Quincy Jones


ME/SOUNDS: Nach acht Jahren Wartezeit hast du mal wieder eine eigene LP vorgelegt. Was hat so lang gedauert?

QUINCY: „Ursprünglich wollte ich mich schon 1981 ums nächste Soloalbum kümmern, aber dann kamen George Benson, Donna Summer, THRILLER, E. T., James Ingram, Patti Austin, ,We Are The World‘ ,The Color Purple‘ und Michael Jacksons BAD dazwischen.

1985 hatte ich einen Fehlstart. Ich hatte vor der Produktion von ,The Color Purple‘ vier Songs aufgenommen, mußte dann aber aufhören, weil die Arbeit am Film einfach zu umfangreich wurde und ihr Eigenleben entwickelte. Nach ,Color Purple‘ und BAD hörte ich mir die vielen Songs noch einmal an – und behielt als einzigen ,The Places You Find Love‘. Im vergangenen Jahr habe ich es mir dann endgültig überlegt, woraufhin ich alle anderen Jobs ablehnte und mich ausschließlich meinem eigenen Projekt widmete. Das war mir rein gefühlsmäßig ein Bedürfnis; denn egal, wie gut dein Verhältnis zu einem anderen Künstler ist, mußt du immer noch fragen, was er von deiner Arbeit als Produzent hält. Ich wollte einfach endlich mal eine Platte aufnehmen, bei der ich niemanden nach seiner Meinung fragen mußte.“

ME/SOUNDS: Ich nehme an, daß du in den acht Jahren genug Zeit gehabt hast, um dir ein Konzept für deine LP auszudenken.

QUINCY: „Mir haben mehrere verschiedene Dinge vorgeschwebt. Zum einen wollte ich in einer Ära, in der wir von Synthesizern überschwemmt werden, mit ,Wee B. Dooinit‘ einen Song ohne jedes Instrument aufnehmen, nur mit Sängern! Und ich bin froh, daß ich es mir nicht ausreden ließ. Wenn man ein solch ambitioniertes Projekt kurz vor dem allerletzten Abgabetermin des Masterbandes in Angriff nimmt, schreckt man normalerweise leicht wieder von den damit verbundenen Anstrengungen zurück – zum Beispiel Ella Fitzgerald in letzter Minute aufzutreiben.“

ME/SOUNDS: Die Ballade „Secret Garden“ scheint für dich auch ein spezielles Anliegen gewesen zu sein…

QUINCY: „Dahinter steckte die Idee, an vier verschiedenen Männertypen alle Eigenschaften darzustellen, die die meisten Frauen gern in einem einzigen Mann vereinigt sehen würden. In dem Titel stecken viele verschiedene Stimmungen – vom exotischen, erotischen, animalischen Mann bis hin zur Vaterfigur; vom sensiblen, poetischen Typen bis hin zur naiven, unschuldigen, verwundbaren Persönlichkeit. Auch hier freue ich mich darüber, daß ich nicht aufgegeben habe.“

ME/SOUNDS: „Birdland“, deine Version des Weather-Report-Klassikers, ist dagegen eher eine historische Angelegenheit.

QUINCY: „Dieser Song führt mich zurück in die Zeit, als ich nach New York kam – 1951. Zurückblickend wurde mir der merkwürdige Zusammenhang zwischen Hip-Hoppern und Be-Boppern klar; vor allem über meinen Sohn, mit dem ich diesmal zum ersten Mal zusammengearbeitet habe und der sehr auf Hip Hop steht.

Ich liebe Rap. Hip-Hop und Be-Bop sind sich sehr ähnlich, die Musiker sprechen im Grunde die gleiche Sprache. Count Basie nannte mich schon vor 45 Jahren ‚Homeboy‘! Vieles in der Rap-Musik erinnert mich an meine eigene Jugend. Daher war es nur konsequent, beide Musikrichtungen zu mischen.“

ME/SOUNDS: Bist du von Jazz-Puristen bereits attackiert worden, daß du diese „heilige“ Musik mit Rap verbunden hast?

QUINCY: „So etwas ist mir scheißegal! Ich wollte nur das verwirklichen, was meiner Meinung nach gut klingt. Rapper wie Kool Moe Dee, Big Daddy Kane, Ice-T und Meile Mel, die an BACK ON THE BLOCK beteiligt waren, sind genauso erfindungsreich, kreativ, professionell und schnell wie irgendwelche anderen Musiker, die ich jemals gesehen habe. Ich habe enormen Respekt für sie.

Rapper waren ohnehin schon immer ein Teil der schwarzen Musikgeschichte, auch wenn sich der Stil geändert hat. Es ist alte Tradition, die sich bis zu den afrikanischen Wurzeln zurückverfolgen läßt, was den jüngeren Vertretern nicht immer bewußt ist. Ich finde es unfair, wenn manche Leute Rap als eine Modewelle ansehen, die eines Tages verschwinden wird.“

ME/SOUNDS: Da schon gerappt wurde, bevor man wußte, wie man es nennen sollte, wird es wohl noch eine Weile überleben…

QUINCY: „Genau! Rap ist das Netzwerk der Straße, die einzige Form von Kommunikation, die die alltäglichen Probleme der Straße anspricht. Normalerweise wird Rap in den USA auch nicht im Radio gespielt, weil es eine Menge harter Worte enthält, weswegen Rap noch immer als Untergrundbewegung läuft – und dadurch schnell auf Veränderungen reagiert.

Auch wir Be-Bopper waren damals Rebellen und spielten nur füreinander. Die Öffentlichkeit war uns egal – wobei Be-Bop wirklich niemand hören wollte, während bei Rap eine kommerzielle Nachfrage besteht. Ich bin wirklich froh, daß ich Teil der Rap-Familie bin und daß sie Teil meiner Familie sind. Es sind einfach tolle Leute. Das Image, das sie auf ihren Platten verkörpern, ist völlig anders als die Wirklichkeit. Es sind Künstler, wenn sie auch von den wenigsten so behandelt werden.“

ME/SOUNDS: Im Song „Back On The Block“ hat mich beeindruckt, wie ke-T davon berichtet, daß du ihn ermutigt hast, seinem harten Ghetto-Stil treuzubleiben. Würdest du das auch seinen Kollegen Eazy-E und N.W.A. raten, die textlich sehr viel brutaler sind?

QUINCY: „Nein. Sie vertreten die Position, daß sie keine Verantwortung tragen, daß sie keinen Vorbildcharakter haben. Das ist Bullshit – die Leute schauen zu ihnen auf! Sie ziehen die Kids runter und geben ihnen falsche Ideen. Ich habe einen Neffen in Seattle, der ein hervorragender Schüler war. Er hörte sich die Platte von N.W.A. an, auf der sie Sachen wie ,Fuck The Police‘ sagen, und glaubte wirklich dran – was dazu führte, daß er zwei Geschäfte ausraubte und im Gefängnis landete. Dabei ist es in Wirklichkeit so, daß Eazy-E zum Beispiel – wie gesagt wird – eine Frau und fünf Kinder hat; sein Brutalo-Rap ist also nur ein theatralischer Trip.“

ME/SOUNDS: George Clinton bringt in seinen aktuellen Shows drei ziemlich negative undfrauenfeindliche Raps, die er hinterher als „Bullshit“ bezeichnet und als Beleg dafür anführt, daß man dem richtigen Rhythmus alles gut klinge…

QUINCY: „That’s right, man! Und das ist genau der Punkt, wenn manche Rapper ständig davon reden, daß es im Leben nur um „bitches“ und „money“ gehe. Ich mag es nicht, wenn schwarze Frauen … wir haben genug Probleme, da sollten die Männer in unserer Community nicht auch noch das Selbstbewußtsein der Frauen angreifen. Das ist nicht nötig, weil man genauso gut auch aufbauend wirken kann.

Das ist ein weiterer Grund, warum ich den Song ,Secret Garden‘ aufnehmen wollte. Es ist ein verführerischer Song, bei dem sich die Frau als etwas Besonderes und Wichtiges fühlt, wobei ihre Würde nicht angegriffen wird. Man muß nichts Schlüpfriges bringen, um sexy zu wirken! Ich bin halt ein Romantiker, der auf die Rituale der Verführung steht. Bei einer Frau fängt es im Kopf an und arbeitet sich dann zur Gefühlsebene hinunter, während es beim Mann genau andersherum ist.. .“

ME/SOUNDS: Noch einmal zum Thema Rap: In den USA gibt es derzeit Zensurbestrebungen gegen angeblich jugendgefährdende Texte. Ich bin sicher, daß du selbst N.W.A. und Eazy-E dagegen verteidigen würdest.

QUINCY: „Natürlich wurde ich sie verteidigen! Die Leute sollten mehr auf den wahren Inhalt achten und nicht so sehr auf oberflächliche Schimpfworte, sie könnten dann nämlich eine Menge lernen – solange in den Raps nicht Frauen niedergemacht oder ein Job als Crack-Dealer zum erstrebenswertesten Ziel gekürt wird. Aber das Recht, so etwas auszudrücken, darf durch nichts angetastet werden!“

ME/SOUNDS: Dein Albumtitel BACK ON THE BLOCK entstammt dem Street-Slang. Welche Verbindung zur Straßenszene hat ein erfolgreicher Produzent und, nehme ich mal an, Multimillionär?

QUINCY: „Ich sage dir, wie nah ich mich an der Straße befinde: Hast du schon mal eine Ratte gegessen?“

ME/SOUNDS: Nicht daß ich wüßte.

QUINCY: „Ich schon. Wenn du so etwas erlebt hast, wirst du nie den Kontakt zur Straße verlieren. Ich lebe zwar im Prominenten-Viertel Bel Air, aber mein Kopf ist dort nicht zu Hause. Ich werde mich niemals von der Straße entfernen. In der Musik wäre es auch Selbstmord, sich in einen Elfenbeinturm zurückzuziehen.

Meine Persönlichkeit ist so, daß ich keine Probleme damit habe, wo jemand herkommt und welche Hautfarbe er hat. Vielleicht hat mir dabei geholfen, daß ich in jungen Jahren viel gereist bin. Vor kurzem fragte mich jemand, warum ich nur mit einem einzigen weißen Musiker gearbeitet hätte – über so etwas habe ich noch nie nachgedacht! Wenn jemand sagt, weiße Musiker könnten weder Funk noch Jazz spielen, dann hieße das wohl, daß Schwarze keine klassische Musik schreiben können – und das ist Bullshit.“

ME/SOUNDS: Apropos stereotyp: Dem Film

„The Color Purple“, den du koproduziert hast, wurde vorgeworfen, er würde ein einseilig negatives Bild von schwarzen Männern zeichnen…

QUINCY: „Unsere Lage ist deshalb etwas unglücklich, weil es nicht genug Literatur gibt, die Schwarze auf eine positive Weise darstellt. Wenn also ein so wichtiger Film wie ‚Color Purple‘ gedreht wird, dann trägt er die gesamte Last aller Probleme der Schwarzen, die jemals aufgetreten sind. Im Falle von ‚Purple Rain‘ zum Beispiel hat niemand etwas darüber gesagt, als Morris Day ein Mädchen in einen Müllwagen schmiß. Wir dagegen wurden wegen der Beteiligung von so bedeutenden Leuten wie Steven Spielberg besonders unter die Lupe genommen. Der Film trug also diese gesamte Last auf seinen Schultern; manche erwarteten, daß er alle Aspekte des schwarzen Lebens in einem positiven Licht zeigen würde – einfach, weil wir nicht genug ernsthafte schwarze Filme auf dem Markt haben. Ich wollte, daß der Film funktionierte, weil Hollywood immer wieder sagte, daß niemand schwarze Filme sehen wolle. ,Color Purple‘ spielte 200 Millionen Dollar ein.“

ME/SOUNDS: Michael Jackson ist auf deiner aktuellen LP nicht dabei – die Erklärung, daß seine Plattenfirma ihm das nicht erlaubt hat, klingt allerdings nicht allzu überzeugend.

QUINCY: „Das ist merkwürdig, nicht? Ich denke, Michael und Walter (CBS-Records-Chef Walter Yetnikoff) müssen das zwischen sich klären. Es ist ihr Problem, nicht meins; ich bin wirklich glücklich mit der LP. Gleichzeitig liebe ich Michael – er ist ein Teil von mir; und ich glaube, daß er das umgekehrt auch so sieht.“

ME/SOUNDS: Es gibt Gerüchte, daß ihr nicht mehr zusammenarbeitet.

QUINCY: „Ich habe jetzt erst einmal an meiner eigenen LP gearbeitet. Ich habe mit Michael zusammen drei Alben aufgenommen. Jetzt war es Zeit für etwas eigenes. Außerdem will ich in den 90er Jahren neue Wege beschreiten: Nach 40 Jahren im Schallplattenstudio will ich mich verstärkt um Kinofilme kümmern – produzieren und Regie führen – und eine regelmäßige Fernsehshow mit Jesse Jackson auf die Beine stellen.“

ME/SOUNDS: Wie siehst du deine Tätigkeit als Produzent – eher als Trainer oder als Musikexperte?

QUINCY: „Als Produzent bist du ein bißchen von allem. Am wichtigsten ist, daß du hundertprozentig verantwortlich bist für jeden Song, der auf die Platte kommt. Genau an diesem Punkt hört meine Toleranz auf, und ich bin bereit, mich mit jedem anzulegen, mit dem ich arbeite. Ich muß das letzte Wort haben, welche Songs auf der Platte landen – oder ich kann auf den Job verzichten. Genau auf dieses Urteilsvermögen kommt es an.

Auf seinem ersten Album hat Michael drei Stücke geschrieben, und diese waren die einzigen, an denen er auch in punkto Produktion beteiligt war. Ansonsten war er „nur“ Sänger. Auf THRILLER hat er vier Songs geschrieben; bei BAD habe ich ihn dann gebeten, alle Titel selbst zu verfassen – wir haben uns nur ‚Man In The Mirror‘ von außerhalb besorgt. Je mehr er geschrieben hat, desto mehr kümmerte er sich auch um die Produktion. Jetzt ist er meiner Meinung nach an einem Punkt, an dem er sich selbst produzieren sollte.“

ME/SOUNDS: Bei all deinen Produktionen gehst du sorgßltig ans Wert. Kommt es vor, daß ein Sänger daneben singt und du die Aufnahme dennoch verwendest, weil das Feeline perfekt herüberkommt?

QUINCY: „Nein, ich mag es nicht, wenn Sänger falsch singen! Wenn ich mich jedoch generell zwischen einem emotioneilen Gesichtspunkt auf der einen und einem technischen Aspekt auf der anderen Seite entscheiden muß, dann sind für mich immer die Emotionen wichtig – weil die am schwersten zu erreichen sind.

Für mich sind Platten dann kommerziell, wenn sie ehrlich sind. Ich bin schon lange in diesem Geschäft und ich habe hart daran gearbeitet, daß zum Beispiel die Bläser perfekt zusammenspielen. So bin ich aufgewachsen – mit Be-Bop und Funk. Als Jugendlicher habe ich mit Ray Charles zusammen Rhythm & Blues gespielt; wir spielten schottische Tänze, Polkas, Debussy, Be-Bop, Funk – wir brachten alles! Und ich habe immer noch einen musikalischen Standard, den ich nicht verletzen werde. Niemand will daneben singen, auch wenn das hin und wieder passieren kann. Aber dies bewußt zu tun, um möglichst authentisch zu klingen, ist absoluter Bullshit.“

ME/SOUNDS: Siehst du dich bei einer Platte wie BACK ON THE BLOCK als Solo-Star oder eher als Team-Chef?

QUINCY: „Ich fühle mich wie ein Maler, wie ein Filmregisseur. Es geht um meine Vision. So wie Steven Spielberg sich mit den besten Kameraleuten umgibt, habe ich in Bruce Swedien, Mick Guzauski oder Humberto Gatica die optimalen Toningenieure; und in Rod Temperton, Siedah Garrett und mir selbst einen hervorragenden Stamm von Songwritern. Du brauchst ein Team, das dich unterstützt; was letzten Endes zählt, ist jedoch deine eigene Vision.“

ME/SOUNDS: Es erschien gerade ein 48seitiges Quincy-Jones-Special im US-Branchenblatt Billboard, und es wird ein Film über dein Leben produziert. Wie reagiert dein Ego auf so etwas?

QUINCY: „Ich habe immer höhere Erwartungen, als es die Realität zuläßt. Wenn ich mal 3000 Nummer-eins-Hits hätte, würde mir das vielleicht zu Kopf steigen. Bis zu diesem Punkt höre ich mir Duke Ellington an, eine klassische Aufnahme oder die Miles-Davis-LPMILESAHEAD-und mein Ego bleibt auf dem Boden der Tatsachen. Natürlich brauchst du ein Ego, aber es ist nicht der Mittelpunkt meines Lebens.“