Randy Newman – Biedermann & Brandstifter


Ein Narr, wer bestreiten wollte, daß Lennon/McCartney richtungweisende Autoren waren – trotz diverser Wegwerfprodukte. Auch Bob Dylan hat, mag’s noch so lange her sein, erheblich zur gute Reputation der Rock-Lyrik beigetragen. Chuck Berry nicht zu vergessen mit seinen Notizen aus dem Halbstarken-Alltag. Nicht wenige und Vieles spricht dafür – halten Ray Davies für das Nonplusultra. Aber da ist ja noch ein gewisser Rand Newman – und der darf in dieser Auflistung auf gar keinen Fall fehlen.

Washington, Frühjahr 1978. Im feudalen Ballsaal des noch feudaleren Hilton Hotels geschieht Ungewöhnliches. Dort, wo sonst „große Gesellschaften“ ihre Nichtsnutzigkeit zur Schau stellen, wo die „Großen dieser Welt“ noch größere Reden schwingen, dort hängt an einer der betuchten Wände ein Großposter. Es zeigt einen unauffälligen Biedermann, dessen Gesicht man im nächsten Augenblick schon wieder vergessen hat. Weit gefehlt! Die knapp 400 Gäste nämlich werden dieses Konterfei nie vergessen, es wird sie noch im Schlaf verfolgen.

Und schon drängen sich die angetretenen Klein-Bürger emsig, gierig und zum Äußersten entschlossen um einen provisorisch errichteten Stand, an dem … rohe Eier ausgegeben werden. Minuten später prasselt ein Trommelfeuer auf den Wandbehang nieder und überzieht das Riesenporträt mit einer schleimigen Masse. KREUZIGET IHN !! Gedottert und geglibbert: Mr. Randy Newman.

Was war passiert? Der bis dato bedeutendste Rock-Satiriker hatte einmal mehr zugeschlagen. Landesweit war Abertausenden der ironische Song „Short People“ in den falschen Gehörgang gerutscht. Und so wurden Abordnungen im Hilton (und an zahlreichen anderen Orten) zwecks Bestrafung des Schändlichen versammelt, dessen Verse so viele empörten: „Kleine Menschen haben keinen Grund zu leben/Sie haben kleine Hände und kleine Augen/Sie laufen umher und erzählen große Lügen/Sie haben kleine Nasen und klitzekleine Zähne/Sie trügen hochhackige Schuhe an ihren schäbigen kleinen Füßen/ … Ich möchte diese kleinen Leute nicht um mich haben“.

Und wie schwer man sich auch in den USA (oder gerade dort) mit Humor tut, weiß man bekanntlich nicht erst, seit Millionen devot schmunzeln, wenn ihr oberster Aufrüstungsrentner im Fernsehen Gummibärchen kaut. Total mißverstanden als Haßtirade gegen eine Minderheit, war „Short People“ das vielleicht nachhaltigste und aufrichtigste Bekenntnis für sie – von Newman stellvertretend für alle ethnischen oder sozialen Minoritäten ausgewählt.

Radiostationen in Detroit und Boston setzten den Song auf den Index, nach massiven Protesten der Organisation „Little People Of America“ schlossen sich weitere an. Der Verein „Shorties Are Smarter“ wollte Paul Anka zu einem einer Anti-Schnulze bewegen, doch das 1,60 m messende Ehrenmitglied lehnte ab. Lakonischer Kommentar des Gescholtenen: Ich erwarte natürlich nicht, daß der Song in Japan ein Hit wird!“

Den USA allerdings war der Name Randy Newman endlich ein Begriff und die Sogwirkung erstreckte sich auch auf Europa.

Über Jahre hatte Newman als der Außenseiter gegolten – ein Mann, dessen Arbeiten längst zum festen Repertoire zahlreicher Kollegen gehörten. „Mama Told Me Not To Come“ war von den Three Dog Night, „I Think It’s Gonna Rain Today“ von Judy Collins und „Simon Smith And His Amazing Dancing Bear“ von Alan Price zum Hit gemacht worden. Stilistisch so verschiedene Interpreten wie Joe Cocker, Barbra Streisand oder Sonny Terry & Brownie Mc Ghee griffen auf Newman-Titel zurück. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Randall Stuart Newman wurde am 28. November 1943 in New Orleans geboren und wuchs anschließend in Los Angeles auf, wohin sein Vater, ein Armeearzt, versetzt worden war. Als „Sohn einer typisch amerikanischen Upper-Class-Familie mit Doktoren und Komponisten“ (R.N.) wurden ihm, eben sechsjährig, Klavierstunden verordnet. Erste Versuche in Musiktheorie folgten. Der Beeinflussungen hatte es viele, denn neben dem ebenfalls tastendrückenden Daddy waren es gleich drei Onkel, die im selben Metier tätig waren: Alfred, Emil und Lionel Newman (nicht vom Neffen erfundene Namen!) zählen – mit „Oscars“ behängt zu den erfolgreichsten Filmmusik-Autoren Hollywoods.

1959 entstehen erste selbstverfaßte Songs, darunter von Carole King geprägte Nummern wie „A Little Dream To Build My World Upon“ und „They Teil Me It’s Summer“, das von der hervorragenden Vokalgruppe The Fleetwoods aufgenommen wurde. Nach Abschluß des Studiums an der UCLA (Fach: Komposition) drängt ihn sein Freund, der Produzent Lenny Waronker, in jedem Fall als professioneller Schreiber tätig zu werden. So geschieht’s. Randy Newman verdingt sich beim Verlag Metric Music. Ende der wenig spektakulären Vorgeschichte.

Erst am Ende der sechs Jahre für Metric Music stellen sich echte Chart-Hits ein, als u.a. Gene Pitney, Dusty Springfield und Alan Price seine Kompositionen in ihr Programm nahmen: „Während der ganzen Zeit habe ich mich ständig beschwert, wie sehr meine Stücke verhunzt wurden. Also entschloß ich mich, wenn schon, dann spiele ich sie in Zukunft selbst schlecht“.

Newman ging mit Lenny Waronker und Van Dyke Parks ins Studio. Das Ergebnis darf man getrost als einen Ultra-Flop bezeichnen. Nicht, daß die LP etwa schlecht gewesen wäre ganz im Gegenteil -, die Verkaufszahlen aber waren dermaßen miserabel, daß Warner Brothers das Album auf Verlangen verschenkte. Es kamen nur wenige Anfragen… Heute ist RANDY NEWMAN längst wiederveröffentlicht und kennzeichnet trefflich den Beginn der Karriere dieses feinfühligen Komponisten. Zu völlig ungewohnten Arrangements (im gleichen Jahr blieb, ebenfalls bei Warner, Van Morrisons ASTRAL WEEKS-LP liegen) sang Randy Newman … doch, halt! War das ein Sänger?! Da quälte sich einer brummelnd durch die Strophen, wand sich durch Höhen und Tiefen, mit verdrehten Betonungen bei schrägster Metrik.

Allein: genau diese Art der Textumsetzung schien einzig passend für die Inhalte der Songs, die schon hier den Charakter besaßen, der auch in allen folgenden Werken zu finden sein würde: größtmögliche Wirkung bei sparsamster Gestaltung (selbst die zunächst wuchtig erscheinenden Orchestereinschübe erweisen sich letztlich als peinlichst knapp bemessen).

Mit „Davy The Fat Boy“ war bereits ein Newman-Klassiker enthalten, die Story des in die Obhut eines Freundes gegebenen Waisenkindes Davy. Jener Vormund allerdings preist den Knaben an: als tanzenden Pummel auf dem Jahrmarkt, Verlosung inbegriffen. Ein weiterer Glanzpunkt: „Love Story“, die Geschichte zweier wohl lebenslänglich anonymer Personen, die, frisch verliebt, schon vollauf mit der (Ver-) Planung ihrer Zukunft beschäftigt sind – der Nachwuchs soll möglichst Präsident werden, Fernsehen vor dem Kamin und die rechtzeitige Vorbereitung darauf, daß die Kinder einen ja doch über kurz oder lang als Dame spielende Pensionäre nach Florida abschieben. Aus. „So Long Dad“ schmeichelt mit verlogener Liebe zum Vater, frei nach dem Motto „Komm‘ vorbei, wann immer du willst – aber ruf vorher an, ob’s uns in den Kram paßt…“

An sämtlichen Titeln der Debüt-LP war das Konstruktionsprinzip Newman’scher Texte deutlich ablesbar. Selten einmal den Umfang von zwanzig, dreißig (Kurz-) Zeilen überschreitend, kommen die Songs als vertonte Prosa, in der nahezu jede Formulierung bedeutungstragend ist Füllsel, Wortmalereien und artifizielle Schnörkel sind verpönt, es handelt sich ausschließlich um Maßanfertigungen. Ideal, sollte man meinen, für Schulbücher auch in diesen Breiten.

Newman liebt das Album noch heute, , aber leider bin ich zu müde, um mich nochmal so anzustrengen“. Eine beliebte Floskel des hellwachen Zynikers, der unaufhörlich seine latente Schlaffheit, Trägheit und Faulheit als Erklärung dafür vorschiebt, daß im Zeitraum von 14 Jahren ganze sieben Langspielplatten erschienen sind. Aber und wer hätte keinen bissigen Zusatzkommentar erwartet natürlich gebe ich auf diese Weise auch Leuten wie z.B. Elton John die einmalige Chance, endlich aufzuholen“.

Schlicht und ergreifend „12 SONGS“ hieß der Titel der Folge-LP – und auch ihr Werdegang war eher ungewöhnlich. Sie wurde ebenfalls im Nachhinein neu gestartet, nachdem sie anfangs lediglich als eine Art Demo-Platte galt, um anderen Künstlern eine Auswahl Randy Newman-Kompositionen anzubieten. Auf eine Orchestrierung hatte er diesmal verzichtet, dafür begleitete ihn ein Team hochkarätiger Musiker, darunter Ry Cooder, Clarence White und Ron Elliott (Gitarren) sowie die Drummer Jim Gordon und Gene Parsons. „Suzanne“ wurde angebetet – allerdings von einem kranken Frauenschänder. „Lucinda“ nahm ein Sonnenbad: „They sent her to high school/They sent her to low school/She just woulah ‚t go no further“ – der Grund: ein Räumfahrzeug der Strandverwaltung hatte sie versehentlich plattgewalzt … Und mit „My Old Kentucky Home“ geriet Newman erstmals aus politischen Gründen in die Schußlinie nationalistischer Sabelrassler. Vergleichbar dem Provinzrealismus in einigen Filmen bzw. Theaterstücken von Kroetz, Fleißer oder besonders Martin Sperr (Jagdszenen aus Niederbayern“), hatte er tumbe, versoffene, schieß- und prügelwütige Charaktere entworfen und in den Song einen Refrain eingeschoben, der, beschwingt und ländlich-traditionell, das Grauen zu verharmlosen schien, es aber auf diese Weise noch potenzierte: „Brother Gene, he’s big and mean/And he don’t have much to say/He had a little woman who he whopped each day/But now she’s gone away/ He got drunk last night/Kicked mama down the stair/But I’m alright, so I don ‚t care … / 0h, the sun shines bright on my old Kentucky home/and the young folks roll on the poor/Oh, thesun shines bright in my old Kentukky home/Keep them hardtimes away from my door“.

Folge: das Lied wurde regional verboten, d.h. rechtsgewirkte Gremien setzten ihr „heimatliches Kentucky“ auf die schwarze Liste, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt.

Es war lange Zeit unmöglich gewesen, Randy Newman für Live-Auftritte zu gewinnen. Erst 1969 gab er sein Bühnendebüt im Troubadour Club von Los Angeles. Eines der seltenen Konzerte fand im New Yorker Bitter End statt, und Warner Brothers hatten – ohne konkrete Absichten – den Gig mitgeschnitten. Denn auch hiervon war zunächst keine LP vorgesehen.

Wer nun schon ungeduldig des Klatsches, Tratsches oder der Anekdötchen aus dem bewegten Leben des Randy N. harrt, wartet vergeblich. Denn „N.“ könnte auch für „normal“, ja sogar „notorisch normal“ im Sinne von absolut durchschnittlich stehen. Keinerlei besondere Vorkommnisse. Wenn Newman nicht will, dann will er tatsächlich nicht. Ich HASSE das Schreiben. Und ich HASSE es, mich das sagen zu hören. Es ist ein last schmerzhaiter Prozeß, in einen Raum zu gehen, mich hinsetzen und schreiben zu müssen“.

Also geschieht oft jahrelang (!) gar nichts. Newman lebt von seinen gewiß reichlichen Tantiemen, er sitzt zuhause („Ich bin ja sooo langweilig“) und spielt mit den Söhnen Arnos, Eric und John, 1972. SAIL AWAY erscheint, erste Studioproduktion nach zwei Jahren Kinderzimmer. Onkel Emil dirigiert das Orchester, andere Songs wiederum sind karge Zwiegespräche der Stimme mit dem Klavier. Und als hätten sie schon mit hängender Zunge darauf gewartet, greifen diesmal die Rechtschaffenen aus gleich drei Lagern an. Randy hat den Sittlichkeits-, Religions- und politischen Moralaposteln auf die Füße getreten. Daß Ry Cooder, Jim Keltner, Chris Ethridge und natürlich der Meister selbst auch für süperbe Musik gesorgt haben, interessiert nicht, da kann „Memo To My Son“ ein noch so wunderbares Lied sein: blanke Wut ist Trumpf.

Gleich mehrere Stücke dürfen nicht über die Sender geschickt werden, weil der begrenzte Horizont (und die pure Angst vor Demaskierung) einiger Macher es so wollen. Sexuelle Abartigkeit werfen sie ihm vor („You Can Leave YourHat On“ „Ich hoffte damit den Tietpunkt des schlechten Geschmacks zu erreichen …“), und Gotteslästerung in „He Gives Us All His Love“, einem Song, der nichts weiter wiedergab, als den ewig gleichen Sermon genau jener Frömmler, die er jetzt dermaßen gegen sich aufgebracht hatte.

Doch damit nicht genug. Schon in einem Konzert hatte Newman erklärt:

„Das einzige, was ich definitiv weiß, ist, daß es keinen Gott gibt. Deshalb spiele ich als nächstes „Gods Song“… Und hier war er nun, für jedermann erhältlich, „Gottes Song“: „Ich brenne eure Städte nieder – wie blind seid ihr eigentlich ?/Ich entreiße euch die Kinder und ihr sagt, ich bin ein Segen für euch/Ihr m üßt völlig bescheuert sein, an mich zu glauben/Aber gerade darum liebe ich euch so sehr/Ihr braucht mich wohl wirklich/ Und deswegen liebe ich euch Menschen …“ Und Blasphemisches fanden sie auch an „Old Man“, da der Ich-Erzähler dem im Sterben liegenden Vater erklärt:

„Klar, du willst nicht abtreten, aber streng‘ dich gar nicht erst an/Ich bin ja hier und ich bin doch wie du/Kommt auch kein Gott, der dich tröstet/Hast du mir ja selbst gepredigt, nicht an solche Lügen zu glauben/Also, wein‘ nicht, jeder kommt mal dran …“

Schon drei Jahre zuvor hatte Randy Newman den Song geschrieben, der ihm den meisten Ärger bescherte und ihn zum „Nestbeschmutzer“ (neudeutsch: „Ratte und Schmeißfliege“) stempelte. „Political Science“ könnte als Datum ebenso 1982 tragen oder 2004, falls es dann noch Songs braucht Der weltweite Protest gegen das sogenannte „Engagement“ der USA z.B. in Vietnam wuchs in jenen Tagen. Newmans Beitrag bestand in einer bitterbösen Satire, vordergründig verkauft als rückgratstärkendes Gutheißen des – im wahrsten Sinne des Wortes – einnehmenden Wesens seines Landes. Eingearbeitet u.a.: die nationalsozialistische Doktrin vom „Volk ohne Raum“. Nicht der Weisheit, aber der Wissenschaft (und auf sie wird schließlich gehört) letzter Schluß der Abwurf von Atombomben:

„Asia’s too crowded and Europe’s too old/Africa is iar too hot and Canada’s too cold/And South America stole our name/ Let’s drop the big one/There’ll be no one to blame us/We’U save Australia/Don’t wanna hurt no kangaroo/We’H build an all American amusement park there/They got sudin‘, too/Boom goes London and boom Paree/ More room for you and more room for me/Andevery city the whole world round/Will just be another American town/Oh, h ow peaceful it will be./We ’11 set everybody free/You’U wear a Japanese kimono/And there’ll be Italian shoes lorme/They all hate us anyhow/So let’s drop the big one now“. Im Schatten dieses bravourösen Keulenhiebes gegen den unbelehrbaren Hurra-Patriotismus ging das Titelstück „Sail Away“ nahezu unter: Ein Angebot an Sklaven, ins gelobte LanoVAmerika zu kommen “ You’U be as happy as a monkey in a monkey tree …“.

Volkes Zorn also kochte – und Randy zog sich für zwei weitere Jahre in die Ferien zurück „Ich lese auch Zeitung und sehe sehr viel fern!“). Er hatte allerdings darüberhinaus ein weiteres Betätigungsfeld für sich entdeckt, nämlich Filmmusiken: „Ich habe mich schon öfter dabei erwischt, daß ich eigentlich nur wegen der Musik im Kino sitze“.

Auf sein Konto geht der Soundtrack zu Norman Lears Komödie „Cold Turkey“. In „Pursuit Of Happiness“ wurde der Song „Let Me Go* verwendet – und im Mick Jagger-Streifen „Performance“ besorgte er die Orchester-Arrangements und sang selbst den Titel „Gone DeadTrain“, eine Jack Nitzsche/Russ Titelman-Komposition.

Die Frage nach einer eigenen musikalischen Bühnenproduktion (Musical o.a.) muß ihn wohl regelrecht erschreckt haben:

„Nein, nein, dafür habe ich nicht genug Ehrgeiz. Für solche langfristigen Projekte muß man ein bestimmter Typ sein.“

1974 erschien GOOD OLD BOYS, eine von Newman zwar nicht explizit als Konzeptalbum ausgewiesene LP, deren einzelne Stücke aber fast ausschließlich mit den Südstaaten bzw. ihren Bewohnern zu tun hatten. „Rednecks“ wirkte zunächst nur wie eine ätzende einseitige Karikatur: „Wir sind Rednecks, wir sind Rednecks/Und wir können unseren Arsch nicht von einem Loch in der Erde unterscheidenAVir sind Hednecks, RednecksÄJndwir machen dieNigger nieder“.

Newman versäumte es jedoch nicht, im nächsten Atemzug die Arroganz auch der Nordstaatler anzuprangern bzw. deren „Verdienst“, die Schwarzen befreit zu haben – „befreit“, um sie in die Ghettos von Harlem, Hough (Cleveland), East St. Louis oder anderswo zu pferchen.

1n „Mr. President“ zeichnet er eindrucksvoll mit wenigen Worten den immerwährenden Konflikt des „Ihrda-oben-wir-hier-unten“; Arbeiter liegen mitleiderheischend dem Präsidenten zu Füßen (“ … auch wenn Sie ein Betrüger und Lügner, ein Egomane oder gar schwachsinnig sind …“), der erst angereist kommt, nachdem die Flut wieder einmal das Land verwüstet hat und der Staatsdiener dem bösen, bösen Fluß – und nicht etwa fehlenden Dämmen die Schuld anlastet („Louisiana 1927″/Nordhessen 1981).

Ein absolutes textliches Meisterwerk gelang Newman mit „Birmingham“. Er entwickelte das offenbar völlig harmlose Bild einer harmlosen Durchschnittsfamilie mit ihrem Hund Dan. Die Strophen plätschern dahin. Dann genügen drei Worte („Get ‚em, Dan!“), um aus dem vermeintlichen Idyll plötzlich einen zähnefletschenden Köter hervorspringen und die netten Nachbarn als personifizierte Heimtücke entlarvt zu sehen.

Gewissermaßen als Krönung grub Randy Newman einen Song von 1935 aus, das jeglichen Geistes beraubte, chauvinistisch verbrämte „Every Man A King“. Autor: Huey P. Long, ehedem Gouverneur von Louisiana …

Als sich Newman nach der Veröffentlichung von GOOD OLD BOYS einmal nichtsotoii in die Versenkung begab, sondern u.a. im Juni 1975 eine Lesung in New York abhielt, kam es umgehend zu einem mittleren Skandal. Scharenweise verließen die Zuhörer den Saal, nachdem er ein Konzeptalbum angekündigt hatte, das sich mit der ja auch hierzulande gerne nachgefragten „menschlichen Seite Hitlers“ befassen sollte. Selbst die fabelhafte Erklärung, musikalisch hoffe er dabei auf eine Kreuzung aus klassischen Gustav Mahler-Motiven „mit einem Bachman Turner Overdrive-Feeling“, ließ die Düpierten nicht erahnen, was hier geplant war.

Wenn es sich nicht ohnehin nur um eine verbale Provokation gehandelt hat, denn als die Reihen gelichtet waren, änderte Newman sein Vorhaben dahingehend, daß er wohl doch lieber die komplette Geschichte der USA vertonen wolle, „langweilig, voller Wiederholungen, und als Finale einen Gewehrschuß“.

Seinen bislang spektakulärsten Erfolg verbuchte er mit LITT-LE CRIMINALS, das neben „Short People“ u.a. auch das sanfte Schauermärchen „In Germany Before The War“ enthielt. Newman erzählt vom Kindermörder Kürten und ersetzt abrupt die objektive durch die subjektive Position: “ Weliebeneath the autumn sky/My little golden girl and 1/ And she lies very still…“.

In einem Interview deutete er an, noch wesentlich mehr (, … wahrscheinlich aber zu verschlüsselt“) in diesem Lied versteckt zu haben, ohne aber Genaueres zu enthüllen. Möglich, jedoch Vorsicht erscheint gerade bei diesem Autor wie auch hinsichtlich des Themas angebracht, daß Newmans jüdische Abstammung hierbei eine Rolle spielt.

Offen auszumachen dagegen der erneute Gebrauch eines erprobten Stilmittels, nämlich in Form einer einzigen (Schluß-) Zeile einen Höhepunkt zu inszenieren, von dem aus sich die Fragen rückwirkend an den Song richten.

Wie schon für GOOD OLD BOYS wurde Randy Newman („Auszeichnungen sind mir ziemlich egal“) auch für LITTLE CRIMINALS der „Deutsche Schallplattenpreis“ verliehen. Zitat aus einem von seiner Plattenfirma geführten Interview: „Über die Auszeichnung ireue ich mich sehr. Zumal meine Frau eine Deutsche ist“. Daß Roswitha aus Düsseldorf stammt, trifft zu …

Das bislang letzte Projekt unter seinem Namen datiert von 1979. BORN AGAIN, gemünzt auf die speziell in den USA immer und ewig einen Nährboden findenden „Erweckungsprediger“. Newman sang ferner vom stetig abstoßender werdenden Streben nach Materiellem (recht ¿ platt, wenngleich wahr) und von „Mr. Sheep“, dem ehrlichen Middle-Class-Tolpatsch (fast eine Ray Davies-Figur). Er warnte vor östlichen Spionen, die es auf dieses sein Vaterland abgesehen hätten und attackierte die armseligen Macho-Posen bestimmter Rock-Stars, die großkotzig das Herunterlassen der Hosen propagieren, obwohl ihr primitives Anbiedern bereits eine Entblößung im noch bekleideten Zustand darstellt.

Nur selten zuvor hatte Newman den ihn begleitenden MusiKern mehr Raum zugedacht. Die Kompositionen wirkten streckenweise „geöffneter“, ohne daß etwa seine unverwechselbare Handschrift verloren gegangen wäre. Nach eigenen Aussagen fiel die LP in den USA durch, nicht zuletzt deshalb, weil sie wieder einmal kaum Airplay erhielt.

SeitSAILAWAY standen in Newmans Bands Solisten der gehobenen Güteklasse. Zu den schon genannten gesellten sich später u.a. die Rhythmussektion Willie Weeks/Andy Newmark (b/dr), die Gitarristen John Platania, Joe Walsh und Waddy Wachtel sowie Klaus Voorman (b) und Rick Marotta (dr). Sie alle wurden eingeschworen auf eine Formel, deren einzelne Bausteine den unterschiedlichsten Pfründen entlehnt sind, und man Newman deshalb kaum noch als „reinen“ Rock-Musiker bezeichnen kann. Er übernimmt ausgesuchte Partikel des Rock’n’Roll, City Blues und Ragtime, mischt sie nach ganz persönlichem Rezept mit Chanson-Elementen, Passagen aus volkstümlichen Singspielen und Musicals. Nicht zu vergessen die Anlehnung an Filmmusiken vergangener Jahrzehnte.

Die gekonnte Umarbeitung all dessen in einen Piano-Stil ist das künstlerische Markenzeichen des Randy Newman. Neben Interpreten wie Carole King, Leon Russell oder Elton John ist er es gewesen, der sozusagen für die „Wiedereinführung des Klaviers“ in die neuere populäre Musik sorgte, nachdem einige Rock’n’Roller ausgenommen diese über lange Zeit von immer wieder modifizierten Gitarren-Sounds dominiert worden war.

Newmans Stil hat sich die Jahre hindurch nicht verändert, allenfalls nuancierte er die Arrangements. Auch wenn – wie anfangs erwähnt – andere mit seinen Kompositionen weitaus mehr Erfolg hatten, die definitiven Versionen jener Songs lieferte stets er ab. Beinahe bezeichnend, daß ein ganzes Album mit den vergleichsweise besten Cover-Fassungen (NJLSSON SINGS NEW-MAN, RCA 1970) beim Publikum keinen Widerhall fand.

Randy Newmans Texte wurden fälschlicherweise als die eines nörglerischen Menschenhassers kritisiert. Sowohl seine äußerst einfühlsamen Songs über alte Menschen widerlegen diese Einschätzung – wie auch die große Zahl der „defekten, kranken Liebeslieder“ ‚(R.N.), die hinter allem Zynismus ein hohes Maß an humaner Gesinnung anzeigen.

Newman steht – zwar selten offen ausgesprochen – auf der Seite der Getretenen, ein scharf beobachtender, nie geschwätziger Sarkast, dessen Widerstand die Provokation ist: „Ich schreibe über andere Charaktere und glaube, daß dadurch auch mein Charakter reflektiert wird Ich gebe persönliche Stellungnahmen ab, aber über Umwege. Vielleicht eine etwas seltsame Methode, für mich jedoch die beste. Meine Hoffnung ist, daß das Publikum versteht, daß es um Charaktere geht, die so merkwürdig erscheinen, weil sie gleichermaßen töricht und schrecklich sind“.

Er betreibt keine sezierende Ursachenforschung, sondern bildet subjektiv ab und vermittelt Denkanstöße durch Betroffenheit. Grauenerregendes wird mit Komik gepaart, der entstandenen Groteske wird feiner bis verletzender Spott beigefügt. Entsetzen trifft auf Mitgefühl, Witz steht gleich neben Wahnwitz – und wo eben noch gelacht werden darf, ist die Katastrophe nicht weit. Sogenannte „Lösungen“ bietet er dankenswerterweise nicht an.

Newman schreibt Songs auch „zur eigenen Entspannung“, z.B. für Tom Jones die Nummer „Mary Ann“; von vornherein aber in der Gewißheit, solche Arbeiten niemals aus der Hand zu geben. Und mit „William Brown“ erfüllte er sich einen ganz besonderen Wunsch: „Ich wollte endlich einmal einen Song schreiben, in dem eigentlich nichts passiert… Es ist ein Nichts an Lied. Darum m agich ’s“ (so in einem Interview mit Franz Schöler).

Randy Newman trat zuletzt als Komponist der Filmmusik zu Milos Formans „Ragtime“ in Erscheinung (2 1 Songs). Es finden sich Hinweise, daß er mit den Arbeiten dazu bereits 1975, dem Jahr der Veröffentlichung des Buches von E.L. Doctorow, begonnen hatte. Der Titel „Sigmund Freud’s Impersonation Of Albert Einstein In America“ war aber schon Bestandteil von LITTLE CRIMINALS und fehlt auf dem Soundtrack.

Nachfragen bei seiner Plattenfirma in den USA bzw. dem Management ergaben: momentan keinerlei Aktivitäten. Die generelle Betätigungs-Unlust Randy Newrnans karikierte das englische Rock-Blatt „Sounds“ 1978 hervorragend. Es zeigte den Bissigen beim anstrengenden Verzehr einer Banane. Überschrift: „Sporttoto des Jahres!“