Selecter – Wiesbaden, Wartburg


Für die Selecter verliefen die vergangenen Monate über aus ereignisreich. Nach ihrem vielbeachteten Vinyl-Debüt und einer 7-wöchigen US-Tournee kündigte die Band ihre Zusammenarbeit mit Two Tone. Eine Trennung mit Folgen, denn man gibt somit eine schnell erreichte, umsatzträchtige Position auf, katapultiert sich aus dem Blickfeld einer kritiklos konsumierenden Anhängerschar. Für die Band ein freiwilliger Neubeginn, aber auch eine Maßnahme – das offenbart ihr neues Material -, die auf die Dauer unumgänglich war. Denn das Septett aus Coventry ist heute weit entfernt von jenen haltlosen ripoff Ska-Adaptionen, die, mit einem Höchstmaß an Authentizität frisch und unbekümmert plagiiert, einst den Großteil ihres Live-Repertoires bildeten. Die neuen Kompositionen sind teilweise überaus kompliziert aufgebaut, der simple, motorische 2/4 Offbeat taucht nur noch sporadisch auf. Ineinandergreifende Harmonieverschiebungen und Wechsel unterbrechen immer wieder den rhythmischen Melodienfluß, was vor allem der Verdienst des neuen Bassisten, Adam Williams ist. Dessen variantenreiche Funk-Läufe erlauben dem Spektrum der Band wesentlich mehr Expansionsmöglichkeiten, als Charly Andersons stures, eindimensionales Spiel. Während der konzentriert arbeitende Blondschopf dem Sound der Gruppe ein ganz neues Gepräge verleiht, wirkt der Integrationsprozeß des Keyboarders James Mackie noch nicht abgeschlossen. Seine Vorliebe zu orchestralem Mellotron-Ballast erweist sich als ein erheblicher Störfaktor. Anfangs agierte die Band überaus zurückhaltend.

Das neue Material ist subtiler, ausgearbeiteter, komplexer, entbehrt aber dem unbekümmerten Schwung, der Eingängigkeit früherer Tage. Und ist auch bedeutend inhaltsschwerer; Pauline Black muß das sichtlich irritiert reagierende Publikum schon wiederholt darauf aufmerksam machen. „Bombscare“ und „Bristol and Miami“, letzteres bezieht sich auf die fast totgeschwiegenen Rassenkrawalle im britischen Seebad, sind kritische Kommentare zu Energie und Sozialpolitik der Nation. Verständlich, daß die Band konsequenterweise auf Justin Hinds „Catry Go Bring Home“ verzichtet, ein Titel, der atmosphärisch heute sicherlich deplaziert sein würde. Pauline steigert sich im Verlauf der Show, ihr ungezügeltes Temperament reißt die Leute allmählich mit, sie hat wahrlich Personality. Und bei soviel Engagement taut auch der zuvor recht reserviert mit Tambourine und Timbales hantierende ‚Gaps‘ Hendrickson allmählich auf, vermag durch unterhaltsames talkover die Aufwerksamkeit gar auf sich zu lenken. „Stop Your Bloody Spitting“ muß er denn die versammelte Hardcore-Gemeinde zurechtweisen und stellt mit erhobenem Zeigefinger klar: „we’re not a punkband.“ Nun, Aufklärung tat anscheinend not, wurde auch wohlwollend quittiert und spätestens bei „On my Radio“ und „Too Much Pressure“ war dann der ganze Saal geschlossen auf den Beinen.