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Gitarren zum Preis eines Mittelklassewagens: Längst sind angejahrte Sechssaiter Objekt obskurer Sammlerbegierden. Und erzielen Wertsteigerungen, von denen Anlageberater und Aktionäre nur träumen können

„Ein guter Jahrgang“, schwärmt Gitarrenfachmann George Gruhn, „wer sich damals eine zugelegt hat, kann sich über einen Wertzuwachs von rund sechstausend Prozent freuen.“ Leicht gesagt, aber wer hat sich schon damals, im Jahr 1958, eine Gibson ‚Flying V‘ gegönnt? Im Zeitalter dickbauchiger Jazzgitarren und rundlicher Solidbodies empfand man die laut Gibson „moderne“ Pfeilform als wenig ansprechend – die ‚Flying V‘ entwickelte sich ebenso wie ihr zackiges Schwestermodell ‚Explorer‘ zum klassischen Ladenhüter. Gibson reagierte, und stellte die Produktion der futuristischen Bretter 1959 vorläufig ein: Nur 98 ‚Flying V‘ und 22 ‚Explorer‘ hatten die Werkshallen in Kalamazoo verlassen. Worüber sich Jahre später vornehmlich einschlägige Auktionshäuser freuen: besagte Originalmodelle erzielen bei Versteigerungen absolute Höchstpreise, je nach Zustand werden bis zu 40.000 Mark bezahlt. Zum schnöden Musizieren sind solche Raritäten natürlich viel zu schade, und so mancher Sammler hat ohnehin seine Mühe, einen E-Dur-Akkord zu greifen: Man hat es zu was gebracht und erfüllt sich seinen Jugendtraum vom Rock’n’Roll. Die edlen Stücke verschwinden dann allzu oft in den vollklimatisierten Tresoren japanischer Yuppies. Hauptsache, man besitzt ein Stück vom Mythos des goldenen Rock-Zeitalters, der eigentliche Gebrauchswert des Instruments ist zweitrangig.

Und steht darüberhinaus in keinem Verhältnis zum Preis: daß 35 Jahre alte Gitarren grundsätzlich besser klingen als ihre neuen Pendants, ist ein unhaltbares Vorurteil. Es ist doch nur logisch, daß auch in der „guten alten Zeit“ bisweilen gepfuscht wurde: „Montagsgitarren“ gab es in jedem Jahrzehnt.

Die hartgesottenen Sammler stört das wenig: Man bezahlt für eine Gibson ‚Les Paul Standard‘ aus den Jahren 1958 bis i960 gut und gerne zwanzig- bis vierzigtausend Mark, frühere und spätere Modelle dagegen erzielen nur einen Bruchteil dieser Summe. Der Grund: Die zweiteilige Decke aus geflammtem Ahorn in gelb-roter „Cherry Sunburst“-Lackierung gilt als ungemein schön, außerdem verwendete Gibson erstmals den mittlerweile mythenumrankten „PAF“-Tonabnehmer. Letzterer – „PAF“ steht für „Patent Applied For“ – klingt angeblich nur so richtig gut, wenn er auf der Unterseite ein viereckiges Loch aufweist und mit dem originalen dunkelbraunen Kabel angeschlossen wird. Originale „PAFs“ werden mittlerweile für mehrere tausend Mark gehandelt – snobistischer geht’s einfach nicht mehr.

Sektierer halten eben gerne an ihren Glaubensbekenntnissen fest. Dazu gehört auch, für eine Fender Stratocaster, die vor dem 4.Januar 1965 gebaut wurde, wahre Unsummen hinzublättern. Die nachfolgenden Modelle sind zwar auch keine Sonderangebote, gelten aber in eingefleischten Sammlerzirkeln als ein wenig unfein. Und das alles nur, weil Fender Anfang 1965 in den Besitz des CBS-Konzerns überging, die Kopfplatte der Strat größer wurde und einen neuen, dickeren Schriftzug verpaßt bekam.

Aber natürlich sieht nicht jeder Sammler nur den materiellen Wert seiner „Investition“, auch Ästethik, Klang, Innovationscharakter und vor allem die Assoziation zu einem bestimmten Musiker wecken wüste Kaufgelüste. Naturfarbene Epiphone ‚Casinos‘ sind beispielsweise teurer als andere vergleichbare Epiphone-Modelle, und das nur, weil John Lennon eine spielte. Weinrote Gibson SGs von 1961 sind seit Angus Young en vogue, 12saitige Rickenbackers bereiten Byrds-Fans schlaflose Nächte, Rockabilly-Freaks schwören auf eine orangerote Gretsch ‚Tennessean‘ und mit einer weißen 68er-Stratocaster wähnt man sich dem Geist von James Marshall Hendrix ganz nah.

Kuriositäten und schräge Designs erfreuen sich natürlich ganz besonderer Beliebtheit. Rund 20.000 Mark muß man für eine Vox ‚Guitar Organ‘ berappen, die der englische Hersteller ab 1966 mit mäßigem Erfolg produzierte: Drückt man eine Saite auf den Bund, erklingt via Kontaktschluß ein veränderbarer Orgelton – ein Konzept, das sich offenkundig nicht durchsetzen konnte. Auch mit ihren exotischen Formen hatten die Briten damals wenig Glück, doch mittlerweile gelten die eiförmige Vox ‚Spitfire‘, die sarg-ähnliche ‚Phantom‘ und die rare E-Mandoline ‚Mando-Guitar‘ als Kult-Relikte aus den Swinging Sixties. Deutsche Hersteller – in den Sechzigern noch dick im Geschäft – fristen auf dem heutigen Antikmarkt nur ein Schattendasein. Einzig Höfners geigenförmiger ‚Beatles-Baß‘ genießt weltweites Ansehen, weshalb sich die fränkische Firma kürzlich zu einer Neuauflage entschloß. Derlei „Re-Issues“, die auch von Fender, Gibson oder Rickenbacker zu haben sind, lassen sammelnde Originalitätsfetischisten natürlich kalt. Man bleibt gerne unter sich, was dank begrenzter Verfügbarkeit der Originale auch nicht schwer ist. Jene 55er-Gibson ‚Gold Top‘, die ein Hamburger Gitarrenladen kürzlich feilbot, bleibt eben die absolute Ausnahme: Das Gerät wurde nur kurz von einem Anfänger gespielt, der dann offenbar die Lust verlor. Seitdem schlummert die güldene Schönheit in ihrem Koffer. Gegen ein „fünfstelliges Gebot“ darf man das Dornröschen wachküssen.

Manchmal geht es auch billiger. So meldete sich ein Bekannter auf die von wenig Sachkenntnis zeugende Kleinanzeige „Verkaufe Elektrik-Schlaggitarre“, die von einer Vermieterin stammte, die den Besitz eines säumigen und längst verschwundenen Mieters veräußerte. Zu seiner Überraschung handelte es sich um eine schrecklich seltene 66er-Gibson ES335 in zwölfsaitiger Ausführung, gebettet in ihrem samtausgeschlagenen Originalkoffer. Den geforderten Preis von 250 Mark zahlte er ohne Murren.