Kante

Die Tiere sind unruhig

Eine neue Zeit: Kantes viertes Album ist Lautstärke, Direktheit und Spaß. Und im Zweifelsfall auch - "Rock".

„This record should be played loud“.

Solche Anhaltspunkte gaben Kante schon immer. Popmusikalische Gebrauchsanweisungen, die in die Irre führen konnten und deren Nutzen immer begrenzt schien. „We used some words of Everything But The Girl and Noises of Sun Ra, Five Words of the Beach Boys, some melodies of Soft Machine“, wurde viel- und doch nichtssagend im Booklet ihres Debütalbums zwischen den orten angegeben. Nun, daß diese größtenteils getragene und instrumenteile, mit Pop-Versatzstücken spielende und im ersten Übereifer als „Post-Rock“ wahrgenommene Musiknicht für die Anwendung im täglichen Hausgebrauch geeignet war, konnte man allerdings auch so hören. Kante trieben dennoch das Spiel weiter. Gastr del Sol, Sonic Youth, Caetano Veloso, Archie Shepp, Arvo Part, Mark Hollis, Steve Reich, Robert Wyatt. Diese (ursprünglich noch wesentlich längere) Liste an Einflüssen, die zum zweiten Album ZWEILICHT mit auf den Weg gegeben wurde, bereitete Kopfzerbrechen. Denn einfach als neunmalpopkluge Mitglieder einer Hamburger Szene, in der Referenzhölle nie als Schimpfwort galt, konnte man Kante nicht abtun. Dafür verblüfften die Kunstfertigkeit des vielschichtigen und gesichtigen Albums sowie die gleichzeitig Band-Magie und Überwindung von Genre-Grenzen beschwörende Single „Die Summe der einzelnen Teile“ zu sehr. Und zum Meisterwerk ZOMBI hätten Kante allerlei Referenzen aufzählen, Anekdoten und Geschichten (nicht nur die Wahrheit, daß die eineinhalb fahre Aufnahmezeit eine Tortur darstellten) erzählen können, am sprachlosen Staunen, die das Album hervorrief, hätte dies aber nichts geändert. Und nun wollen Kante unsere Aufmerksamkeit wieder lenken, geben uns eine weitere Gebrauchsanweisung:

„This record should be played loud“.

Denn die TIERE SIND UNRUHIG, Kantes viertes Album ist ein Rock-Album. Zumindest deuten viele Anhaltspunkte daraufhin: Produzent Moses Schneider (u.a. Beatsteaks und Tocotronic), der von einer „Mischung aus den Queens Of The Stone Age und Chicago“ redet, Mischer Michael Ilbert, dessen Vita (u.a.The Hives und Hellacopters) Sänger Peter Thiessen fasziniert von „Schweden-Sound“ reden läßt. Und die Gitarren brettern teilweise tatsächlich staubtrocken, verzerren, mäandern durch Soli. Malen Bilder von Hitze. Sex. Apokalypse. Keine klinische Kopfangelegenheit. Keine Frickeleien. Kein unbedingter Wille mehr zum ausgeklügelten Meisterwerk für die Ewigkeit, gibt Thiessen zu Protokoll, und ergänzt sogar schelmisch, daß sich diese Herangehensweise „in Hamburg möglicherweise einer gewissen Beliebtheit erfreut“.

Stattdessen alles live, mit nur wenigen Overdubs, eingespielt. Direkt auf den Punkt. Ein Rock-Album.

Die sieben Songs relativieren den Nutzen dieser Gebrauchsanweisungen jedoch. Der Titelsong und Opener zitiert zunächst die vornehm-schwüle, vorahnungsschwangere Umbruchstimmung des letzten Albums. Im Inneren der Stadt ist die Schwelle zu einer neuen Zeit immer noch nicht überschritten, die Tiere sind unruhig, die Menschen nervös und werfen sich fiebrige Blicke zu. Und dazu klingen – ja klingen, nicht rocken! – die Gitarren – Achtung! – stellenweise nach U2s „Where The Streets Have No Name“. Mit „Ich hab’s gesehen“ beginnt Thiessens Abstieg in die Dunkelheil. Eine düstere, hitzige Vision – „in Rock“: manische Orgel, ein fetter Baß, ein treibendes Schlagzeug, aber auch breit angelegte Streicherarrangements. Und auch in „Nichts geht verloren“ darf sich die Schwüle, die sexuelle Spannung in ausladenden Gitarrengewittern entladen. „Die größte Party der Geschichte“ ist ein überdrehtes, lazz und R’n’B fusionierendes Fest, zu dem Kante zu spät kommen, da hilft laut Gitarrist Felix Müller, der ein Intermezzo als rappender „Türsteherder Hölle“ hat, auch kein „Wedeln mit Gästelistenbestätigungsausdrucken“. Jegliches Augenzwinkern verschwindet hingegen, wenn Thiessen im folgenden Song „Die Wahrheit“ zunächst rotzig, zum Ende nur einsam zu Klavierbegleitung die fiese Fratze der Wirklichkeit besingt. „Ducks And Daws“ ist ein verspieltes Instrumental, „Die Hitze dauert an“ zum Ende noch einmal Hitze, Gewitter, Sturm. Doch im Auge des Orkans und des Ichs verfliegt der (musikalische) Zorn, der vormals vordergründige Lärm wandelt sich zum beiläufigen Noise-Gewitter, öffnet Räume für ein elegisches Piano und Streicher: „Doch für uns ist nichts verloren/Solang der Schmerz noch in uns wohnt /Und unser Zorn im Wandel bleibt/Auch wenn die Zeit ihn nicht mehr heilt.“

So endet kein Rock-Album. Und doch ist DIE TIERE SIND UNRUHIG ein Rock-Album -hinsichtlich Dramatik, Energie und Spielfreude. Diesen unauflöslichen Widerstreit kann man gerne wieder Hamburger Diskurs-Pop (oder jetzt auch -Rock) nennen. Einfacher ist es festzustellen: Kante sind bereit für eine kleine Utopie, verlieren die bittere und manchmal lächerliche Realität aber nicht aus den Augen. Haben Standpunkte, rühren sich aber musikalisch gerne vom Fleck. Und können sich sogar mit Tierköpfen maskiert fotografieren lassen (siehe unten), ohne sich dabei zum Affen zu machen. Denn Kante haben soviel Spaß an ihrer Sache, daß dieses Album tatsächlich ohne weitere Erklärungen und Gebrauchsanweisungen auskommen würde. Laut und immer wieder sollte man es trotzdem hören.

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