamt in „Cortez The Killer“ (Hauptwerk seiner 75er LP „Zuma“) verwandelt.
Young: Der Song wandert durch verschiedene Bereiche: Technologie, Geschichte, Konsumgesellschaft … und das alles geht in einem „stream of consciousness“ ineinander über. Vielleicht ist das das persönlichste Lied der Platte.
HRK: Nicht „Such A Woman“?
Young: Nein, weil sich das nur mit einer Sache beschäftigt, einer ganz bestimmten Frau, besser gesagt.
HRK: „Such A Woman“ erinnert mich stark an John Lennons intensivste Hymnen an seine Frau.
Young: Ja, da ist was dran. Der Gesang war first take. Überhaupt mag ich Songs eigentlich gar nicht singen, bevor ich sie tatsächlich aufnehme. Wenn ich einen Producer benutze, soll er sich darum kümmern, dass die Instrumente stimmen. Meine Vocals kriegt er nicht zu hören. Erst wenn das Band läuft. Warum sollte man seine Performance verschwenden? Die Essenz des Songs wäre verflogen, ohne dass man sie eingefangen hätte. Wenn die Sache auf Band ist, kann der Producer beurteilen, ob es gut ist, ohne dass man es ständig wiederholen muss. Ich gehe dann meistens weg und mache erst mal was anderes, damit ich meinen frischen Zugriff auf den Song nicht verliere.
HRK: Ich wusste doch, dass ich hier noch was lernen kann.
Young (lacht): Natürlich klappt’s nicht immer beim ersten Mal. Aber ich bemühe mich.
HRK: In „Natural Beauty“ singen Sie: „A natural beauty should be preserved like a monument.“ In Ihrer Kampagne gegen das CD-Zeitalter definieren Sie den Klang als solche „natural beauty“, die es zu schätzen gilt. Was genau sind Ihre Vorbehalte gegen die CD-Ideologie?
Young: Eine Gegenfrage, und das ist gleichzeitig die Antwort: Wann hat, nach allgemeiner Meinung der meisten Leute, die seit den 60er Jahren Musik hören, die Rockmusik ihre Vitalität und Schärfe verloren? 1981, mit dem Aufkommen der CD. Die Musik hat weiterhin Schärfe, aber das Medium, auf dem sie transportiert wird, hat keine Tiefe mehr. Eine Verarmung der Sinne hat stattgefunden, ich empfinde es geradezu als grausame Körperverletzung. Clockwork Orange für die Ohren: Du musst hören, aber du kannst nur hören, was sie dich hören lassen. Die technischen Unzulänglichkeiten der guten alten LP hätte man verbessern können. Können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie früher vor den Boxen gesessen und Musik erlebt haben — einen Joint, einen Drink oder was auch immer dabei und dann: Musik? Machen Sie das noch so oft wie früher?

