Sarah Kuttner – Die Kolumne


Meine diesmalige Kolumne wendet sich gezielt und mit Schmackes vor allem an meine jugendlichen Leser. Die älteren Leser – also alle ab etwa 45 aufwärts, die freilich die Überzahl meiner Zielgruppe bilden – dürfen diesmal meinen Text schwänzen. Das darin enthaltene Material wird nicht prüfungsrelevant sein, es entstehen den älteren Lesern also keine Nachteile, was eine eventuelle Versetzung 0. ä. angeht. Und überhaupt – was ist das bitte für eine Chance: Durch die Nichtlektüre dieser Kolumne spart man geschätzte zweieinhalb Minuten, die sich für andere gewinnbringende Tätigkeiten nutzen lassen. Zum Beispiel dazu, Sachen vom Boden der Wohnung aufzuheben, die man da schon seit Wochen rumliegen sieht und von denen man sich fragt: Welcher Gegenstand ist das noch gleich? Man kann sich auch einfach zweieinhalb Minuten hinlegen, mir soll das recht sein.

So. jugendliche Leser, wir sind unter uns. Ich möchte meine begrenzte Zeilenzahl diesmal zu einem flammenden Appell nutzen. Jugendliche, bitte bildet wieder Bewegungen! Die älteren unter den Jungen lalso die. die jetzt nicht gerade angestrengt einen soeben aufgehobenen Gegenstand betrachten oder sich hingelegt haben und pennen] erinnern sich vielleicht noch an die Frühphase der Frisurenträgerband Tocotronic. Die sang einst vergnügt den Indie-Schlager“.Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“. Das war in den sagenumwobenen 90ern. Das war vor dem 11. September, vor Klingeltönen, Handys, dem Internet, Castingshows. Franz Ferdinand, Indie für alle und so weiter.

Und damals, so berichten Überlebende, waren die Zeiten schon schlimm genug. Heute ist alles schlimmer – vor allem die Jugendlichen bzw. die schlimmen Umstände, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind: siehe Indie für alle, Internet, blablabla. Diese Jugendlichen sind verwirrt und verwöhnt, sie tragen wahlweise quergestreifte, sehr enge Hosen, oder sie sind vom R’n B versaut und wollen, so wie man früher „irgendwas mit Medien“ machen wollte, „irgendwas mit Porno machen. Ich habe diese Jugendlichen sehr lieb. Ich würde sie jederzeit beim Trampen mitnehmen, sie auf meinem Bett auf und ab hüpfen lassen und ihnen Lehrstellen besorgen, keine Frage.

Trotzdem bange ich um sie. Die Mutterin mir sorgt sich. Ein wenig teile ich ihre Leere und Orientierungslosigkeit. nur dies ermöglicht es mir, so verzweifelt an sie zu appellieren. Habe ich eigentlich überhaupt schon richtig appelliert? Nein, dann also jetzt: Jugendliche, schließt euch zu Bewegungen zusammen! Lasst ein großes Hauruck durchs Land gehen! Es muss noch nicht mal zwingend mit Politik zu tun haben. Es würde schon reichen, wenn ihr euch alle total bescheuerte Klamotten anziehen würdet, die nicht bereits nächste Woche als Abguck-Variante bei H&M hängen. Auch wäre es toll, wenn ihr Musik hören würdet, die nicht schon morgen als Animationssoundtrack unter einem MTV-Beitrag über geiles Shoppen in Skandinavien liegt. Vielleicht würde es auch schon reichen, wenn ihr auf einmal alle total blöd gehen würdet. Auf eine Art, die niemand versteht, die aber Druck macht.

Ich weiß, ich muss grad reden. Ich bin selbst Teil vom Vereinnahmungsapparat und höre selber gern skandinavische Shoppingbeitragsmusik, aber der Wunsch ist ja schließlich der Vater der Porzellankiste oder wie das heißt. Begehret auf! Seid unverständlich! Nervt! Tragt Badehosen auf dem Kopf und boykottiert das Internet! Irgendwie so was! Ich weiß, aus meinen Worten mag Hilflosigkeit sprechen, aber vielleicht ist das ja ein Anfang. Also, lasst uns anfangen!

Und wisst ihr was? Ein toller Beginn wäre es zum Beispiel, die älteren Leser dieser Kolumne einfach nicht mehr aufzuwecken.