Nicky Wire über Crossdressing


Nicky Wire ist nicht nur Bassist und Hauptsongwriter der Manic Street Preachers, sondern auch Liebling der britischen Boulevardpresse. Sei es wegen seiner großkotzigen Verbalattacken gegen allerlei Musikprominenz oder seiner auffälligen Auftritte in Frauenkleidern. Dabei hat der 41-Jährige eine ähnlich unfeminine Statur wie Antony Hegarty - mindestens.

Herr Wire, Sie bezeichnen sich als den Peter Mandelson des Rock’n’Roll. Wie meinen Sie das?

Nun, Peter war der Chefstratege von New Labour – unter Blair und Brown. Es ist sein Verdienst, dass die Partei in den Neunzigern eine Renaissance erlebte und einen triumphalen Sieg bei den Parlamentswahlen erlangt hat. Aber das hat ihm niemand gedankt. Man hat ihn sogar vergrault. Jetzt sitzt er im House Of Lords – und New Labour ist abgewählt.

Werden die Manics als letzte Überlebende des Britpop nicht gewürdigt?

Das würde ich so unterschreiben. Wir sind eine der letzten Bands, die die Fahne der Gitarren-Musik hochhalten. Wer tut das sonst noch? Das einzige, was ich da draußen sehe, ist ein stinkender Haufen Indie-Scheiße, der keine Beziehung zu nichts und niemandem hat. Der so ultracool ist, dass sich niemand damit identifizieren kann, dass es keine Szene und keine Bewegung mehr gibt. Jeder ist so verdammt idealistisch, so anti-alles, dass er das Wichtigste übersieht: Nämlich gute Musik zu machen. Und natürlich die richtigen Klamotten zu tragen.

Eine Sache, die Ihnen immer sehr wichtig war?

Ich liebe Klamotten. Das einzig Positive an dieser Generation ist, dass die Mode viel besser geworden ist als in unserer Jugend. Damals war es wirklich schwer, gute Sachen zu finden. Manchmal wünsche mir, ich wäre später geboren, einfach damit ich jung und dünn wäre, um die Klamotten ausprobieren zu können.

Wobei Sie unter Klamotten auch Kleider verstehen?

Oh ja – natürlich.

Was mögen Sie an Frauenkleidern?

Sie sind bequem – und natürlich auch ein Statement. Eine Verweigerung gegenüber den antiquierten Konventionen des Establishments, dass Männer Hosen tragen und Frauen Röcke oder Kleider. Es ist ein Protest gegen überholte Regeln. Sie sind nur dazu da, um gebrochen zu werden. Und es ist immer wieder lustig, wie sich andere darüber aufregen.

Wie sind Sie auf die Kleider gekommen? Durch den Grunge?

Nein, schon viel früher. Ich bin allein bei meiner Mutter aufgewachsen. Und wenn sie nicht da war, habe ich mit ihren Kleidern und ihrem Schmuck gespielt. Sie fand das lustig und hat diese Ader nie unterdrückt. Ich bin auch mal im Kleid zur Schule oder in den Pub, was in einem kleinen Dorf in Wales natürlich für Aufregung gesorgt hat – und auch sollte.

Haben Sie nie Ärger gehabt?

Das habe ich immer verhindern können. Wahrscheinlich, weil ich mit meinen 1,90 Meter und mit Absätzen eine durchaus imposante Erscheinung abgab. Außerdem war ich in der Schule der Kapitän des Fußball- und Cricketteams. Das scheint mich vor einer Tracht Prügel bewahrt zu haben. Mein Spitzname war Shirley, wie Shirley Temple. Aber das ist nichts, was mich traumatisiert hätte.

Wie haben die Mädchen reagiert?

Sie fanden es witzig – und hielten mich für einen durchgeknallten Typen, der halt Musik macht und Kleider trägt. Genau wie die New York Dolls, auf die ich mich immer bezogen habe. Oder die Stones, die auch mit Crossdressing zu provozieren versuchten. Als dann der Grunge aufkam, konnte ich sagen, dass ich Vorreiter war und Kurt Cobain wohl Fotos und Videos von mir gesehen haben musste (lacht).

Mit Cobain sind Sie beim Reading Festival 1992 aufgetreten. Sie trugen Federboa und Paillettenanzug.

Was für ein brillanter Auftritt, was für ein Outfit! Die Jacke sah aus, als ob Michael Monroe von Hanoi Rocks sie persönlich designt hätte – eben in pink. Ich habe das Teil erst vor ein paar Tagen aus dem Schrank geholt. Aber es war so verflucht eng. Meine Tochter ist erstarrt – so peinlich berührt war sie. Sie meinte: „Das meinst du nicht ernst. So seid ihr auf die Bühne gegangen, und man hat euch nicht gesteinigt?“ Die heutige Jugend ist viel konservativer als zu meiner Zeit. Eine Schande.

Nicholas Allen Jones, 1969 im walisischen Blackwood geboren, ist nie um ein provokantes Statement verlegen. Er bezeichnete Jonny Greenwood von Radiohead als „cunt“, und Michael Stipe von R.E.M. wünschte er nach einer hitzigen Debatte dasselbe Schicksal wie Freddie Mercury. Bei den Manic Street Preachers, denen er seit 24 Jahren und zehn Alben vorsteht, gilt er als der große Showman, der seine Bässe zerlegt und mit Federboa, Make-up und Frauenkleidern auftritt. Im Privatleben ist er zweifacher Vater, lebt gutbürgerlich in Newport, gilt als talentierter Maler und sammelt Zeitschriften, Schallplatten, Bücher und moderne Kunst.