Seit Jahren kämpft Justin Sullivan mit seiner New Model Army gegen das Böse in der Welt. Und ans Aufgeben denkt er noch lange nicht.


Eurer neues Album „Strange Brotherhood“ klingt nicht sehr innovativ…

Wir sind altmodische Säcke, die irgendwann ihren eigenen Stil gefunden haben. Vielleicht liegt es daran, daß wir auf völlig unterschiedliche musikalische Stilrichtungen stehen. Ich etwa kann mit Rockmusik nicht mehr viel anfangen, ich höre seit Jahren nur noch HipHop. Die anderen stehen auf Klassik oder Hardcore. Wenn wir dann zusammenkommen, machen wir das, was wir machen müssen – ein New Model Army-Album. Wir lieben diese Band so sehr, daß wir zu nichts anderem in der Lage sind. Denn ehe wir uns über persönliche musikalische Vorlieben streiten, tun wir das, wovon wir wissen, daß es funktioniert.

Das verstehe ich nicht – glaubt ihr, eure Fans sind zu altmodisch, als daß sie euch HipHop- oder andere Einflüsse in euren Songs durchgehen lassen würden?

Das ist nicht der Punkt. Bis zum Januar dieses Jahres, bevor wir also der Platte den endgültigen Schliff gaben, hatten wir überhaupt keine Ahnung, wie sie im Gesamtbild klingen sollte. Und dann hörten wir sie zusammen an einem Stück durch und dachten: „Scheiße, das ist ja wieder eine typische New Model Army-Platte!“

Angeblich habt ihr die Band 1993 aufgelöst. Vorher hast du mir erzählt, daß einige der Songs auf „Strange Brotherhood“ aus den letzten vier Jahren stammen. Wie ist das denn möglich?

Ach Gott, wir haben die Band immer mal wieder aufgelöst. 1993 ein Zeitpunkt dafür, 1996 ein anderer. Nur weiß das kaum ein Fan. Zwischendrin steckten wir immer wieder zusammen, um Musik zu machen. An „Strange Brotherhood“ haben wir schon zu Beginn der 90er Jahre gearbeitet. Aber das war keine sehr fruchtbare Phase für uns. Dann spielten wir beim „Bizarre“-Festival 1996. Wir hatten die Gruppe zwar kurz zuvor aufgelöst, doch wir gaben einige der neuen Songs zum besten und dachten: „Scheiße, diese Lieder sind wirklich gut. Warum zum Teufel haben wir die Gruppe aufgelöst, wenn wir ein tolles neues Album machen könnten?“ So ging das hin und her, bis uns klar wurde, daß die New Model Army wieder ins Leben gerufen werden mußte. Aber ist so etwas wichtig? Die Welt ändert sich ständig, die Umstände ändern sich -da werden wir doch auch das Recht haben, unsere Meinung über diese mickrige kleine Truppe ständig zu ändern, oder nicht? Im Moment gibt es die New Model Army, das ist entscheidend.

Trotzdem scheint ihr in den letzten Jahren gewisse Metamorphosen durchgemacht zu haben. Inwieweit haben diese Prozesse sich bemerkbar gemacht?

Ich denke, dieses Album ist rein textlich viel persönlicher als alles, was wir bislang fabriziert haben. Jeder Textschreiber – und somit auch ich -, der einst über die Probleme in der großen weiten Welt seinen Unmut kundgetan hat, wird nach und nach sein Hauptaugenmerk auf die kleine private Welt richten. Das liegt nicht daran, daß ich nicht mehr an den Problemen auf diesem Planeten interessiert wäre. Vielleicht bin ich das sogar mehr denn je. Ich habe nur keine Lust, ständig mehr oder weniger dasselbe zu sagen, nur mit anderen Worten.

Bedeutet das, daß du vor den Zuständen in der modernen Welt kapituliert hast und jetzt statt dessen eine melancholische Nabelschau betreibst?

Nein, nein, die Revolution geht weiter. Was immer das zu bedeuten hat. Die moderne Welt ist unübersichtlicher denn je, und sie arbeitet mit Lügen, Images und Intrigen, die zuvor nicht erkennbar waren. Das kapitalistische System spielt seine letzten Tricks aus, um sich am Leben zu erhalten – und diese Tricks sind fieser und blendender als alles, was es zuvor gegeben hat. Auf der Welt gibt es hunderte Millionen von Arbeitslosen. Doch sie wehren sich nicht, weil sie mittels Medienpropaganda ruhiggehalten werden. Viele Leute sind ohnmächtig, weil alles an diesem System so schön bunt aussieht, so herrlich falsch glitzert. Und bei einem solchen Anblick erstirbt jede Kritik auf der Stelle.