R.E.M.


Dieses gewisse R.E.M.-Gefühl: Eine der letzten Supergroups pendelt zwischen Subversion und Sämigkeit und bewahrt sich doch ihre unwiderstehliche Magie.

Es geht damit los, daß alles vorbei ist. So begeistert und begeisternd haben die wundervollen The Thrills ihre Arbeit im Vorprogramm von R.E.M. erledigt, haben so treffsicher sonnige Westcoast-Hymnen wie „Big Sur“ oder „Santa Cruz“ ins dunkle Rund der umgebauten Radsporthalle abgefeuert, daß sich danach dieses beklemmende Gefühl der Befriedigung einstellt, das der Fachmann „ejaculatio praecox“ nennt.

Denn die eigentliche Attraktion kommt erst noch, eine derwenigen Supergroups, die es überhaupt noch gibt. Nicht einmal das sehr unterschiedlich bewertete letzte Album AROUND THE SUN konnte etwas daran ändern: R.E.M. sind seit „Shiny Happy People“ und bleiben wohl bis in alle Ewigkeit eine Konsenskapelle. Eine dieser Gruppen, die selbst ihre schärfsten Kritiker in schwachen Momenten noch einmal zu packen wissen, sei es auch nur für die Dauer eines Stoßseufzers: „Ach, früher war altes besser.“ War es das?

Wie Michael Stipe, Peter Buck und Mike Mills [nebst den mittlerweile altbekannten Sidemen Ken Stringfellow am Keyboard und Scott McCaughey an der Gitarre] die komplette erste Stunde des Konzertes nutzen, um erstmal ihr aktuelles Album in aller Ausführlichkeit vorzustellen, das hat schon etwas Kompromißloses. Und durchaus subversiv ist es, ein auf Kuschelhits lauerndes Publikum mit Neulingen wie dem verdrehten „Electron Blue“ oder dem wehmütigen „Leaving New York“ auszutricksen. Aber das ist gut so, weil wir uns von Michael Stipe immer wieder gerne austricksen lassen und dabei auf der Videoleinwand die Krähenfüße und Falten zählen, die tiefe Canyons in diesen Charakterkopf gegraben haben. Nein, die Präsenz dieser schmelzenden Stimme, die Körperlichkeit dieser tänzelnden Diva ist nicht zu ersetzen. Da stört nicht einmal die aufgemalte Augenbinde, mit der Stipe wie eine Kreuzung aus Blue Men Group und Panzerknacker daherkommt. Zumal Mills und Bück mit ihren Bäuchen und Blümchenhemden schon einen ausreichend Kontrapunkt zum exaltierten Gebaren des Sängers setzen.

Aber irgendwann hat sich sogar die Aufregung darüber gelegt, R.E.M. mal leibhaftig erleben zu dürfen – und Hits wären jetzt ganz nett. Denken wir uns, und schon kündigt Mit zwei blauen Augen davongekommen: der Stipey Stipe „Imitation of Life“ mit der ironischen Bemerkung an, damit sei ihnen in Japan ein erster Nummer-eins-Hit gelungen. Da hat dieses Konzert bereits seine eigene Dynamik und dieses R.E.M.-Gefühl sich eingestellt: „Hach, schon schön.“ Vielleicht sollte es uns mißtrauisch stimmen, daß selbst Kracher aus wütenderen Zeiten wie „Orange Crush“ und „The One I Love“ so sämig und behäbig daherkommen wie der obligatorische Protest gegen die US-Regierung. Vielleicht sollten wir enttäuscht sein, daß umgekehrt filigrane Folkerwie „Man On The Moon“ auf Stadionformat gebügelt werden. Aber dann hätten wir womöglich diesen magischen Moment verpaßt, als das Konzert erst so richtig losging, als es fast vorbei war: Mit „Drive“ als erster Zugabe. Zugabe! Zu! Ga! Be! Und, wenn’s geht, demnächst ein besseres Album? Danke.

www.remhq.com; www.rem.de