New Model Army: Wiederholungstäter


Seit nun beinahe zehn Jahren sind die Kreuzritter des englischen Untergrunds auf Weltverbesserungskurs. Warum sie sich im Zeitalter des geistigen Fast-Foods noch immer nicht den kollektiven Strick gegeben haben, erklärten Justin Sullivan und Gefolge ME/Sounds-Mitarbeiterin Martina Wimmer.

Es ist ein seltsames Gefühl: Wir haben als Post-Punk-Band im Aufbruch der 80er angefangen, und heute ist das große Ding im Indie-Bereich, Dance-Floor-Crossovers zu machen. Wir sind jetzt schon alte Schule.“ Justin Sullivan, der Star des späten Vormittags, erhebt die tragende Stimme, endlich. 20 Minuten betont lockeres Vorgeplänkel mit NMA-Mitbegründer und Drummer Robert Heaton und einem neuen dritten Mann am Baß (mit dem geheimnisvollen Namen Nelson) haben fast den Höhepunkt der Peinlichkeit erreicht, als Heaton – nicht ohne Sarkasmus – das Eintreten ihres Wortführers gewichtig kommentiert: „Mylady, zu ihrer Rechten begrüßen wir unseren Sänger, Justin Sullivan.“ Die Fronten sind klar: Hier sitzt der Mann, der seit acht Jahren und fünf Alben mit poetisch pathetischen Worten seine Wut und sein Weltbild ans treue Publikum bringt. Der Führer einer Armee, die für ihre laufende Deulschland-Tour mehrere hundert Dauerkarten verkauft, „weil die Fans, die uns von Gig zu Gig nachreisen, irgendwann zu viele wurden, um sie alle auf die Gästeliste zu setzen.“

Vor allem ihre englische Anhängerschaft folgt ihnen hingebungsvoll, ohne jemals von der englischen Fachpresse dazu den gehypten Segen zu erhalten. Vom Publikum geliebt, von den Kritikern ins musikalische Niemandsland der Bedeutungslosigkeit verbannt – vielleicht ist New Model Army die einzig wahre Band fürs Volk, vielleicht Justin Sullivan der letzte Prophet des Pop-Business, die Underdog-Ausgabe eines Bono Vox. der noch laut „Scheiße!“ schreit und nicht von der Erlösung säuselt.

Doch beim Wort Prophet läßt Sullivan seine Kaffeetasse geräuschvoll auf den Unterteller knallen und schickt ein gefährliches Augenfunkeln in die Runde: „Blödsinn, es gibt keinen Messias im Popgeschäft. Die Leute suchen immer nach der NMA-Philosophie, aber die gibt es nicht. Musik ist ohnehin kein gutes Medium, Standpunkte zu vermitteln. Musik ist viel zu gefühlsbetont. Manchmal liebst du die Well, manchmal haßt du sie, davon singen wir. Das ist kein Parteiprogramm und keine Religion, sondern Realität.“ Und triumphierend setzt er hinzu: „Genau aus diesem Grund heißt unser neues Album auch IMPURITY, wir sind keine unfehlbaren Ideologie-Ritter.“

IMPURITY ist das fünfte Album und vermittelt musikalisch eben das, was Sullivan, – weil er es eigentlich doch nicht lassen kann – im Gespräch als Stützen seiner Lebensphilosophie immer wieder zitiert: Ehrlichkeit und Kontinuität. Wenn Drummer Robert die Qualität der Band lakonisch mit der fehlenden musikalischen Perfektion ihrer Mitglieder und der daraus entstehenden Energie erklärt, hat er nicht Unrecht. NMA liefert keine Überraschungen, verläßt sich nach wie vor auf geraden Rock mit einem hohen Grad an Gefühl und einem Hauch von Drama. Es lohnt sich dabei immer noch, das Textblatt zur Hand zu nehmen, um Sullivans Alpträume mit einem heftigen Kopfnicken zu quittieren, oder mit ihm fatalistisch die Kaffeetasse zu heben, wenn er grinsend die inhaltliche Quersumme des neuen Albums zieht: „Humanity sucks!“

Und wo bleibt die Hoffnung an diesem trüben Regentag im neuen Deutschland? „Die Geschichte bewegt sich in Wellen. Wenn jetzt alles den Bach runter geht, heißt das nur, daß sich die Welt auf eine neue Periode vorbereitet. Bald gibt’s einen großen Knall, und dann werden die Karlen neu gemischt. Wir müssen nur noch warten, aber das sind die Leute im 20. Jahrhundert einfach nicht mehr gewöhnt, sie wollen Fast Food und Nachrichten rund um die Uhr. Wenn sich die Menschheit mehr mit der Geschichte auseinandersetzen würde, dann wäre ihr sehr bald klar, daß Umbrüche nicht einfach von heute auf morgen passieren.“

Und wie überbrücken wir die Zeit? „Leben. Irgendwann muß ledern klar werden, daß es sich nicht lohnt, jeden Tag zu kämpfen, um sich am Ende den .großen Traum‘ zu erfüllen. Keiner wird belohnt für das, was er hier tut, niemand bekommt Medaillen, und nur Geld ausgeben macht auf die Dauer auch keinen Spaß. Seine Befriedigung muß sich jeder selber suchen. Wir machen Musik, das hält uns noch eine Weile bei der Stange.“