Der Zustand von Craig Nicholls hat sich seit unserem letzten Treffen dramatisch verschlechtert. Wirkte er im Juni bereits etwas desorientiert, so ist er am Nachmittag vor dem Konzert in München bedenklich abwesend. Als er zum Interview ins Hotelzimmer geführt wird, ist er bleich, seine Augen sind fast geschlossen. Er hat den Kopf in den Nacken gelegt und grüßt mit entrücktem Lächeln, schlaffem Händedruck und „Hello, hello, hello“. Er lässt sich in einen Sessel fallen, reibt die Hände über Gesicht und Haare und gibt dabei unkoordinierte Laute von sich. „I like chocolate“, sagt er plötzlich, es folgt ein Monolog über Gorillaz. Inzwischen haben sich ein blondes Mädchen, das ihm offenbar auf Schritt und Tritt folgt, sowie eine Vertreterin der Plattenfirma auf dem Bett des Zimmers niedergelassen. Beide werden dem Interview in voller Länge beiwohnen. Kurzum: Nicholls befindet sich im fortgeschrittenen Crazy-Rockstar-Stadium. Erst als er direkt angesprochen wird, mobilisiert er einen Rest von Konzentration, um sich durch ein Gespräch zu hangeln, das einige Male zu zerfallen droht.

Im Juni hattest du die Nase vom Touren voll. Seither warst du fast jede Nacht auf der Bühne …

Dafür werde ich nicht so fett, obwohl ich Junkfood esse. Ich kann jetzt besser damit umgehen. Ich werfe einfach öfter Sachen aus dem Fenster, (greift blitzschnell nach einer Hotelbroschüre und wirft sie aus dem Fenster. Das Aufnahmegerät wird in Sicherheit gebracht.) Nein, ich hab einfach einen Hirnschaden. Nächstes Frühjahr wollen wir ins Studio gehen.

Wie viele Gitarren hast du schon zerstört?

Etwa fünf in diesen sieben Monaten jetzt auf Tour. Ich habe null Respekt für Gitarren. Sie sind keine Instrumente. Sie sind Werkzeuge.

Hast du dich auf der Bühne je verletzt?

Nicht ernstlich. Ich habe immer Schnitte an den Armen, Händen und Schienbeinen. Jeder muss tun, was er tut, oder? (rüttelt am Fenster und überprüft halbherzig, ob es sich aus den Scharnieren heben lässt)

Hast du den neuen Nirvana-Song gehört?

Ja,ja. Ich finde ihn wirklich … fuckin … exzellent.

Wie alt warst du. als du Nirvana entdeckt hast?

15 oder 16. Davor fand ich ein paar australische Bands gut. Als ich auf Nirvana kam, hab ich erst wirklich Musik für mich entdeckt. Es war unglaublich.

Wie weit ging deine Verehrung für Cobain?

Ich bin sicher, dass ich Poster hatte. Aber sonst… Ich fand einfach seine Songs wirklich gut. „Nevermind“ war fantastisch. Ich hab aber auch Beatles gehört, vor meiner Kinks-Phase, noch weit vor Supergrass. Aber Nirvana hatten etwas Besonderes, ich weiß garnicht, was. Vielleicht hatte das was mit Teenangst zu tun.

Ihr wurdet als“.beste Band seit Nirvana bezeichnet.

Als Band wollen wir natürlich, dass die Leute denken, dass wir gut sind. Aber wir wollen ihnen nicht vorschreiben, was sie denken sollen. Wir wollen auch nicht, dass das andere Leute tun. Aber welche Kontrolle hab ich da schon? Dazu kann ich nichts sagen.

Würdest du dich als Künstler mit Cobain vergleichen ?

Na ja, er und die Band haben mich inspiriert und beeinflusst. Eine Parallele ist vielleicht, dass es uns ernst ist. Die Songs sind nicht immer Liebeslieder, wie man das von 90 Prozent der Fabrik-Musik kennt. Aber ich will wirklich darüber nichts sagen. Nur vielleicht: Ich mag die Musik. Und ich mochte dann auch die Bands, die Nirvana mochten. Ich weiß, dass Nirvana sehr von den Pixies beeinflusst waren. Und dann höre ich bei ihnen einen großen Beatles-Einfluss. Obwohl es etwas ganz anderes ist – irgendwas ist ähnlich. Vielleicht, dass es ihnen wirklich um Leben und Tod ging.

Machst du aus denselben Gründen Musik wie Cobain ?

Eher nicht. Ich hab keine allzu schweren Sachen durchgemacht. Gleich ist die Wertschätzung von Musik und ihrer Wirkung. Und dass dir klar wird, dass du da beteiligt sein willst. Dass du aber Musik nicht machen willst, um auf dem Cover eines Magazins zu sein oder in Limousinen kutschiert zu werden. Sondern weil etwas in dir Feuer gefangen hat.

Wenn deine Kindheit nicht besonders schwer war komponierst du dann technischer als Cobain ?

Vermutlich. Wir gehen aber alle jeden Tag durch unsere ganz eigene Hölle, also weiß ich das nicht so genau. Ich kann dich nicht belügen, sagen: „Ja, lustig, gründe einfach eine Rockband.“ Obwohl wir am Anfang schon naiv waren. Ich hatte keine Ambitionen. Jetzt hab ich vergessen, was du mich gefragt hast.

Über deinen künstlerischen Ansatz.

Oh, ja. Es gibt keinen Ansatz. Es passiert, wenn es passiert. Man kann das eh nicht erzwingen. Aber für mich geht’s in einer Band nicht um Saufen und so. Das ist eine Kunstform. Ich will besser werden. (Der Tourmanager schaut mit einer prallen McDonalds-Tüte zurTüre herein. Craig verbeugt sich wie ein buddhistischer Mönch und verschwindet mit Frau und Fastfood im Zimmer nebenan.)