Nine Below Zero – Auf Suche nach der eigenen Identität


Die vier Londoner liegen mit ihrem Rhythm & Blues überhaupt nicht im Trend, doch sie spielen ungeheuer intensiv, schnell und mit tollem Feeling. War ihre erste LP, ein Live-Mitschnitt, noch voll von Cover-Versionen, sind auf DON'T POINT YOUR FINGER schon neun eigene Kompositionen zu finden.

Überliefert ist die Geschichte von Stan’s Blues Band, die Gitarrist Dennis Greaves und Bassist Pete Clark einst im heimischen Londoner Osten ins Leben riefen und mit der sie in wechselnden Besetzungen slow bluesten. Bis eines Tages (Gott sei ihm gnädig!) ein Mensch die Kurbel an das musikalische Gefährt ansetzte, es langsam aber sicher beschleunigte und auf Touren brachte, bis der Fuß den Rhythmus innerhalb des gleichen Zeittaktes erst zwei-, dann dreimal wippen ließ. Aus dem Slow Blues wurde Rhythm & Blues, aus Stan’s Blues Band Nine Below Zero (nach einem Muddy Waters Song) und aus dem langsamen Vehikel ein hochgezüchteter Rennwagen, mit einem robusten und für Ausfälle indes kaum anfälligen Motor. Die vier Menschenstärken, die ihn – den Renner – seitdem fast ohne Pause von einem Rundkurs zum anderen, sprich von einer Bühne zur nächsten vorantreiben, heißen Dennis Greaves (Gitarre/Gesang), Peter Clark (Bass), Mark Feltham (Mundharmonika/Gesang) und „Sox“ Burkey (Schlagzeug) – eine eingeschworene Bande mehr oder minder breit Cockney-näselnder East Ender, die uns auf dem Plattencover ihrer jüngsten, der zweiten LP DON’T POINT YOUR FINGER nicht ganz grün als Dunkelmänner aus dem Blauen eines Spiralnebels maffiosilike entgegentreten. Breitschultrig lassen sie keinen Zweifel daran, daß in ihren Gitarrenkoffern scharfes Schußgerät steht.

Derart gut gerüstet, können NBZ in den Kampf ziehen, der auch ihnen nicht erspart bleibt. Denn auch wenn sie als junge R & B-Band zurZeit fast konkurrenzlos dastehen und sich mit dieser Musik eine traditionelle, zudem gesunde Basis für ihre Arbeit ausgesucht haben, so ist es bekanntlich eine Stilform, die hochoffiziell nicht im Trend liegt. Der Eskapismus blüht speziell in England in seinen vielfältigsten Formen, ob ungesund als Heavy Metal, (auf Dauer) langweilig a la Visage oder erfrischend wie von Adam & The Ants.

Zunächst bemühten sich die Musiker um ein für sie günstigeres Verhältnis zwischen Eigen-und Fremdkompositionen, die sich nun, beide Platten zusammengenommen, in etwa die Waage halten. War das Verhältnis auf dem Debüt-Live-Album noch 11:3 zugunsten der Coverversionen ausgefallen, so haben sich Dennis, „Sox“ und Manager Mickey vor den Aufnahmen zu DONT POINT… am Riemen gerissen, und das Verhältnis tantiernenbringender auf 9:3 umgepolt.

Gemäß der rauchigen Kneipen-Atmosphäre ihrer Musik, sind Nine Below Zero natürlich am besten, je kleiner und intimer die Auftrittsorte sind. Schon auf dem Reading Festival, dem vielzitierten Tummelplatz einer Headbanger-Nation auf Zeit, waren sie musikalisch immerhin der einzige Lichtblick trotz Open Air und Sonnenschein. Auf der KinksTournee in den Hallen der mittleren Kategorie heizten sie dann schon die Stimmung für die Gebrüder Davies in den nüchternen Betonkästen auf (geschätzte) 30° C above zero und als Programmpunkt der einwöchigen Feiern zum 10. Jahrestag des Sinkkasten-Clubs in Frankfurt verwandelten NBZ den Laden in eine Sauna und das Publikum in eine wogende, tanzende, schwitzende Masse. „Hey, wir haben euch Rhythm & Blues mitgebracht, klingeln auch hin und wieder mal am Rock’n’Roll und spielen ein wenig Boogie!“, kündigt Dennis an, bevor die Band gleich massiv einsteigt: „Don’t Point Your Finger At The Guitar Man“. – Ihr könnt euch hinsetzen und ruhig zuhören. Oder vorkommen und tanzen. It’s up to you“ Die Fotografen (Hallo Ed!) haben von nun an schweren Stand; Nine Below Zero dagegen ein leichtes Spiel. In ca. 70 Minuten packen sie 18 Titel, es geht Schlag auf Schlag. Ohne große Worte. Musik total. Bei „Homework“ (an dritter Position) singt das deutsche Fanvolk schon mit, ganz wie die englischen Kollegen, eindrucksvoll dokumentiert auf LIVE AT THE MARQUEE. Es folgen all die Standards, die man von NBZ kennt und erwartet: „Ridin‘ On The L&N“ mit seinem verschleppten Mundharmonika-Intro, der Slow Blues „I Can’t Quit You Babe“ mit Mark Feltham’s eindrucksvollem Wechsel zwischen akustisch-weichen und verstärkten, härteren Power-Play mit der Bluesharp und Dennis‘ aggressive Soloausbrüche auf der Gitarre, dann das instrumentale „Swing Job“ u.v.a.m!

Und Dennis, Pete, Mark und „Sox“ (der seinen Namen von „Stix“ in „Sox“ verändert hat, um möglichen peinlichen Verwechslungen mit einer Band gleichen Namens auf dem gemeinsamen A & M-Label aus dem Weg zu gehen) machen reichlich Gebrauch davon, das neue, eigene Material unters Volk zu bringen.

Neben den bereits angekündigten Boogie-Klängen (so in „Don’t Point…“), bei denen sie als Quartett sogar der Gitarrenarmee von Molly Hatchet furchtlos gegenübertreten können, haben sich in „Helen“ und speziell in „You Can‘ t Please All The People All The Time“ (ein echter Ohrwurm!) gar Pop-Klänge eingeschlichen, die Nine Below Zeros langsamen, aber stetigen Versuch dokumentieren, aus dem starren 12-Takt-Schema des R & B auszubrechen. „Wir mußten einfach einen Schritt vorwärts gehen“, erklärt Dennis die gegenwärtige Situation der Band. Zudem müssen sie, wollen sie als Band überleben, ohne am Hungertuch zu nagen, für ein größeres, breiteres Publikum interessant werden.

Glyn Jones, einer der bekanntesten Bluesproduzenten der Insel, nahm sich Nine Below Zero nach einigem Hin- und Her an. „Glyn sah uns bei einem Gig“, erinnert sich Dennis, „und wollte uns zunächst gar nicht produzieren, weil wir nichts Neues zu bieten hatten, zu viele Coverversionen spielten. Später kam er nochmals in unseren Probenraum, hörte unser neues Material und sagte zu.“ Im Studio, bei den Aufnahmen zu DON’T POINT YOUR FINGER, feuerte er sogar noch ein paar seiner bewährten Rock’n’Roll-Ideen hinein.

Das Schreiben eigener Songs war eine gute Erfahrung, wenn auch eine sehr harte.

Wie liefen denn die ersten, ernsthaften Versuche in diese Richtung? „Es war einfach furchtbar!“, bekennt der Sänger. „Und es ist immer noch schlimm. Wir sind noch am Lernen, noch immer nicht ganz so glücklich mit dem eigenen Zeug. Jedenfalls ist es verdammt noch nicht so gut wie die alten Nummern. Ja, es gibt viel, viel zu lernen, um ehrlich zu sein. Es kann echt gut werden. Und wir finden unsere eigene Identität“, ist Dennis zuversichtlich.

Auch die Arbeit im Studio bedeutete Neuland für Nine Below Zero. Außer zu den Aufnahmen der ersten Single „Homework“ hatten die Jungs bis dahin noch keinen Fuß in solch sterile Räumlichkeiten gesetzt. „Wir waren total unerfahren, aber Glynn hat uns den richtigen Weg gezeigt“, freut sich die Band, auch im Studio eine Atmosphäre geschaffen zu haben, die annähernd soviel Spaß und Gefühl vermittelt wie die bei ihren Live-Gigs. Die Routine aus annähernd 200 Club-Auftritten und die Erfahrungen auf den gemeinsamen Tourneen mit den Kinks und den Who haben die Gruppe ein ganzes Stück weitergebracht. Die Reaktionen auf ihre erste Studio-LP in ihrem Heimatland lassen Hoffnung keimen. Innerhalb von drei Monaten sind schon genauso viele Exemplare abgesetzt wie vom Live-Album insgesamt. Die Reaktionen in Holland und in Frankreich sind ähnlich gut. An Schweden und Norwegen haben die Musiker die besten Erinnerungen. „Die haben noch einen echten Heißhunger auf Rock’n’Roll“, vergleicht „Sox“ die Situation im hohen Norden mit der in Deutschland. „Hier, bei euch, ist einfach zuviel los“, spricht er ihren Gig in Berlin an, wo am selben Abend Bruce Springsteen auf den Brettern stand. Und dennoch können sich NBZ nicht beklagen, was die Zuschauerresonanz in der BRD betrifft. Wie auch Dr. Feelgood und die Blues Band haben sie viele Freunde hierzulande gewonnen. Und den Durchbruch, nach einem Luftsprung mit unsanfter Landung durch die Bühnenbretter der Hamburger Fabrik von Dennis Greaves allzu wörtlich demonstriert, haben Nine Below Zero im bescheidenem Rahmen auch in Deutschland schon geschafft.