Wenn Neil Young auf Heinz Rudolf Kunze trifft: Archiv-Interview

Heinz Rudolf Kunze trifft Neil Young: Zum 80. Geburtstag von Young haben wir dieses Gespräch aus ME-Dezemberheft 1992 wieder hervorgeholt. Ein Deep Talk über Musik, Instinkt und Haltung.

HRK: Nein, das muss ich zugeben. Aber vielleicht hat das auch was mit meinem Alter zu tun oder mit zu wenig Zeit.

Young: Nein, nein! Das dürfen Sie nicht glauben! Vergessen Sie das! Sie sind jetzt viel sensitiver als früher, weil Sie viel mehr Erfahrung haben. Das hat mit dem Alter nichts zu tun. Früher hörten Sie und ich fanatisch und intensiv Musik, heute nicht mehr, weil wir betrogen werden. Und Sie geben sich selbst die Schuld, weil die Propaganda Ihnen vorgaukelt, CDs hätten den bestmöglichen Sound. Vergleichen wir mal Sound mit Bild, einen 70mm-Film mit Video. Film zeigt Schönheit, Reichtum, Tiefe, Genauigkeit. Video dagegen besteht aus lauter gleichgemachten, angeglichenen Flächen — ohne Feinheiten. Oberflächlich sieht es gut aus, oberflächlich hört sich CD gut an, aber wir werden reingelegt. Alle Details werden wegplaniert. Wenn Sie eine Rolling-Stones-CD auflegen, hören Sie sicherlich „klarer“ und „mehr“ als vorher, aber gleichzeitig hören Sie in Wahrheit viel weniger, nämlich nur Oberfläche! Sie hören nicht mehr wirklich hinein in die Musik. Ein Himmel besteht aus Wolken, Vögeln, vielfältigen Schattierungen. Ein CD-Himmel besteht nur aus Blau.

HRK: Was also können wir tun — außer verbittert sein?

Young: Eine ganze Menge. Allerdings ist es zu spät, die Entwicklung rückgängig zu machen. Wir müssen warten und die Dark Ages, in denen wir uns befinden, durchstehen. Time Magazine hat kürzlich berichtet, dass ein neues Molekül entdeckt wurde, das in elektronischen Bauelementen eine wichtige Rolle spielt: Organische Qualität mit digitaler Kontrolle, das könnte der Beginn eines neuen Zeitalters sein. Vielleicht sind wir im Jahr 2005 oder 2010 so weit, dass Computer die Kapazität haben werden, zu fühlen und zu denken. Musik wird davon profitieren. Dann wird es eine Qualität der Wiedergabe geben, die selbst das alte Analogverfahren übertrifft. All die Musiker, die zwischen 1980 und 2010 arbeiten, haben Pech gehabt: Ihre Arbeit wird verlorengehen und umsonst gewesen sein.

HRK: In dem Stück „One Of These Days“ singen Sie, dass Sie allen wichtigen Menschen Ihres Lebens einen Brief — eine Art Bilanz — schreiben wollen — „and it won’t be long“ bis dahin. Das klingt ein wenig so, als spielten Sie irgendwie mit der Idee, sich zurückzuziehen.

Young: Nein. Ich glaube, ich werde nie dazu kommen, diesen Brief zu schreiben.