Robbie Williams: Kühl bis ins Herz


Robbie Williams hat sie wieder zum Thema gemacht: Frank Sinatra, Dean Martin und all die anderen Granden der Coolness. Aber was versteckt sich heute hinter diesem überstrapazierten Begriff?

Unglaublich, aber wahr: Die Geburt der Coolness lässt sich genau datieren. Am 28. Januar 1959 stehen Dean Martin und Frank Sinatra erstmals gemeinsam auf der Bühne des „Sands Hotel“ in Las Vegas. „Eine der besten Shows, die man jemals in Vegas gesehen hat“, wie der Kritiker des Branchenblatts „Variety“ damals befindet – und der Moment, in dem das sagenumwobene Rat Pack aus der Taufe gehoben wird. Neben den treibenden Kräften Sinatra und Martin gehören Sarnmy Davis Jr., Peter Lawford und Joey Bishop zu den Mitgliedern des lose organisierten Herrenclubs, der regelmäßig im „Sands“ Hof hält und Trinken, Spielen und Partys zu den Eckpfeilern männlicher Stil- und Selbstsicherheit erhebt. Und sich selbst zum eigenen Mythos erklärt mit Konzerten, aufplätten, mit guten Beziehungen zu Gott und der Welt, vor allem aber zu Kennedy auf der einen, Mafia-Oberboss Sam Giancana auf der anderen Seite. Nicht zu vergessen die Filme, denen seither Generationen von Möchtegern-Hipstern huldigen, als handle es sich um die Zehn Gebote: „Frankie und seine Spießgesellen“ hieß das erste und ultimative Testament of Cool, ein im Januar 1960 locker heruntergekurbeltes Filmchen über zwölf Kriegsveteranen, die gleichzeitig die Safes von fünf Vegas-Casinos knacken wollen. Keiner wird jemals behaupten, bei Lewis Milestones obskurer Krimikomödie handle es sich um einen guten Film (kein Tempo, keine Spannung, kaum Interesse an Dramatik), ein Meilenstein ist „Ocean’s Eleven“ – so der Originaltitel – allemal: Tagsüber wurde in Vegas gedreht, abends auf der Bühne des „Sands“ gefeiert. Realität und Fiktion verschmolzen, das Drehbuch wurde behandelt wie eine leere Flasche Jack Daniels, Hohepriester Sinatra und Co. improvisierten ihre Dialoge und ignorierten die Tatsache, dass eine Kamera mitlief. Was man sieht, ist nicht Danny Ocean samt Mannen, sondern das Rat Pack, ungefiltert, ungeschminkt, wie es sich selbst sah: lässig, hip, selbstvergessen, in sich selbst ruhend, Samurais im Smoking, nur sich selbst und dem eigenen Ehrenkodex verpflichtet. Blaupause fortan für alle, die vor allem eins sein wollten: Cool und damit unverwundbar und unberührbar und weit entfernt von Normalität und Durchschnittlichkeit. 40 Jahre danach ist Coolness erneut ein Thema, das beschäftigt und bewegt. Im ewig ruhenden Auge des sich immer schneller drehenden Karussells der Trends, Stile, Looks und Designs hat man sie wieder entdeckt und ihr als Heilsbringer gehuldigt, weil sie entspannt und desinteressiert, also ganz einfach cool, bei einem Bourbon an der Theke lehnt, während alle verzweifelt dem neuesten Ding nachhecheln. Das imponiert. In Zeiten griffiger Slogans und medienwirksam vermarktbarer Bilder ist diese Totalverweigerung, das Sichraushalten selbstverständlich reizvoll.

Man nehme nur Robbie Williams‘ Versuch, sich mit „Swing When You’re Winning“ im Schein von Sinatra und Co. zu sonnen. Sklavisch wird da Look, Sound und Atmosphäre vergangener Rat Pack-Tage emuliert, nachempfunden. Nach James Bond und Jackie Stewart vereinnahmt der rastlose Sich-selbst-Erneuerer die nächste Ikone der Popkultur, um zu signalisieren: So wie die sehe ich auch mich. Nun ist es einerseits erfeulich, dass Robbie sich mit bewundernswerter Souveränität (und gewiss unter Mithilfe eines gut geschulten Beraterstabes) immer die richtigen Schablonen aussucht, um sein Image in der Öffentlichkeit zu formen. Gleichzeitig gibt es wenig Uncooleres, als immer so bemüht zu versuchen, cool zu wirken. Man vergleiche nur seine Version von „Something Stupid“ mit dem Original von Sinatra: Piepsstimme ohne Resonanz auf der einen, gesungene Lebenserfahrung auf der anderen Seite. Klar, Robbie hat’s schon kapiert: Pop ist Abziehbild, ist gnadenlos Oberfläche. Dem trägt er Rechnung, das macht er gut, aber es ist immer ein Blick von draußen nach innen, nicht umgekehrt. Lind auf der nächsten Platte ist dann Grunge, 80’s Metal, was auch immer angesagt. Der Fluch des Pop: Man funktioniert nur (noch) als Spiegelbild, als Remix, als Sample. Frank Sinatra und Dean Martin dagegen sind genuin, unverstellt, immer sie selbst. Und das sieht nicht nur cool aus, es ist auch cool. Das mag der Grund sein, warum man mit Leuten wie Marion Brando, James Dean, Johnny Cash, Neil Young, Kurt Cobain oder den Beastie Boys sofort Coolness assoziiert, auch wenn beispielsweise Sinatra für Jugendkultur nichts als Häme übrig hatte: Sein Ausspruch aus den 50er Jahren, Rock’n’Roll sei degeneriert, sollte nicht unerwähnt bleiben. Und die Art, wie The Voice den Klassenfeind Elvis Presley bei seinem Fernsehspecial 1960 nach dessen Entlassung aus dem Militär vorführt, zeigt nur zu deutlich, wie ernst er das meinte. Dass Sinatra Ende der 60er nicht mehr umhin konnte, aller Aversionen zum Trotz auch Beatlesund Joni-Mitchell-Stücke in sein Repertoire aufzunehmen und eine der schönsten Versionen von „Something“ zu interpretieren, mag Indiz dafür sein, dass sogar ein Ikonokiast von seinem Kaliber fähig war dazuzulernen. But I did it my way. Das ist der springende Punkt. Hier kommt man Coolness auf die Spur. Die Frauen, der Whiskey, die Partys – das ist nur Garnitur, oder besser: die Belohnung dafür, dass man cool ist. Steven Soderbergh versteht das sehr gut in seinem Remake von „Ocean’s Eleven“. Der tut nur so, als sei er ein Gangster-Movie, als ginge es darum, diese drei Casinos auszuräumen, als bestünde an irgendeinem Punkt ein Zweifel, dass Danny und seine Spießgesellen scheitern könnten. Aber ganz ehrlich: Als Krimi oder auch als Krimikomödie ist das Remake, wie das Original, ein ziemlicher Reinfall. Soderbergh geht es um Haltung, um Attitüde und darum, seine Stars so entspannt zu inszenieren, als würden sie nicht mehr spielen, sondern einfach nur sein. Das ist, in unserer Zeit, ziemlich cool. Aber gleichzeitig auch schon wieder zu wissend, um richtig cool zu sein.

Für Feuilletons und Kulturselten ist das Revival der Coolness ein gefundenes Fressen. „Entertainment Weekly“ freut sich darüber, dass Cool wieder cool ist (na ja!). Der „Kultur Spiegel verwendet allen Ernstes mehrere Seiten darauf, um über das richtige Trinken eines Whiskeys und ähnliche Belanglosigkeiten zu räsonnieren. „Cinema“ gibt seinen Lesern gleich 25 wertvolle Ratschläge, wie man an die Lässigkeit eines Frank Sinatra oder wenigstens eines George Clooney herankommt – und ist damit so sensationell uncool, dass man lieber wieder Fassbrause trinkt. Und im „Musikexpress“ wird darüber abgelästert, dass das bloße Schreiben über Coolness automatisch alles wieder kaputtmacht (immerhin sind die Seiten gefüllt). Relevantes zum Thema hat gegenwärtig eigentlich nur Cameron Crowe zu sagen: „Eines Tages wirst du cool sein“, verspricht das süße Groupie dem 15-jährigen Journalismus-Novizen William in Crowes „Almost Famous“, gleichzeitig winkt dessen Vorbild Lester Bangs ab: „Du bist wie ich: Du bist nicht cool.“ Das ewige Spannungsfeld zwischen dem, was man sich erträumt, und dass es unerreichbar ist, weil man nicht aus seiner Haut kann, füttert auch Crowes neuen Film „Vanilla Sky“, der sich zwar als Thriller präsentiert, aber sich doch vor allem damit auseinandersetzt, warum die Coolness des Rat Packs Vergangenheit ist und nur noch als idealisierte Form auf ein paar Schwarzweiß-Fotos, bewegten Bildern auf dem Bildschirm und letztendlich in unserem Kopf existiert: Zu sehr wird das moderne Leben von Gesehenem und Gehörtem, aber nicht mehr von Erlebtem bestimmt.

Wer eine emotionale Erfahrung machen will, der hört ein Lied, liest ein Buch, sieht einen Film. Wir sind die Summe popkultureller Eindrücke und nicht eines selbst gelebten Lebens: Die Erfahrungen werden uns von Dritten vermittelt. Vielleicht sehnt man sich deshalb gerade jetzt wieder zurück zu den stolzen Tage der Coolness, als Männer noch selbst über ihr Schicksal bestimmten und beschlossen, es sich gut gehen zu lassen. Bereitwillig klammert man das nicht so Glamouröse aus – Sinatras Rassismus (er nannte Sammy Davis Jr. regelmäßig einen „dirty nigger bastard“) und seine engen Kontakte zur Mafia, Dean Martins schwere Tabletten-Sucht, Sammy Davis Jr.s Vorliebe für viel zu junge Mädchen – und setzt im Kopf das zusammen, was man von diesen Männern in Erinnerung behalten will. Weil man es für sich nur zu gerne hätte, weil man davon träumt, selbst cool zu sein – und sei es nur für die Dauer eines Robbie-Williams-Videodips.