Sind Plattenstars Hampelmänner?


In der vergangenen Ausgabe von ME sprach ich davon, dass ein Plattenvertrag nicht gleich der ganz grosse Wurf für einen Nachwuchskünstler sein muss. Als Beispiel führte ich einen Sänger an, der schon seit 5 Jahren durch die Lande tingelt und das Zeug hat, eine Platte aufzunehmen. Einen Vertrag hatte er auch schon in der Tasche – allerdings hatte er Mühe, da wieder auszusteigen.

Wenn man den Dreck nicht singen will…

Da heisst es in einem solchen Künstler-Firmen-Vertrag z.B. in § 1, Dauer und Gegenstand des Vertrages: Absatz 1: „Dieser Vertrag tritt am … in Kraft und gilt bis zum … Die Plattenfirma kann ihn vor Vertragsende durch schriftliche Erklärung zweimal um … Jahre verlängern.“ Na schön, aber wie kann der Künstler seinen Vertrag verlängern, wenn er das gerne möchte? Oder wenn er nicht mehr mit der Firma XY will, wie kann er dann aussteigen? Aber es kommt noch viel besser. § 3, Umfang und Durchführung der Aufnahmen. Absatz 2: „Die aufzunehmenden Titel sollen in beiderseitigem Einvernehmen ausgewählt werden; kommt eine Einigung nicht zustande, so trifft die Firma die Auswahl.“ Absatz 3: „Ort und Zeit der Aufnahme werden von der Firma bestimmt.“ Man kann sich jetzt also gut vorstellen, wie es in vielen Fällen zu Produktionen Kommt, hinter denen vielleicht die Firmen, nicht aber die Künstler stehen. Wenn die Firma die Auswahl getroffen hat und der Interpret den Dreck nicht singen will, ist er vertragsbrüchig geworden.

Herr Mummelpitz in der Haifischbranche

Wer das bis jetzt gelesen hat und immer noch den Mut hätte, einen Plattenvertrag zu unterzeichnen und dann eine Platte aufzunehmen, hat immer noch keinen Grund zu jubeln. Da heisst es nämlich unter § 7, Veröffentlichung, Absatz 1: „Die Firma ist berechtigt, die Vertragsaufnahme unter jeder beliebigen Marke/Etikett zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen. Über Zeitpunkt, Art und Form der Veröffentlichung entscheidet die Firma.“ Es könnte also zu folgender Situation kommen: Herr Mummelpitz hat einen ganz ähnlichen Stimmumfang wie der erfolgreiche Künstler Emilio Icks. Die Firma von Icks kriegt davon Wind und nimmt Mummelpitz unter Vertrag, macht eine Produktion mit ihm und stellt fest, dass Mummelpitz tatsächlich wie Icks singt. Um nun den erfolgreichen Icks nicht zu gefährden, lässt sie die Produktion von Mummelpitz in ihren Archiven liegen und veröffentlicht sie erst gar nicht. Zu einer anderen Firma kann Mummelpitz jetzt erst einmal für die Dauer des Plattenvertrages auch nicht mehr – er hat ja die Laufzeit und auch noch zwei Verlängerungen unterschrieben. Ob die Plattenbranche so gemein sein kann und das Talent von Herrn Mummelpitz auf Eis legt? Ja, denn nicht umsonst nennt man die Plattenbranche auch noch die ‚Haifischbranche‘.

Erst mit einem Hit wird alles anders

Aber zurück zu unserem Vertrag, der von einer deutschen Plattenfirma stammt und nicht aus einem Science-Fiction Buch. Um endgültig klarzustellen, was für ein Hampelmann der Interpret einer Schallplatte vertraglich sein kann, will ich noch aus § 8, Name und Abbildung des Künstlers, zitieren. Absatz 1: „Solange die Vertragsaufnahmen ausgewertet werden.

darf die Firma den Namen bzw. den Künstlernamen sowie Abbildungen des Künstlers für Werbezwecke benutzen oder benutzen lassen.“ Absatz 2: „Dem Künstler während der Vertragsdauer von der Firma verliehene Pseudonyme verbleiben nach Vertragsende bei der Firma.“ Schön, nicht? Hat man sich vielleicht unter dem Künstlernamen Peter April einen Namen gemacht und verlängert den Vertrag bei seiner alten Firma nicht mehr, weil die dauernd nur Mist anbieten, den Herr April nicht singen will, kann er bei einer anderen Firma eventuell nicht unter diesem, schon bekannten Namen weitersingen. Es gab in dieser Richtung konkrete Fälle. Peter April muss wohl oder übel vielleicht als Emil Juni weitermachen und sich erst wieder ein Image aufbauen. Wenn die Firma ruft, hat der Interpret auf der Matte zu stehen. Er ist also wirklich nur ein kleiner Hampelmann. Das alles ändert sich natürlich, wenn der Nachwuchsinterpret plötzlich einmal einen richtigen Hit hat und über 500.000 Platten verkauft. Falls er das schafft, kann er die Bedingungen für den nächsten Vertrag aushandeln – aber nur ganz Wenige schaffen das. Der Rest kann sich nur durch Tingeln in Clubs, Diskotheken und anderen öffentlichen Auftritten über Wasser halten. So einen Plattenvertrag zu unterschreiben, kann eine teure Angelegenheit werden.

„Müsste sich Udo Lindenberg bei einem Firmenwechsel in Gerhard Gösebrecht umbenennen?“