Paul Westerberg


Manchmal geht es mir wie Majestix, dem Häuptling des berühmten, kleinen Dorfes an der französischen Kanalküste: Ich fühle mich unglaublich müde. Zum Beispiel an diesem New Yorker Sommerabend gegen halb zehn, Paul Westerbergs Auftritt steht bevor: Nach dem üblichen „One, Two, One, Two“-Test-Brimborium der Roadies betritt ein Schwarzer die Bühne, der so fett ist, daß beim Gehen seine Arme schwingende Bewegungen um das herum machen, was früher einmal seine Hüfte gewesen sein muß. Kurz: Da schwimmt eine Boje. Die eingangs erwähnte Müdigkeit überfällt mich heftig, als dieser Mann, den ich für einen Roadie halte, hinter dem Schlagzeug Platz nimmt und, neben drei Weißen, die inzwischen erschienen sind, Anstalten macht zu spielen: Nein, bitte nicht! Und der kleine Schwarzhaarige da, mit dem weißen Rüschenhemd über der Gitarre, das muß Paul Westerberg sein! Ausgelöst durch den Anblick des roten Plüschvorhangs im Hintergrund überfällt mich nicht nur erneut die Müdigkeit, sondern gewinne ich auch den Eindruck, in einem abgeschmackten Club in Las Vegas einer drittklassigen Kapelle, die die hundertste Coverversion von ‚Brown Sugar‘ schrubbt, beiwohnen zu müssen. Doch dann beginnen Westerberg, Drummer Michael Bland, Gitarrist Tommy Keene und Bassist Ken Chastain zu spielen und alle Müdigkeit ist auf der Stelle verflogen. Los geht’s mit einer knackigen Version von ‚These Are the Days‘, gefolgt von einer rotzigen ‚World Class Fad‘-Interpretation. Das Publikum jubelt — und als Westerberg schließlich ab der Mitte des Konzerts alte Replacements-Nummern anstimmt, gibt es in der (zweimal hintereinander) ausverkauften Irving Plaza kein Halten mehr. Bandleader und Kapelle laufen zur Höchstform auf. Westerberg greift tief in die Repertoirekiste -— Klassiker wie ‚I.O.U.‘, ‚Alex Chilton‘ und ‚Skyway‘. Schon lange nicht mehr habe ich eine so spielfreudige und stilsichere Band gehört. Paul Westerberg ist ein hervorragender Songschreiber. Mir gefallen die kleinen Geschichten, von denen seine Songs erzählen, und der augenzwinkernde Humor (oder die Melancholie, je nachdem), die in ihnen steckt.