Coco Rosie


Geständnisse aus der Badewanne: Verstörend intimer Avantgarde-Pop.

„Manchmal machen wir uns selbst Angst, oder?“, sagt Bianca Casady (22) und verliert sich für einen verstörend langen Moment in den Augen ihrer zwei Jahre älteren Schwester Sierra. In der selbstgewählten „klaustrophobischen, inzestuösen „Isolation eines Einzimmer-Appartments in Paris haben die beiden Töchter einer den Cherokee-Indianern abstammenden Künstlerin im Frühling 2003 ein zauberhaftes, sonderbares Debüt von bisweilen fast beklemmender Intimität eingespielt. „Als mich Sierra nach meiner Ankunft aus New York vom Pariser Flughafen abgeholt hat, dachte ich, dass wir zu zweit in der kleinen Wohnung ersticken würden“, so Bianca, die vor dieser plötzlichen Reise sieben Jahre lang kein Bedürfnis verspürt hatte, mit ihrer Schwester zu reden. „Als wir dann aber ein paar Wochen Musik gemacht haben, war der Raum plötzlich fast zu groß.“ Sierra nickt: „Wir haben dann die meiste Zeit in dem kleinen Badezimmer zusammen aufgenommen. Wir hatten das Bedürfnis nach Beschränkung, Enge und Nähe – am Schluss saßen wir nur noch in der Badewanne.“ Und auch wenn das fast übermäßig innige Debüt LA M AISON de mon reve, das Ergebnis dieser intensiven Zweisamkeit, bisweilen so gemischte Gefühle wie eine Brustwarze erweckt, an der zu lange geknabbert wurde, ist die höchst eigenwillige Mischung aus gezupften Gitarrenakkorden, Spielzeuggeräuschen und dem Fiepsen elektronischer Plastikkeyboards über weite Strecken enorm hypnotisch. Was CocoRosie, die von den musikalisch ähnlich unklassifizierbaren TV On The Radio dem Chicagoer Punk- und Avantgard-Label Touch & Go Records empfohlen wurden, einzigartig macht, ist aber der Gesang: Die klassisch geschulte Opern-Stimme von Sierra begleitet warm und leicht den gequetschten Singsang von Bianca, der an alte Aufnahmen von Billie Holiday erinnert. Eine Kombination, die einzigartig ist und in dieser Form entstehen konnte, weil sich die Damen während der Aufnahmen von keinerlei fremdem Ideengut beeinflussen ließen. „Ich habe weder das Verlangen, noch den Raum in meiner Vorstellungskraft, um Kunst aufzunehmen “ , sagt Bianca und wählt ihre Worte mit Sorgfalt. „Das lenkt nur ab. Ich hab vor diesem Album zwei Jahre lang nur ein bisschen geschrieben und in der Zeit weder Musik gehört, noch welche gemacht. Das künstlerische Ziel war nun, immer weiter zu reduzieren, bis man auf die purste Essenz stößt. Auf den Kern.“ Für die hohen Künste sensibilisiert wurden Bianca und Sierra nicht nur durch ihre Mutter – auch ihr Stiefvater hat die Mädchen bereits im High-School-Alter durch die einschlägigen Galerien ihre jeweiligen Heimatstadt geschleift. „Wir haben Stunden damit verbracht, Bilder von Beuys und Chagall zu betrachten, um zu verstehen, wie die Farbverläufe funktionieren „, erinnert sich Bianca. Aus den Augen haben sich die Schwestern verloren, als Sierra sechs Monate in Italien verbrachte, wo sie sich „in die klassische Musik verliebte“ ‚, wie sie erzählt. „Ich hab dort mit großem Ernst an meiner Stimme gearbeitet, bis ich mich in ein Arschloch verliebt habe, wegen dem ich nach Frankreich gegangen bin . Wenig später hat er mich in den Straßen von Paris verlassen, haha!“ Während Sierra in der französischen Hauptstadt ihren Gesangsunterricht wiederaufnahm, unterrichtete Bianca an New Yorker High Schools Lyrik und flirtete mit dem Modebusiness. „Eines Tages kam mir die Idee mit dem gezeichneten Bart. Ich kann das nur schwer erklären. Es hat damit zu tun, dass ich mich als Künstler eher als Mann wahrnehme. Natürlich war es aber auch ein sehr konzeptionelles Projekt. „Wie es mit CocoRosie weitergeht, steht in den Sternen. Ein zweites Album war, wie man erfährt, nie angedacht, ist aber auch nicht ausgeschlossen. Bianca jedenfalls wird in naher Zukunft mit ihrem neuen Freund, dem nicht weniger exzentrischen Songschreiber Devendra Banhart, für ein paar Monate nach Südfrankreich ziehen. Es bleibt in jedem Fall spannend.