Sisters Of Mercy – Flucht aus der Gruft


Sie galten als die Fürsten der Finsternis. Doch seit sich zwei Mitglieder mit The Mission verselbständigten, hat sich der Schleier gelüftet. Mit altem Namen und neuer Partnerin strebt Sisters-Gründer Andrew Eldritch ans Licht. In seiner neuen Heimat Hamburg erläuterte er ME/Sounds seine Erleuchtung.

Andrew Eldritch streicht sich die langen Haare aus dem knochigen 29jährigen Gesicht. Die dunkle Sonnenbrille macht seine britische Blässe noch weißer, es heißt, er habe die Gläser seit Jahren nicht abgenommen. Ein Nachtschattengewächs eben.

1980 hatte er gemeinsam mit dem Gitarristen Gary Marx (heute Ghost Dance) die Sisters Of Mercy gegründet, deren Underground-Gothic-Rock für viele bis heute die Bibel des modernen Lebens ist.

Sisters waren weniger eine Band, eher schon eine Lebenseinstellung.

Trotzdem -— Eldritch ist ein angenehmer Gesprächspartner, leise und ruhig im Tonfall, artig antwortet er, immer mit einer Prise trockenen englischen Humors. Keine Spur von Arroganz. Nur wenn ihm eine Frage nicht gefällt, wird seine Antwort schneidend knapp, zum Beispiel bei der Frage nach seiner Kindheit.

„Langweilig. Peinlich.“

Schon als Kind hatte er nie eine Heimat, sein Vater zog für die Royal Air Force von Standort zu Standort: „Jede Woche, es erschien mir wie jene Woche, mußten wir in eine andere Stadt umziehen. Ich hatte nie ein Zuhause.“

Auch sein Studium -— Chinesisch, Französisch, Italienisch und Deutsch —- führte nicht zur Ruhe, steigerte eher seinen Haß auf die banale Welt, letztendlich der entscheidende Kick, die Sisters zu gründen: „Rache! Rache gegen die Eltern, Freundinnen, gegen die ganze Welt.“

Eine Welt, in der nach dem Zusammenbruch der Supergruppen außer Punk und Pop wenig möglich war.

„Es waren schlechte Zeiten für die Musik, alle wollten in einer Cocktail-Band wie Kid Creole spielen. Alle tranken, nahmen Dope und Koks. Wir wollten etwas bewegen, was total auf Speed basiert. Einmal haben wir, obwohl nur für 15 Minuten Material da war, zweieinhalb Stunden gespielt. Frag nicht wie, es geht. Mit Speed.“

Die großen Plattenfirmen wollten von der düsteren Speed-Musik lange nichts wissen, die Schwestern veröffentlichten die Werke auf ihrem eigenen Label Merciful Release. „Wir konnten niemanden finden, der unsere Platten herausbringt. Aber die Label-Arbeit hat Spaß gemacht, bis heute. Es ist genauso kreativ wie Komponieren und Produzieren.“

Überhaupt arbeitet Eldritch lieber im Studio oder im Büro. Seine Live-Abneigung war denn nach fünf Schwesterjahren auch der Knackpunkt, der zum Split der Band führte.

„Bands gehen nun mal auseinander. Außerdem waren fünf Jahre eine lange Zeit. Natürlich gab es auch konkrete Gründe -— die anderen wollten irgendwann meine neuen Lieder, wie ‚Torch‘ z.B., nicht mehr spielen. Craig und Warne (beide jetzt The Mission) sagten, die Chorgesänge seien verrückt. Vor allem aber wollten sie dauernd auf Tour gehen, daheim langweilen sie sich zu Tode. Ich hasse es, unterwegs zu sein.“

Im Proberaum trafen sich die Sisters ein letztes Mal, Craig und Wayne weigerten sich, „Torch“ zu spielen.

„Der Song hat etwas ausgefallene Akkordwechsel, Craig fand sie bescheuert. Er meinte: ,Sowas spiele ich nicht, ich gehe nach Hause.‘ Und da blieb er.“

Wayne und Craig gingen nach London, um ihre Songs zu verkaufen, die Plattenmanager aber wollten immer nur Eldritch. Mit dem Verkaufsargument „Sisters Of Mercy“ kamen sie auch nicht weiter: Eldritch verbot es ihnen per Anwalt.

Als es das abtrünnige Duo unter dem ähnlichen Namen „The Sisterhood“ versuchte, war der Sänger wieder einmal schneller: „Die beiden halten schnell eine Tour als Vorband für The Cult organisiert. Aber ich habe binnen fünf Tagen die LP GIFT unter dem Namen „Sisterhood“ eingespielt. Deshalb gehören mir jetzt auch diese Copyrights.“

„Ich wünschte, es würden mehr Frauen in Bands spielen.“

Wie bei barmherzigen Schwestern geht es nicht gerade zu: das Verhältnis zwischen den Musikern ist bis heute alles andere als normal: „Ich spreche mit ihren Anwälten, die schicken mir dauernd dämliche Briefe. Wenn die beiden damit aufhören, rede ich auch wieder mit ihnen. Einmal habe ich sie live gesehen —- es klang wie eine schlechte Kopie von Echo & The Bunnymen.“

Kein Wunder also, daß sich der Live-scheue Eldritch lieber in sein Studio verkriecht und produziert. So ist auch sein neues Albaum FLOOD-LAND entstanden: Gitarre und Keyboards spielt er selbst, den Baß bedient Patricia Morrison (Ex-Gun Club).

Vor allem die enge Zusammenarbeit mit der amerikanischen Bassistin ist Eldritch gut bekommen: „Sie ist für mich wie ein Turm der Kraft. Immer schon habe ich auf das Urteil von Frauen mehr gegeben. Ich wünschte, es gäbe mehr Frauen, die in Bands mitspielen und auch als Toningenieur arbeiten.

Nach all den Jahren auf Tour, wo Frauen nur dazu da sind, um nach den Gigs durchs Bett gezogen zu werden, mußte ich unbedingt auch in dieser Hinsicht etwas Konstruktives tun. Das war schlimm -— immer wieder vom Bett auf die Bühne und zurück ins Bett, am Schluß war die weibliche Hälfte des Publikums nur noch Viehfutter.“

Jetzt ist das alles anders, mit Patricia verbindet ihn ein freundschaftliches und kollegiales Verhältnis, nicht mehr: „Ich glaube, es ist ganz normal, daß man uns in der Öffentlichkeit als Paar sieht. Jeder glaubt, daß man Frauen nur deshalb in eine Band reinnimmt, weil man mehr von ihnen will als nur Musik zu machen. „

Die Sisters, zum kreativen Duo geschrumpft, sind auf dem Cover folglich nur noch durch Patricia und Andrew vertreten. Die Abmagerung hat dem Gruft-Bariton nicht geschadet -— es gibt neue, kommerziellere Songs zu hören, vollmundig produziert von Jim Steinman (Meat Loaf). Nur der Schlagzeuger wirkt —- wie immer -— etwas mechanisch. „Er heißt Doktor Avalanche und ist mein ruhmreicher Drumcomputer.“

Jim Steinman war es auch, der dem Single-Hit „This Corrosion“ den nötigen Bombast-Mantel umhängte. Im Gegensatz zu den spärlicher instrumentierten Songs wie „1959“ und „Flood I“ wirkt die Single, als habe Eldritch jahrelang nur Klassik gehört. „Dieser Song ist total doof, aber genial doof genau das, was ich machen wollte. Man muß die Dummheit von Musik erkennen, Jim Steinman hat diese Dummheiten immer erkannt. ‚This Corrosion‘ ist extrem dumm, aber nichtsdestotrotz wundervoll, genauso wie ,Bat Out Of Hell‘ von Meat Loaf.“

Den größten Teil der Songs auf FLOODLAND hat Eldritch —ganz der Einzelkämpfer — aber selbst produziert. „Leider. Ich hatte einen Produzenten, aber den mußte ich feuern. Deswegen habe ich alles selber gemacht, das war sehr anstrengend. Irgendwie verliert man dabei außerdem den Überblick, den Abstand zu den Songs.“

„Hamburg ist der Ort, wo Leute wie ich auf die Straße gehen können.“

Nach Sisters Of Mercy klingt es aber allemal, wenn auch die Bandbreite der Songs größer geworden ist. Teilweise treten extreme Gegensätze auf: „Stimmt -— aber so muß Musik sein. Und man hört doch, daß überall ein und die selbe Person dahinter steckt. Gegensätze sehe ich auf FLOODLAND nicht. ,This Corrosion‘ klingt wie ‚Temple Of Love II‘, ‚1959‘ klingt wie ‚Afterhours Part 2.‘. Ich sehe da keinen Bruch zu früher, keine wirklich neue Entwicklung. Ich finde, daß ich da weitergemacht habe, wo ich aufgehört habe.“

Freunde der Sisters werden weiterhin auf Konzerte der Oberschwester verzichten müssen. „Ich werde auf keinen Fall live spielen“, würgt Eldritch ab, der sich zur Zeit lieber in seine Hamburger Wohnung zwischen den Docks und der Reeperbahn zurückzieht. In fließendem Deutsch beendet Eldritch das Gespräch:

„Hamburg ist der Ort, wo Leute wie ich auf die Straße gehen können und nicht für das angemacht werden, was sie tun. „