Raus aus der Nische: Coco Rosie


"Schwierige, "unzugängliche Kunstkram-Indie-Freak-Randgruppenkapelle reißt die Massen hin; zuständiger Musikschreiber is, like, "Was geht'n?"

Man kann der Welt und ihren Lauften ja viel Schlimmes nachsagen, und zu Recht. Aber so ganz schlecht kann eine Gegenwart nicht sein, in der eine so ausgesprochen seltsame (um nicht zu sagen: idiosynkrarische), zu keinerlei Kompromissen aufgelegte Musikgruppe mit so enorm verspultem Liedgut wie CocoRosie die Muffathalle mit ihrem Fassungsvermögen von 1.500 Leuten fast voll macht. Gut, da war einiges an „exposure“ und „buzz“ um die Schwestern Bianca und Sierra Casady in den letzten Jahren und ums neue Album THE ADVENTURES OF GHOSTHORSE AND STILLBORN, und, ja, sie hatten zwei Lieder in Parfümwerbungen – aber das hier ist doch mild erstaunlich. So viele Hipster-Zirkel gibt es nicht mal in München, dass die das allein hinkriegen; hier hat sich ein klassisches, sympathisches Alle-möglichen-Leute-Publikum auf den Weg gemacht.

Die Wunderlichkeiten hören heute abend freilich noch lange nicht auf. Kaum hat man den Saal betreten, fängt da vorne einer an, ein MC, der ein tightes Oldschool-HipHop-Brett mit kray-zee verschachtelt ratternden Industrial-Beatgewittern und quietschigen Synthmelodien in einer Lautstärke in die Halle haut, dass alles die Ohren anlegt, während klar wird: Da ist sonst keiner. Nur dieser eine Typ, der Human Beatbox, Human Synthesizer (mit zuschaltbarem Monsterbass) und humaner Sänger in einem ist. Alles mit dem Mund. Was ist hier los? Hat der Mann drei Kehlköpfe? Tez heißt er, und man kann wohl sagen, dass man so etwas in der jüngeren Vergangenheit nicht gesehen hat.

Wenig später ist er wieder da, er ist der „Schlagzeuger“ der „Band“ CocoRosie und hält als solcher im Dienst der Sache seine Zunge etwas in Zaum, gleichwie macht sein Beat-Bett deutlich, wie tief – von wegen Folk – die Musik von CocoRosie im HipHop wurzelt. Einmal kommt es gar zu einer Breakdance-Einlage von Sierra, generell die aufgedrehtere, leutseligere der beiden, die „thank you“ sagt, überschwänglich ins Publikum winkt und die Bandmitglieder herzt, wohingegen Schwester Bianca, die mit grauem Tanktop und Militärmütze auf geschorenem Kopf aussieht wie Demi Moore in „G. I. Jane“, sich angemessen kauzig verschlossen gibt. Neben Mundmann Tez hantieren zwei Herren an Bass und Kevboards, die Frauen bedienen nur manchmal Harfe (Sierra) und Flöte (Bianca), konzentrieren sich ansonsten auf das Spinnen ihres einzigartigen Vokalgeflechts aus Sierras Opernorgan und Biancas manieriertem Krächzgackern; angenehmerweise wird weitgehend auf das Georgel auf piepsendem Kinderspielzeug verzichtet; der Jokus war ja nun auch ausgereizt.

Während im Bühnenhintergrund eine animierte Bildcollage aus rosaroten, dickflüssig tropfenden Rosenblättern vor sich hin morpht, die etwas ausgesprochen Klebrig-Sexuelles an sich hat, purzeln die Songs daher, bröckelig, versponnen, waidwund geschossen, wie sie sind. Und das Publikum sagt nicht etwa: „Oh, das klingt aber nicht so flockig wie in dem Parfümspot“ und geht heim; vielmehr brandet dem „Hit“ „By Your Side“ am Ende ein Sturm der Begeisterung entgegen, als würden die Kaiser Chiefs „I Predict A Riot“ anstimmen. Und noch viel länger nach dem Abgang wird gekrischen, bis die Band sich noch einmal zu einer sehr späten Zugabe hervorlocken lässt. Es freut.