Roger Daltrey


Aus, vorbei, fini - ein 20jähriges Kapitel der Rockgeschichte geht unwiderruflich zu Ende. Nicht mehr zu kitten war der Scherbenhaufen, der sich zwischen Townshend und Daltrey angesammelt hatte. Der Who-Sänger, inzwischen 40 Jahre alt, schmiedet nun seine eigenen Pläne; Film und Theater spielen darin neben der Musik eine herausragende Rolle. Die Rockbühne endgültig verlassen aber will Daltrey noch nicht. Und auch für eine mögliche Zusammenarbeit mit Townshend hält er sich trotz aller Differenzen die Tür offen : "Er ist nun einmal einer der fähigsten Songschreiber aller Zeiten."

Daltrey: „… zum jetzigen Zeitpunkt eine Solo-Karriere zu starten, ist sicher schwierig. Weil ich nicht weiß, wer mein Publikum ist. Ich muß einfach losziehen, mein Album promoten und das herausfinden. Das ist echt ganz schön aufregend.

„ME/Sounds: Bist du Egoist genug, das durchzustehen – nachdem du 20 Jahre lang Pete Townshends Songs promotet hast?

Daltrey: „Ich glaube nicht, daß das eine Frage von Egoismus ist. Als die Who Schluß machten, mußte ich mich hinsetzen und überlegen, was ich mit dem Rest meines Lebens eigentlich anfange. Meine Schauspieler-Karriere läuft sehr gut – und eigentlich könnte ich mich fortan darauf konzentrieren. Aber ich habe gesungen, seit ich 12 Jahre alt war, und deshalb habe ich mich gefragt: ‚Willst du das wirklich aufgeben?‘ Aber das Weitermachen bringt auch seine Probleme mit sich: Das bedeutet nämlich, mit einer neuen Band wieder anzufangen und Konzerte zu geben.

Nachdem ich ein paar Tage ernsthaft darüber nachgedacht hatte, kam ich zu dem Schluß, daß ich es nicht aufgeben will. Mit dem Ego hat das nichts zu tun. Ich singe einfach gern.“

ME/Sounds: Ja, aber das ist nicht bloß eine Frage des Singens. Pop ist in vieler Hinsicht einfach Selbstdarstellung. Du mußt dich selbst verkaufen, deine Persönlichkeit… anders als beim Schauspielern, wo du deine Persönlichkeit in eine andere Rolle einbringst…

Daltrey: „Stimmt. Aber ich habe mich bei meiner Entscheidung sehr von Briefen beeinflussen lassen, die mir Who-Fans geschrieben haben; Briefe, die mich ermunterten: ,Sing weiter! Es ist uns ganz egal, was du singst – Hauptsache, du singst für uns‘.

Und wenn die Leute mich singen hören wollen, dann mach ich weiter damit, weil ich’s gern tue… Aber ich weiß schon, was du meinst: Die Naivität und Arroganz eines Jugendlichen paßt wundervoll zum Rock ’n‘ Roll, (lacht) Drum ist es jetzt schwieriger für mich“.

ME/Sounds: Gibt es Musikstile, die die Who bevorzugten, die du aber jetzt ablehnst, weil du dich zu alt fühlst oder weil sie unter deiner Würde sind?

Daltrey: „Mit Würde hat das nichts zu tun. Ich mache ungern Sachen, die ich schon mal gemacht habe. Ich möchte mich weiterentwickeln und neue Dinge probieren. Ich muß zugeben, das klappt nicht immer. Aber wenn ich einen Hit wollte, könnte ich losgehen und beispielsweise „Who’s Next“ kopieren. Ich würde Millionen verkaufen – und alle Who-Fans würden sagen ,Wow! Sagenhaft!‘ Aber was soll das??? Das wäre keine Weiterentwicklung! Ich glaube, das war eins der großen Probleme, das die Who zum Schluß hatten: Wir wurden immer berühmter für unsere Vergangenheit und kopierten uns selbst.“

ME/Sounds: Ich habe nie verstanden, warum ihr das mußtet. Die Who haben sich in Interviews immer beklagt, daß sie von dem alten Material nicht loskämen – und trotzdem habt ihr das Zeug weitergespielt, „My Generation“ und all das. Warum habt ihr damit nicht einfach aufgehört?

Daltrey: (erstaunt): „Damit aufhören??? Also, zunächstmal war das neue Material nicht halb so gut! Das nächste Problem bestand darin, daß die Fans das wirklich hören wollen. Und nach 20 Jahren hatte Townshend – einer der produktivsten Rock-Schreiber aller Zeiten – einen unglaublichen Haufen guten Materials zusammen. Ich hab eben gesagt ,halb so gut‘ – das spätere Material war sogar nichtmal ein Zehntel so gut wie die frühen Sachen!

Dabei lag es nicht unbedingt an den Songs, sondern an ihrer Bearbeitung. Gegen meinen Willen wurde versucht, das ganze Material im Stil von „Who’s Next“ zu spielen. Ich konnte es nicht ausstehen! Ich wollte auch nicht, daß das letzte Album veröffentlicht wurde, so sehr hab ich’s gehaßt. Die Songs waren in Ordnung, aber jedesmal, wenn wir anfingen, sie zu spielen… (Daltrey macht Townshends berühmte Windmühlen-Arme nach)… habe ich gesagt: ,Ja, ja. Daß wir’s so spielen können, wissen wir, können wir es nicht mal anders probieren?‘ Aber ich hatte genausogut zur Wand reden können. Und ich wurde echt frustriert. Eine Zeitlang versuchst du, die Leute in eine bestimmte Richtung zu bringen, aber wenn du nirgendwo hinkommst, gibst du es schließlich irgendwann auf … Ich hab’s aufgegeben. Ich wollte nicht, daß IT’S HARD erscheint. Und nun – nachdem wir wissen, daß es sich schlecht verkaufte – zu sagen ,Siehste, ich hab ’s euch ja gleich gesagt‘, ist auch kein Trost. Jetzt gibt Pete sich die Schuld und behauptet, die Songs wären unterm Durchschnitt. Ich glaube eher, die Umsetzung war einfach zu langweilig und abgegriffen.

Darum habe ich auf PARTING SHOULD BE PAINLESS probiert, Stimmlagen und Stilmittel einzusetzen, die ich vorher noch nie benutzt habe. Das Material ist völlig unterschiedlich, – und ich bin wirklich zufrieden damit. Das Album war ein Experiment. Ich habe ganz einfach alles ausprobiert: ‚Mach dies, versuch das‘. Aber nach dieser Platte weiß ich haargenau, was ich als nächstes machen will.“

ME/Sounds: Du hast mit Soft Cell-Produzent Mike Thorne gearbeitet. Wie hat das geklappt?

Daltrey: „Persönlich haben wir so gut wie nichts gemeinsam, aber wenn wir über Musik reden, sind wir ein Herz und eine Seele. Und er hat dafür gesorgt, daß meine sehr unartikulierten musikalischen Ideen funktionieren. Ganz besonders freut mich die Gewißheit, daß wir beim nächsten Album richtig hinlangen werden. Irgendwas hat bei dieser Platte angefangen zu knistern.“

ME/Sounds: Wurden die Musiker bloß als Session-Leute eingestellt – oder hast du vor, ein paar von ihnen mit auf Tour zu nehmen?

Daltrey: „Halbe-halbe. Ich habe die Sorte Band zusammengestellt, die ich gern hätte, wenn ich auf Tour gehe. Ich habe die besten Session-Leute genommen, die ich kriegen konnte. Ich wollte schon immer mit Gitarrist Chris Spedding arbeiten und werde ihn wahrscheinlich auch bei meiner nächsten Platte dabeihaben – aber ich werde ihn nicht mit auf Tour nehmen, weil ich es mir gar nicht leisten könnte! Bei den Gigs, die ich spielen werde, kommt für einen Mann wie Spedding gar nicht genug zusammen. Das gilt auch für Schlagzeuger Al Schwartzberg, der so ziemlich der beste Session-Spieler in New York ist. Mike Brecker am Sax – genau dasselbe. Die kannst du nicht mit auf Tour nehmen.

Dafür nehme ich Bassist Norman Watt-Roy und Michael Gallagher an den Keyboards plus Johnny Turnbull, ebenfalls von den Blockheads, an der Gitarre, Charlie Morgan am Schlagzeug und Gary Bamacle am Sax. Das ist der Kern der Band. Ich bin eh auf so eine Blockheads-Sache aus, ein bißchen jazziger vielleicht. Und wenn ich drauf abfahre, fahren vielleicht auch andere Leute drauf ab“.

ME/Sounds: Fühlst du dich in dieser Umgebung nicht ganz anders ? Keith Moon und Pete Townshend waren musikalisch immer gnadenlose Primitive. Jetzt arbeitest du mit Leuten, die viel trainierter und disziplinierter sind.

Daltrey: „Ich fühle mich gut dabei, weil ich inzwischen auch mehr kann und disziplinierter bin. Ich habe mich selbst besser im Griff, ich bin professioneller. Das ist noch ein Grund, warum ich das aggressive Rocker-Image nicht mehr drauf habe – weil ich das einfach nicht bin! Gott sei Dank! Stell dir das mal vor: 40 Jahre alt und so drauf sein! Jesus Christus!“

ME/Sounds: Wie denkst du über den stilistischen Einfluß, den ihr praktisch beiläufig gehabt habt? Ich habe im „Rolling Stone“ ein Interview, mit Quiet Riot gelesen, in dem Sänger Kevin DuBrow davon spricht, wie sehr er sich an dir orientiert hat und daß LIVE AT LEEDS von den Who seiner Meinung nach das erste Heavy Metal-Album ist.

Daltrey: „Das ist… schmeichelhaft. Irgendwo stimme ich ihm zu, daß LIVE AT LEEDS die Geburt des Heavy Metals war. Das ist paradox, weil ich die Who immer als Alternative zu den Heavy Metal-Gruppen gesehen habe. Jedesmal, wenn ich versuchte, die Who in eine neue Richtung zu leiten, war’s weg von Heavy Metal-Klischees. LIVE AT LEEDS war eine Musik, die wir aus Spaß auf die Bühne brachten, während wir „Tommy“ machten, denn das war, weiß Gott, kein Spaß (lacht). Das war harte Arbeit.

Um deine Frage zu beantworten: Ich fühle mich nicht verantwortlich für Quiet Riot! Vielleicht sind wir’s, obwohl… Aber ich habe den Burschen zufällig singen gehört und finde, daß er eher Noddy Holder kopiert als mich.“

ME/Sounds: Ich habe zu Ohren bekommen, daß du mit den verschiedenen Who-Biografien, die im Moment in Umlauf sind, sehr unzufrieden bist; Dave Marshs “ Before I Get Old“ und Richard Barnes‘ „Maximum R & B“.

Daltrey: „Ich bin nicht zufrieden, weil ich glaube, daß die Who zu ihrem Publikum immer offen und ehrlich waren. Diese Bücher aber stecken voller Ungenauigkeiten, die einem Außenstehenden geringfügig vorkommen mögen. Aber wenn sie dich betreffen und sich nur aufs Hörensagen gründen – und du zudem keine Chance hast, etwas dazu zu sagen, das tut… ganz schön weh.

Ich kann nicht begreifen, wie jemand über eine noch lebende Person eine Biografie schreiben kann, ohne mit dem Betreffenden zu reden! Und nicht einmal den Versuch unternimmt, die Wahrheit zu finden, indem er, in diesem Fall, mit der ganzen Band redet.

Das Zeug in Richard Barnes‘ Buch… Pete Townshend hat sich damals den Arsch abgelogen. Er gibt selbst zu, daß er ein notorischer Lügner ist. Also ist das Buch voll mit seinen Lügen, mit denen Leute wie ich und unser Manager Bill Curbishley – der in dem Buch unglaublich schlecht wegkommt – leben müssen.

Was mich ärgert, ist die Erfahrung, daß Rockgruppen sowas anscheinend ständig passiert. Als Dennis Wilson starb, habe ich einen Beach Boys-Special im Radio gehört; der Sprecher sagte: ,Und jetzt haben wir einen Experten zu diesem Thema, den Autor der Beach Boys-Biografie…‘ Da kommt also dieser Typ und labert über die Bedeutung der Beach Boys und am Ende sagt er: ,Unglücklicherweise habe ich Dennis Wilson nie getroffen‘. Wie kann dieser beschissene Kerl ein Buch über die Beach Boys schreiben und Dennis nie getroffen haben?

Journalisten haben verschrobene Vorstellungen, was Gruppen angeht. John Entwistle mag das ruhigste Mitglied der Who gewesen sein, aber er war 25 Prozent der Gruppe! Journalisten denken: ,Er sagt nichts, also macht er auch nichts‘ Völlig verkehrt! Aber woher sollen sie das wissen, ohne mit ihm zu reden? Wo du hinsiehst, bringen die Medien nur die glitzernde Oberfläche, meistens um Zeitungen oder Platten zu verkaufen; und das ist alles beschissen einseitig.“

ME/Sounds: Das fängt gewöhnlich bei den Chefredakteuren an, einem furchtbaren Menschenschlag (Hallo Bernie), der nur an Frontmännern oder „Charakteren“ interessiert ist.

Daltrey: „Stimmt. Also, ich glaube, daß jemand, der eine Biografie schreibt, hinter die Kulissen schauen sollte, um an die Wahrheit zu kommen. Wenn’s nicht die Wahrheit ist, ist es das Papier nicht wert. Gerüchte über irgendwen aufschreiben kann jeder. Das ist einfach Scheiße. Als ich Dave Marshs Buch gelesen habe, habe ich z.B. erfahren, daß ich Keith Moon aus der Band werfen wollte. Das tut mir verdammt weh. Niemand mochte Keith Moon lieber als ich; er war wie ein Bruder. Aber ich weiß, wo die Geschichte herkommt, und wenn Dave Marsh mich gefragt hätte, hätte ich ihm das erklären können.

Das war so: Wir waren auf Tour in Amerika – und Moon hatte zwei schlimme Überdosen; wir mußten Gigs absagen und haben darüber gesprochen, ob wir einen anderen Drummer holen sollten, um die Tour über die Runden zu bringen. Keith war wirklich krank – und wir hatten einen Vertrag zu erfüllen. Aber da steht schwarz auf weiß, daß ich ihn rauswerfen wollte! Es tut mir weh, wenn ich dran denke, daß Keith Moons Mami das lesen wird und denkt, daß ich ihn aus der Band haben wollte, weil (laut und erregt) ES NICHT WAHR IST! Das schmerzt und war völlig unnötig. Ich reite da jetzt ein bißchen drauf rum, weil ich hoffe, daß die Schreiber in Zukunft fairer sind und sich ein bißchen mehr darum bemühen, die Situation einer Gruppe zu verstehen. Wenn du nicht mal in einer Gruppe warst, ist das unmöglich.“

ME/Sounds: Hast du keine Lust, deine eigenen Memoiren zu schreiben? Bill Wyman schreibt gerade an „der wahren Geschichte der Rolling Stones“.

Daltrey: „…ich weiß nicht, vielleicht schreib ich eines Tages auch ein Buch. Wenn’s mit meiner Karriere als Regisseur in den nächsten paar Jahren laufen sollte, werd ich drüber nachdenken. Ein Buch, das zeigen sollte, daß es möglich ist, mit 40 Jahren eine neue Karriere anzufangen und nochmal erfolgreich zu sein.

Nichtdestotrotz wäre es besser gewesen, wenn diese Bücher nicht erschienen wären. Das wird langsam zum Wett-Labern. Ich glaube, wir hätten was Besseres verdient – besonders von unseren sogenannten Freunden!“

ME/Sounds: Ich mag Marshs Buch nicht, weil’s bloß ein endloser Katalog alter Presse-Ausschnitte ist, die er als permanenten Streit zwischen dir und Townshend darstellt…

Daltrey: „Stimmt. Und du weißt, wie gut man die Dinge in der Presse verdrehen kann.“

ME/Sounds: Oh ja.

Daltrey: Ich habe Interviews gegeben und sie danach gelesen, und – ohne die Gesten oder Betonungen oder was immer ist das etwas völlig Anderes. Ja, ich verstehe einfach nicht, wie man eine Biografie schreiben kann wie die – genauso dick wie die verflixte Bibel (lacht) ohne mit uns zu reden. Lächerlich.“

ME/Sounds: Glaubst du, daß die Gruppe oder in diesem Fall irgendeine Gruppe eine derartig ausführliche Berichterstattung verdient? Werden um das ganze Geschäft nicht einfach zu viele Worte gemacht? Muß man sowas Spontanes wie Rock analysieren ?

Daltrey: „Meiner Meinung nach, nein. Aber das habe ich schon immer gesagt. Jaggers Einstellung hab ich immer bewundert: ,It ’s only Rock ’n‘ Roll, but I like it. Wir machen’s und scheiß auf alle anderen!‘ Wirklich – wen kratzt’s?

Wenn ich ehrlich bin, hab ich angefangen, um mit Musik Geld zu verdienen; weil das verdammt nochmal besser war, als in der Fabrik zu arbeiten! Was ist daran verkehrt? Das heißt ja nicht, daß ich alles, was ich seitdem gemacht habe, nur für’s Geld getan habe.

Aber ich bewundere Jagger für diesen Spruch – und stimme auch Keith Richards zu, wenn er sagt, daß eine Menge von den Problemen, mit denen sich Townshend die ganzen Jahre herumgeschlagen hat, daher kommen, daß er zuviel denkt.“

ME/Sounds: Darum haben ihn die Kritiker immer gemocht, weil er der einzige Popstar ist, der die Rock-Kritik genauso wichtig nimmt wie die Musik selbst.

Daltrey: „Mmmm… alle polieren sich gegenseitig das Ego, ja. Trotzdem hat Pete ein paar tolle Sachen gebracht. „Won’t Get Fooled Again“ ist zeitlos. „My Generation“ ist zeitlos. Sowas kannst du nicht verreißen. Aber schade, daß es ihn gleichzeitig fertiggemacht hat, weil seine Musik immer noch sagenhaft ist. Gibt das einen Sinn? Wird das noch Sinn geben, wenn es gedruckt ist??“ (lacht) ME/Sounds: Du hast kürzlich dein Opern-Debüt gegeben und in der “ Beggar ’s Opera“ gesungen. War es leicht für dich, die Blues- und Rock-Einflüsse abzuschütteln und Oper zu machen?

Daltrey: „Ganz leicht. Mit guter Musik zu arbeiten, ist einfach. Ich hab das gern gemacht, weil ich einen Bereich meiner Stimme benutzt habe, von dem die meisten Leute nichtmal wußten, daß ich ihn überhaupt habe. Ich könnte Opern singen, wenn ich wollte.

Obwohl ich die Art, wie da gesungen wird, im allgemeinen nicht mag. Die Sänger suchen immer nach der perfekten Note, aber glaube nicht, daß das der springende Punkt ist. Wenn der Sänger das, was er macht, nicht fühlt, bedeutet das für mich rein gar nichts. Ich höre lieber schräge Noten und unperfekte Stimmen mit etwas Leidenschaft!“

ME/Sounds: Aber auch im Rock ist die „Leidenschaft“ zu einem Stil geworden. Es gibt Sänger, bei denen gehen Form und Sinn eines Songs verloren, weil sie alles übermäßig stilisieren…

Daltrey: „Ich kann nicht folgen…“

ME/Sounds: Nimm meinetwegen Joe Cocker: Wenn du Cocker ein Telefonbuch zum Singen geben würdest, würde er es genauso singen, wie „With A Little Help“ als wäre es der verzweifeltste Text überhaupt. Am Ende hat sein Repertoire vielleicht „Leidenschaft“, aber es hat keine Bedeutung mehr.

Daltrey: (mißtrauisch): „Ich weiß, was du meinst. Ich mag das, was er macht, aber das ist auch alles, was er macht. Den Schuh muß sich wohl auch Rod Stewart anziehen: in einem fort die eine Stimme… Ich kann das nicht wirklich kritisieren. Ich kann dir nicht sagen, was sie falsch machen; wahrscheinlich trifft das auch auf mich zu. (lacht) Meine Grundeinstellung ist: Wenn ich mich nicht mit einem Song identifizieren kann, wenn ich ihn nicht fühlen kann, dann sing ich ihn nicht. So einfach ist das. Und ich glaube, daß es Sachen gibt, die ich kann und andere Sänger nicht. Da ist eine Sache auf IT’S HARD. ‚Cooks Country‘, wo ich singe: ,people are lonely‘; ich setzte meine Stimme so ein, daß es wirklich einsam klingt. Wenn ich das bringe, okay-wenn ich es nochmal mache, wird es dann zum Klischee?

Als die Who anfingen, konnte ich echt nicht singen; trotzdem mag ich den Gesang von damals, ich würde ihn für keinen Preis der Welt verändern. Ich war damals stolz auf mein Singen, also bin ich es auch heute.“

ME/Sounds: Was geht in deinem Kopf vor, wenn du im Kino sitzt, dir „The Kids Are Alright“ anschaust und dein Leben an dir vorbeiziehen siehst?

Daltrey: „Ein merkwürdiges Gefühl. Fast so, als wenn mich in dem Film eine andere Person spielen würde. Über meine Schauspieler-Aktivitäten kann ich dir alles Mögliche erzählen, weil’s eine völlig andere Art ist, zu arbeiten. Das läuft alles sehr bewußt. Du gehst einfach auf die Bühne und BRRAAAATZ!, verstehst du?

ME/Sounds: Irgendwie hat mich der Who-Film frustriert; ich hatte das Gefühl, daß die Band in das Image gepfercht wurde, das sie selbst entwickelt hat. Der Film wirkte auf mich wie endloses Gitarren-Zertrümmern.

Daltrey: „Ja, wir sind festgenagelt worden. Der größte Fehler, den wir je gemacht haben, war der, nach Keiths Tod einen anderen Drummer zu holen. Ich wollte das nicht. Ich wollte die Gruppe offen halten und wirklich alles probieren. Da waren noch so viele Sachen, die wir hätten machen können. Ich hab versucht, die Band zum Film zu bringen, ich hätte gern Theater gemacht.

Ich glaube, daß Townshend der Einzige ist, der ein wirklich gutes Rock-Musical schreiben kann. Das hätten alles Projekte für die Who sein können. Die Who waren eine einzigartige Kombination kreativer Talente – und deshalb glaube ich wirklich, daß Pete einen Fehler gemacht hat, als er aufgegeben hat. Wir hätten noch so viel machen können. Sachen, die er nicht alleine machen kann und die ich nicht alleine machen kann, aber die wir als Who hätten machen können.“

ME/Sounds: Glaubst du, daß die Trennung absolut endgültig ist?

Daltrey: „Naja, er will nicht mehr spielen. Ich kann’s nicht ändern. Obwohl er bekannt dafür ist, daß er seine Meinung schnell wieder ändern kann!“ (lacht) ME/Sounds: Du wärst also bereit, weiterzumachen ?

Daltrey: „Nicht nochmal mit den Who anfangen, nein; aber ich würde gerne wieder mit ihm arbeiten. Schließlich ist „The Who“ ein Name, ein Markenzeichen, richtig – und es ist bescheuert, so einen Namen einfach wegzuwerfen, nachdem man ihn über 20 Jahre aufgebaut hat.“

ME/Sounds: Was treibt dich jetzt noch an? Was ist deine Motivation? Warum ziehst du dich nicht einfach auf die Farm zurück?

Daltrey: „Das könnte ich nicht. Es gibt so viel zu tun. Zunächst will ich als Schauspieler besser werden. Ich glaube, das Auftreten ist wie eine Droge. Und da ist auch die Angst, wieder arm zu sein. Die Angst, wieder in die Fabrik gehen zu müssen.“

ME/Sounds: Du meinst das ironisch, nehme ich an. Du wirst ja wohl nie wieder in der Fabrik arbeiten.

Daltrey: „Man weiß nie. Wir sind nicht so reich wie die Leute denken. Wir haben viel Geld in den Sand gesetzt und nie so viel verdient wie andere Gruppen. Wir sind immer wieder abgezogen worden. Ich nehme an, ich bin Millionär, aber nur auf dem Papier. Die Angst, arm zu sein, hast du immer. Ich habe fünf Jahre lang in einer Fabrik gearbeitet und werd’s nie vergessen. Himmel nochmal, hab ich ein Glück gehabt!“

ME/Sounds: Welchen Eindruck hast du heute vom Rock-Business? Immer noch so viele Gauner? Glaubst du, es funktioniert wie es funktionieren sollte?

Daltrey: „Es ist etabliert. Ich weiß nicht, was ein junger Musiker heute durchmacht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich da allzuviel geändert hat. Wenn ich heute Teenager wäre, würde ich, glaube ich, nicht Rock ’n‘ Roll-Star werden wollen. Die letzte Band, wegen der ich als Teenager in einer Gruppe hätte sein mögen, waren die Sex Pistols. Seitdem ist das alles eine lächerlich sichere Sache.“

ME/Sounds: Glaubst du, daß die Musik dieselbe Bedeutung hat wie in den 60ern; kann sie noch immer im Mittelpunkt einer Person stehen?

Daltrey: „Ich glaube nicht, weil es nichts richtig Neues gibt. Das ist alles schon mal dagewesen. Aber vielleicht kommt im nächsten Jahr irgendwer und ist genauso frisch wie’s die Sex Pistols waren. Ich sag nicht, daß ihre Musik so neu war – das war sie nicht – aber das Image war’s, und das Image macht 50 Prozent des Rock n‘ Roll aus. Es ist so wichtig, weil ein neues Image mit der alten Musik etwas vollkommen Neues aussagen kann.“

ME/Sounds: Das Image, das dir nach „Tommy“ anhing, machte dich zu einer Zielscheibe für Feministinnen, die Machoposen, die nackte Brust, das Wirbeln mit dem Mikrofon-Ständer…

Daltrey: (winkt ab): „Scheiß drauf! (lacht) Die sind so unglaublich langweilig. Natürlich bin ich für die Gleichberechtigung der Frau. Aber die feministische Bewegung… das sind meist picklige, fette Frauen, die sowieso nicht gebumst werden, (lacht) So kommen sie mir jedenfalls gewöhnlich vor, wenn sie im Fernsehen auftauchen und ihren Senf verbreiten. Was meinst du?“

ME/Sounds: (Es folgt ein langatmiger Monolog, den ich dem Leser lieber erspare – S.L)

Daltrey: „Ich glaub einfach, daß die Feministen die Frauen sehr unweiblich gemacht haben. Aber das solltest du vielleicht aus dem Interview streichen.“

ME/Sounds: Die Anhänger der Who waren, besonders am Anfang, fast ausschließlich männlich. Warum das?

Daltrey: „Wahrscheinlich, weil wir unglaublich häßlich waren. Und wir waren sehr aggressiv. Ich bin sicher, daß es als gefährlich galt, zu einem Who-Konzert zu gehen. Trotzdem gab’s nie viel Gewalt in unserem Publikum. Die Who haben ihren Zuhörern die Gewalt immer abgenommen.“

ME/Sounds: Wie wirst du dich fühlen, wenn du wieder in kleineren Hallen spielst?

Daltrey: „Das macht für mich keinen Unterschied. Bühne bleibt Bühne. Die Who auf Tour, das bedeutet immer unglaublichen Druck. Ein Alptraum. Wenn ich zurückblicke, sehne ich mich ein bißchen nach der Zeit, als du, wenn der Wagen liegenblieb, einfach einen Laster angehalten hast und weitergefahren bist.

Ich hab schon dran gedacht, die Stones zu fragen, ob ich bei ihrer nächsten Tour das Vorprogramm machen kann. Das könnte lustig werden: Sie haben die ganze Verantwortung – und ich hab den ganzen Spaß. Die Stones … die Leute wollen immer noch hin und sie sehen.“

ME/Sounds: Aber viele Leute gehen doch nur zu den Stones, weil sie hoffen, daß sie gerade an dem Abend dabei sind, an dem Keith auf der Bühne tot umfällt.

Daltrey: „Aber das ist das Tolle am Rock ’n‘ Roll!“

ME/Sounds: Findest du wirklich?

Daltrey: „Oh ja! Oh ja! Das ist es, was dich aus dem Sitz hebt. In den frühen Zeiten der Who wußtest du nie, wann es den großen Knall gab. Inzwischen ist alles zu sicher, zu professionell geworden. Aber gerade diese Gratwanderung, diese Gefahr, das ist Rock ’n‘ Roll!“

ME/Sounds: Hältst du diese Einstellung nicht für etwas morbide?

Daltrey: „Nein, nein, nein. Das ist wundervoll.“

ME/Sounds: Finde ich überhaupt nicht. Ich kann schon privat selbstzerstörerisch genug sein – da brauch ich nicht auch noch loszugehen und mir irgendein anderes selbstmörderisches Arschloch auf der Bühne anzugucken. Daltrey: „Aber das ist doch nicht nur Selbstzerstörung, oder? Du gehst doch hin und siehst Keith Richards gewinnen, verstehst du? Er kämpft sich durch, gegen alle Widrigkeiten. Das ist positiv!“