Placebo :: Sleeping with Ghosts

Glam-New Wave-Pop: Britanniens letzter Superstar macht auch im vierten Anlauf keinen Fehler.

Die Idee schien ihre natürlichen Grenzen zu haben: Schroffe New-Wave-Attacken aus dem Wurzelwerk von Public Image Ltd. und Siouxsie & The Banshees mit schwerstromantischer Glam-Zweideutigkeit zusammengekettet – ein schwarzweißer, melancholisch dräuender Klotz aus Stahl und Stein, überstreut mit neongrell leuchtendem Puderzucker. Wie weit würde man das treiben können? Wäre es nicht konsequent, nach der Explosion am Horizont zu verglühen und zur wehmütigen Erinnerung zu vergehen? Was könnte schlimmer sein, als eines Tages ein halbgutes oder gar mieses Placebo-Album hören zu müssen, geboren womöglich aus dem branchenüblichen Bemühen, sich „weiterzuentwickeln“? Dass das zweite Placebo-Album Without You I’m Nothing besser geriet als das erste, verstärkte die Befürchtungen. Das dritte enthielt ein paar zaghafte Experimente und war nochmal besser – weia! Da zittert die Hand, wenn sie die aus der Konzernzentrale konspirativ herausgeschmuggelte Plastikscheibe ins Schubfach legt. Und dann? Löst sich spätestens bei Track drei, „This Picture“, alles auf in warmem, schwarzgrauem Nebel, in dessen Tiefen neongrelle Sterne strahlen. Statt sich auf stilistische Abwege zu wagen, ziehen Placebo die Konzentration auf das Eigene vor, feilen an ihrer patentierten Konfrontationsmischung aus Rasierklingenschärfe, der Härte der 21st-Century-Einsamkeitsraserei und der grandiosen, unwiderstehlichen Sehnsucht, die Brian Molkos Stimme verkörpert, nicht nur wenn sie kilometerhoch über einer Leere aus elektronisch verhallten Melodiefetzen schwebt – was sie diesmal ausgiebig tun darf, dafür sind auch die Passagen der lärmenden Raserei intensiver. Manchmal (zum Beispiel in „Special Needs“) blitzen Momente emotionellen Wiedererkennens auf, und schon ist man hineingerutscht in einen Strudel fremdartiger Faszination, der einen nicht mehr loslässt. Sleeping With Ghosts mag sich aufgrund der schärferen Kontraste in unvorbereiteten Ohren schwerer tun als der Vorgänger. Placebo zerschmettern die Popmusik und das moderne Leben; im Kopf des Hörers setzen sich die Scherben und Splitter dann zu eigenen Träumen, Gefühlen, Erinnerungen zusammen, die so schön sind, dass sie wehtun. Placebo entwickeln sich nicht weiter, sie werden nur größer. Kann man Besseres über eine Pop-Platte sagen? Ich glaube nicht.