Richard + Linda Thompson


Beim Abhören der Interview-Cassette höre ich mich inständig an die Vernunft meiner Gesprächspartner appellieren: „Bitte – ihr seht doch, das Band läuft“ und .Hört mal, ihr müßt mir nachher sagen, was man davon überhaupt veröffentlichen kann.“

Aber Richard und Linda Thompson sind nicht zu bremsen. Sie sind verbissen in einen Psycho-Boxkampf, bei dem sämtliche Hiebe ungeniert unter die Gürtellinie zielen. „Das kannst du halten, wie du willst,“ stammelt Richard, seine Stimme schwankt „Mch interessiert das alles nicht mehr“. Und Linda

knurrt: “ Das ist doch sowieso n ur für Deutschland, oder? Interessiert eh kein Schwein.“

Sieger in diesem Match bleibt schließlich mein Tipp-Ex. In dem folgenden Dialog ist mehr radiert worden als in den Watergate-Papieren. Normalerweise bin ich gern mit von der Partie, wenn Popstars ihre schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit waschen. Die Auseinandersetzung zwischen den Thompsons aber war doch zu persönlich, als daß man sie ohne weiteres zur allgemeinen Belustigung herumreichen sollte. Was ich hier davon wiedergebe, ist, glaube ich, ohnehin noch hart genug…

Während der Fahrt zum Sheffield Folk-Festival in Yorkshire freue ich mich auf einen harmonischen Abend, auf solides, mit Fingerspitzengefühl umgesetztes Song-Handwerk. Richard Thompson, einst Kopf meiner Lieblingsband der späten 60er Fairport Convention, schien sich mit SHOOT OUT THE LIGHTS zu neuen Höhen als Songschreiber und Gitarrist aufgeschwungen zu haben. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, daß dieses erste Album für Joe Boyd’s Hannibal Label die letzte gemeinsame Platte von Richard und Linda Thompson sein sollte. Und ich hatte auch nicht den leisesten Schimmer, daß sie heute abend zum letztenmal gemeinsam auf die Bühne gingen … und daß die Scherben ihrer Ehe wohl nicht mehr zu kitten sind.

Hinter der Bühne herrscht noch trügerische Heiterkeit. Die Mitglieder der Thompson Band trudeln aus den verschiedensten Ecken Englands ein. Mit „locker“ läßt sich Richards Auffassung von Organisation nur annähernd umschreiben. Die Gruppe funktioniert eher auf der Basis „Wer gerade Zeit hat, spielt mit.“ Heute abend sind es John Kirkpatrick, ein Riese von einem bärtigen Bauern, gesund und braungebrannt. Unter seinen Nägeln steckt noch der Dreck der Scholle. An Akkordeon und Ziehharmonika wird er heute abend wahre Wunder vollbringen. Als Bassist ist Pete Zorn angereist, der sich für einen Tag von seinen Verpflichtungen als Saxophonist bei Sheena Easton (!) freigemacht hat; an den Drums schließlich ein weiterer Eckpfeiler des englischen Folk-Rock, der großartige Drummer Dave Mattacks. Finer aus der Band meint, daß Rhythmusgitarrist Simon Nicol eventuell noch aufkreuzt, aber der kommt nicht.

Kirkpatrick kennt Richards neues Material noch nicht, also wird er kurz instruiert. Er braucht ungefähr zehn Minuten, um sechs neue Songs einzuüben. Allein diese Vorbereitung klingt schon besser als die meisten Gigs, die ich im vergangenen Jahr erlebt habe. Und Richard, der wie immer einen halb weggetretenen Eindruck macht, spielt Gitarrenläufe herunter, bei denen sich gewöhnliche Sterbliche die Finger brechen würden. Voller Stolz führt er sein gelb-weißes Defunkt-T-Shirt („Thermonuclear Sweat“) vor: „Drei Tage mußte ich Hannibal nerven, bis sie endlich eins rausrückten.“

In diesem Moment platzt Linda Thompson herein. Sie erspäht meinen Recorder. ,Du bist doch wohl nicht hier, um diesen Lahm arsch Richard zu interviewen, was? Ich hätte dir da mehr zu bieten.“ Man hört förmlich, wie die anderen Leute im Raum einmal kurz Luft holen. Linda widmet sich gelassen ihrem Weinglas und setzt ihre Sonnenbrille auf.

„Na gut, ich leg mich hier hin, während ich euch zuhöre und lach mir eins.“ Sie räkelt sich, gähnt, kämmt sich das Henna-Haar zurück und breitet sich genüßlich auf der Couch aus.

Richard und ich unterhalten uns über Fairport Convention und über Richards Wechsel von amerikanischer Musik zu einem eher „heimatbezogenen“ persönlicheren Stil. “ Wir haben uns damals zu Zeiten von LIEGE AND LIEFE bewußt für einen Versuch in diese Richtung entschieden. Aber heute sehe ich das nicht mehr so eng. Ich linde, das hier ist eine Rockband die allerdings viele englische, schottische und irische Elemente verarbeitet.“

Linda kichert und seufzt. Wir gehen über zu Richards erneuter Zusammenarbeit mit Produzent Joe Boyd Er versichert mir, daß dies die beste Form von kreativer Ergänzung sei, die er je im Studio erlebte. „Ich kann esschlechtim einzelnen sagen, was er genau dazu beigetragen hat…“

Linda fährt dazwischen: „Du kannst das Kind ruhig beim Namen nennen, sein Beitrag bestand allenfalls aus Käse, Keksen und Kaffee.“

Es folgt eine hitzige Debatte, bei der Richard loyal für Boyd’s schöpferisches Potential Partei ergreift.

„Ein absoluter Schwachsinn, meint Linda. „Er haßt Joe Boyd.“

„Ich versichere dir, das ist nicht der Fall,“ reagiert Richard mit erstauntem Lachen. „Ich mag ihn unheimlich.“

Um abzulenken, spreche ich sie auf das Titelstück des neuen Albums an, auf dem Richard die forscheste Thompson-Gitarre seit Jahren spielt, es klingt fast wie ein Wutausbruch. „Oh, das ist nur so n Lied, „sagt Richard bescheiden. „Nichts besonderes.“

Linda explodiert: „Hast du sie nicht mehr alle? Gott im Himmel! Das ist ein unheimlich wichtiger Song. Und du bist ein dämlicher Wichser, weil du es nicht fertigbringst, mit einem Journalisten darüber zu reden. Das ist ein Lied über Breschnew, über Rußland; über Rußland, wie es sich zu bestimmen anmaßt, wo das Licht ausgeht „shoot out the lights“), wie es alles niedertrampelt, wenn sich irgendein Schimmer oder irgendeine Art von Kreativität bemerkbar macht…“

“ Das ist eine sehr persönliche Interpretation,“ erklärt Richard, “ das kann man beim bloßen An hören unmöglich alles herausziehen. Na gut, von dem Gedanken bin ich ursprünglich ausgegan gen, aber du kannst es nicht

so einseitig interpretieren. Es ist mehr so ein… Stimmungsbild.“

Linda läßt noch ein paar neue Beleidigungen vom Stapel. Die anderen Musiker starren derweil angestrengt auf ihre Hände oder aus dem Fenster. Richard steht auf. „Hast du was dagegen, wenn wir woanders weitermachen ? Diese Unterbrechungen gehen mir langsam auf den Geist.“

Ich folge ihm treppaufwärts Richtung Bühne. In einer ruhigen Ecke setzte ich auf’s Neue an. Aber ich bin noch mitten im Satz, da taucht Linda in meinem Blickwinkel auf, ein neues Glas Wein in der Hand.

„Jetzt bringe ich euch in Verlegenheit, was Jungs? So sieht’s aus.“

Richard ringt sich ein Lächeln ab.

„Keine Angst, ich setze mich nur auf Steves Schoß und passe auf, daß er nur die reine Wahrheit erfährt, nichts als die Wahrheit.“

Zu meinem Schrecken laßt sie sich tatsächlich auf meinen Knien nieder, reibt ihre Brüste an mir und fängt an, mit meinem Reißverschluß zu spielen., Mach ich dich nervös?“

Ja.

„Du bist albern“, kichert sie, rührt sich aber nicht von der Stelle. „Bist du ein Fan von Richard? Magst du seine Songs ?Ich steh‘ auf seine Gitarre, aber die Songs sind wirklich öde. Und das, obwohl ich sie singe.“

„Noch ein paar Geistesblitze ?*fragt Richard. Ich bin jetzt nur noch Beobachter.

„Ja,“ versetzt Linda. „Du wehrst dich immer, wenn du von Kritikern oder aus dem Publikum hörst, daß sie deine Songs düster und selbstzerstörerisch finden. Tatsache ist aber, daß sie düster und selbstzerstörerisch sind.“

„Das ist ein generelles Mißverständnis.“ ‚Soweit läßt Richard noch mit sich reden.

Linda: „Das ist Musik, bei der du deinen Kopf in den Gasherd steckst.“

Richard: „Ich schreibe die Songs. Ich kenne ihre Bedeutung. Die Leute lesen oft etwas heraus, was gar nicht drinsteckt…“

Linda: ‚End of The Rainbow‘ ist demnach vermutlich ein absolut fröhlicher Song.“

Richard: „Okay, dieses eine Stück von mir ist ziemlich düster. „

Linda weiß aber noch andere. Ich versuche einzuschreiten, indem ich darauf hinweise, daß Songs, die so ins Innenleben eindringen, tiefer und nachhaltiger wirken als die weniger ernsthaften.

„Ja, das stimmt,“sagt Richard. „Aber eindringlich ist eindringlich und nicht düster. Ich mag beide Arten von Songs, die ernsthaften wie auch die leichtgewichtigen. Auf der Bühne bringe ich beide. Aber bei meinen Alben konzentriere ich mich auf die „großen“ Songs, wenn du so willst. Die leichte Kost kommt meistens nicht aui die Platten, weil es eben nur leichte Kost ist.“

Linda: „Dazu kann ich nur sagen, daß du ein/ach nicht zugehört hast. Du singst diese Texte zwar seit zehn Jahren, aber offensichtlich hast du nie mitbekommen, was du gesungen hast.“

Linda: “ Ich bin ja nicht die einzige, der deine Texte so depressiv vorkommen. Linda Ronstadt sagt das auch. UndEmmylou.“

Richard (stinksauer): „Aber die habe ich nicht um ihre Meinung gefragt, oder? Wer ist überhaupt Linda Ronstadt? Die nimmt doch Stücke von J. D. Souther aui!“

Linda: „Der schreibt gute Songs. „

Richard: „Ha, ha, ha!Da sind wir wohl geteilter Meinung.“

Schließlich reden wir über den Bruch des Thompson-Teams. Richard meinst, er würde weitermachen wie bisher, mit denselben Musikern und Freunden. Aber was ist mit Linda?

„Endlich mal verdammtes Geld verdienen, hoffentlich. Zehn Jahre lang in Schulden und Armut! Ich werde ein Album machen. Elvis Costello hat einen Song für mich geschrieben, Glen Tilbrook von Squeeze auch, dann werde ich noch einen von John Farrar aufnehmen und ein wunderhübsches altes Stück von den Left Bänke. Ich werde kommerzieller sein. Sieh Richard an, der arbeitet seit 17 Jahren und keiner kennt seinen Namen. Das ist doch ein Witz. Das bringt’s doch überhaupt nicht.“

„Außer, daß ich mich dabei wohlfühle,“ kontert Richard. „Das Finanzielle hat mich nie motiviert.“

Ich frage ihn, ob er in finanziellen Krisenzeiten nicht schon mal daran gedacht habe, seine Talente für ein Hit-Album zu kanalisieren.

„Ja, aber das funktionierte nie. Bis zu einem gewissen Grad hatte ich das bei den Platten versucht, die wir auf Chrysalis herausbrachten. Aber der Schuß ging jedesmal nach hinten los, weil die sich noch schlechter verkauften. Das klappte darum nie, weil sie einerseits nicht aufrichtig meine Musik wiedergaben, andererseits aber auch nicht so stereotyp waren, um kommerzielle Chancen zu haben. Damit saß ich genau zwischen zwei Stühlen.“

George Benson und Quincy lones führe ich in diesem Zusammenhang als Beispiel dafür an, daß es für einen Musiker offenbar unmöglich ist, wieder zurückzugehen, sobald er aufgrund von Kompromissen schließlich Geld verdient. Oft sind sie schon korrumpiert, kaum, daß sie einmal am Erfolg gerochen haben.

„Oh, das macht mir nichts aus,“ meint Linda, “ denn ich war immer eine Popsängerin. Richard ist doch der Überhebliche – buch! – der Talentierte, meine ich. Er trägt doch den Heiligenschein, aber ich liebe Abba und The Brotherhood Of Man und all diese beschissenen Gruppen.“

„Ich stehe auch auf Abba,“

meint Richard. Ein einziges Mal waren sie einer Meinung. „Aber ich könnte nicht so spielen wie Abba.“

„Und ich mag Haircut 100,“

reizt Linda weiter. “ Ich würde viel lieber sowas machen, anstatt vor einem mickrigen Publikum aus lauter depressiven Leuten Did She Jump Or Was She Pushed‘ zu singen. So ein selbstmörderischer beschissener Unfug. UND ES VERKAUFT SICH NICHT MAL! Selbstmordstimmung mit Tantiemen geht ja noch in Ordnung. Aber Selbstmordstimmung ohne Tantiemen, das ist ja wohl ein m akaberer Scherz.“

Richards Kopf sinkt auf die Knie. .Es ist kein selbstmörderisch er Song, „kommt es sehr ruhig zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Dann steht er auf und geht ins Theater, um sich die Supportband anzusehen.

Linda hetzt wie gejagt auf und ab. „Ich hasse Folk Festivals, „tobt sie. “ Und ich hasse Sheffield. Ich bin so verdammt froh, daß dies unser letzter Gig ist!“ Plötzlich geht ihr auf, daß sie während des ganzen Interviews meine Zigaretten gequalmt hat. „Und ich rauche schon wieder. Ich habe seit Jahren nicht mehr geraucht. Jesus, und betrunken bin ich auch noch. Möchte wissen, wie ich so singen kann.“

Sie sieht mich an, bloß nicht zum Auftritt zu kommen. Aber davon können mich selbstverständlich keine zehn Pferde mehr abhalten.

Draußen auf der Bühne versucht ein lächerlicher Schmierenkomödiant, das Publikum als rotnasiger Folk-Clown „anzuheizen“. Linda macht kurzen Prozeß mit ihm: “ Wieso hast du denn einen Damenschlafanzug an ?“ macht sie ihn an. Und da ihm so schnell keine witzige Antwort einfällt, verzieht er sich schleunigst.

Und dann läßt die Thompson Band regelrecht die Sau raus. Linda streift über die Bühne wie eine Tigerin. Sie tanzt. Sie setzt sich auf die Bühne. Bei „Shoot Out The Lights“ kommt es ihr plötzlich in den Sinn, Richards akustische Gitarre zu bearbeiten. (Sie spielt überhaupt nicht Gitarre.) Aber da Richards Arme etwa doppelt so lang sind wie ihre, baumelt das Instrument in Kniehöhe.

Das Spektakel vor meinen Augen gleicht einer Folk Rock-Version der Sex Pistols; ich habe meine helle Freude dran. Danach prügelt Richard ein donnerndes Endlos-Solo aus seiner Stratocaster, krümmt die Töne, indem er die Saiten verstimmt und hüpft solange auf dem Pedal herum, bis er schließlich ein heulendes Klängchaos kreiert hat. „Rust Never Sleeps“ könnt Ihr vergessen! Die Schwächlicheren im Publikum pressen die Hände über die Ohren. (Kurze technische Anmerkung: Eines der besonderen Merkmale von Richards Stratocaster, ’57er Modell, ist, daß man die Lautstärke nicht regeln kann. Wenn sie also erstmal laut ist, dann bleibt sie’s auch.) “ Und nun spielen wir den traditionellsten aller traditionellen Songs“. Erleichtertes Lächeln überall im Publikum, als die vertrauten Töne von „Danny Boy“ sanft durch den Raum wiegen. Aber: nach einer Strophe steigert die Band ihr Tempo urplötzlich auf Ramones-Geschwindigkeit, Mattacks drischt seine Drums und Kirkpatricks Finger bewegen sich so schnell, daß man sie nur noch als Schleier über den Knöpfen des Akkordeons wahrnimmt. Was für ein Konzert! Was für ein unglaubliches Konzert.

Danach bin ich mir ziemlich sicher, daß sowohl Richard als auch Linda – jeder für sich, wenn’s nun mal so sein soll – gut und gerne auch bei einem größeren Publikum Chancen hätten, und zwar schon sehr bald – wenn sie eine Chance bekommen.

Sogar Linda fühlt sich besser nach dem Auftritt. “ Tut mir leid, daß ich dein Interview sabotiert habe. Wenn irgendetwas Interessanteres angesagt gewesen wäre, hätte ich möglicherweise lieber gestört.“

Die Aufführung war’s wert, meine ich. Es geht doch nichts über ein glückliches Ende…