Reggae Sunsplash


Eine Art Mini-Sunsplash: mit dem Lonely Lover Isaacs und den Taxi-Twins Sly & Robbie zwei Superheavies (oder Supas, wie es in Jamaica heute so schön heißt) und mit Paul Blake & Bloodfire Posse die Vorhut von Kingstons Techno-Rockers – also gerade noch ein Rumpfprogramm dessen, was zwei Wochen vorher beim Londoner „Reggae Sunsplash“ an den Start ging. Paul Blake und sein blutjunges Geschwader (alle Anfang 20, aber abgehärtet im Stahlbad unzähliger Backup-Jobs!) ritten für meinen Geschmack etwas zu lange auf einer Auswahl von Oldles und Dancehall-Favoriten herum. „Hypocrites“ war ebenso darunter wie Wayne Smiths „Under Mi Sleng Teng“, aber letztendlich zog eben doch nichts besser als ihre eigenen Hits: „Rub-A-Dub Soldier“ und „Every Posse Get Fiat“, das beste Stück Electro-Reggae, das ich seit Horace Andys „Elementary“ zu hören bekommen habe.

Auch Sly & Robbies Dub-Kartell – erweitert um Jamaicas erste Bläser-Garnitur Ras Brass (Dean Frazer, Chico Hamilton und Nambo Robinson) – preschte durch eine Serie klassischer riddims, aber hier saß eine Schlagkraft und Autorität dahinter, der einfach nichts und niemand gewachsen ist. Atempausen gab es von dem Augenblick, wo Sly in seine Simmons kickte, keine mehr. Ein Track ratterte in den nächsten, „Queen Of The Minstrel“, eine Killer-Version von „Shank-I-Shek“… es war ein Bombardement von einer geradezu apokalyptischen Kraft und Konzentration.

Gregory Isaacs hat viel durchgemacht, seit bei einer Razzia in seiner Villa eine halbautomatische Browning und ein Smith & Wesson-Revolver zum Vorschein kamen. Er wurde in den vergangenen zwei Jahren immer wieder eingebuchtet und kam auch diesmal erst unmittelbar vor dem Londoner Konzert frei. Die sich hartnäckig haltenden Gerüchte, denen zufolge man ihn nur unter der Bedingung laufen ließ, nach seiner Rückkehr unverzüglich in die Zelle zurückzukehren, sind – wenn ich Sly & Robbie Glauben schenken darf – völlig aus der Luft gegriffen. Ich weiß nicht, ob es mit all dem zu erklären ist, aber etwas angegriffen und nasal klingt Gregorys sanftmütige, Sandpapier-rauhe Stimme heute schon.

Neuere Tracks wie „Musical Murder“, „G. P.“ oder das monumentale „Private Beach Party“ enthielt er uns vor, stattdessen steuerte ihn die Taxi Gang durch eine Lovers Selection älteren Datums (u. a. mit „Love Overdue , „All I Have Is Love“, „Mr. Brown“, „Oh What A Feeling“, „Out Den“ und „Night Nurse“), bei der er in seiner übermächtig coolen und suggestiven Pose manchmal schon fast zu erstarren drohte. In seinem Straußen-ähnlichen Gang die Bühne rauf und runter flanierend, Hände in die Hüften gestemmt, locks unter einem riesigen Hut verstaut und Medley auf Medley seiner größten Hits anstimmend – wenn er an diesem Abend eines unter Beweis stellte, dann, daß ihm die Rolle als Lonely Lover buchstäblich auf den Leib geschrieben ist.