Sonntagskind


Alles «liegt Ihm zu – die Hits genauso wie die Herzen der Frauen. Doch der smarte Brite, neuerdings Schweizer Staatsbürger, läßt sich vom Erfolg nicht korrumpieren. ME/Sounds-Mitarbeiter Teddy Hoersch traf den eigenwilligen Dandy in Montreux Aiways… you re prellv as a ßower“, lügt Charmeur Robert. Das Kompliment gilt einem diätdürren Gespenst mit auftoupierter Farah Fawcett-Mähne. Robert erhebt sich aus seinem Sessel, um dem ledergewandten Geschöpf seine Aufwartung zu machen. Nicht nur Bauknecht weiß, was Frauen wünschen …

Robert Palmer auch. Der 39jährige Brite — aufgewachsen in Malta, nach langen Jahren auf den Bahamas jetzt wohnhaft am Corner See — handelte sich schon früh das Image eines charmanten Machos ein. Im neuen Video zu „Simply Irresistible“ wird kein Klischee ausgelassen: Wet T-Shirt-Contest, Miss Busen, Damen in engen Leibchen als hübsches Mobiliar. Auf dem Cover des Frühwerks PRESSURE DROP zeigte eine Schöne auf hohen Hacken ihre Kehrseite, nackt! Ein grinsender Robert lächelte vom DOUBLE FUN-Cover — zwei Bikini-Häschen verhießen doppelten Spaß in AIDSfreien Zeiten…

Palmer ist mit seinem Auftritt zufrieden und lehnt sich in den Sessel zurück. Die spindeldürre Lederbraut verzieht das Gesicht, als habe sie auf eine Zitrone gebissen. Sie gehört zu dem Moderator, der das Vergnügen hat, mit Palmer vor der Kamera zu parlieren. MTV-Interview mit Zwischenspiel.

Seit Roberto mit „Addicted To Love“ die US-Charts anführte, zählt er im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu den happy few: Der singende Smartie machte stets, was ihm paßte. „Erfolgsdruck nach .Addicted To Love‘? Kenne ich nicht. Dieser Begriff kommt in meinem Vokabular nicht vor.“

Palmer hatte allerdings auch immer eine kreative carte blanche. Jahrelang ließ ihn Mentor, Freund und Island-Besitzer Chris Blackwell nach Lust und Laune schalten und walten. Wenn er in New Orleans mit den Meters einen Allen Toussaint-Song („Sneakin‘ Sally Through The Alley“) aufnehmen wollte, dann gab’s keine Enwände. Wenn er die Little Feat-Mannschaft anheuerte, um PRESSURE DROP zu veredeln, dann bekam er grünes Licht. Von Kritikern wegen seiner gewagten White Soul-Experimente gelobt, von der großen Masse ignoriert, ließ Palmer seiner künstlerischen Neugier stets freien Lauf. Meist ohne große Hit-Ausbeute. Solange er seinem Faible für maßgeschneiderte Anzüge frönen konnte und dann und wann Top-20Plätze belegte, waren beide — Künstler und Island-Chef — zufrieden.

„Solange Chris Blackwell sich in der Hauptsache für Musik interessierte, verlief unsere Partnerschaft völlig harmonisch. In den letzten Jahren allerdings stürzte sich Chris ins Filmgeschäft und setzte andere Prioritäten. Anfang ’88 haben wir ganz offen verhandelt, und schließlich habe ich mich dazu entschlossen, zur EMI zu wechseln. Das Schöne ist, daß die EMI zwar ein großer Apparat ist, aber andererseits auch eine verschworene Familie.

Es gab zwischen Chris und mir keinerlei Streit. Wir trennten uns als Freunde. Aber wenn meine Mutter jetzt anruft und sagt, daß sie die neue Platte von mir nicht im Laden findet, dann muß es an mir liegen …“

Apropos neue Platte. Palmer bringt als Einstands-Album für seine Company ein Werk mit, das widersprüchlicher nicht sein könnte: HEAVY NOVA. Wie man aus dem Namen schließen kann, eine krude Mixtur aus „Heavy Metal“ und „Bossa Nova“. Da grinst Robert.

„Tja, daraufhabe ich lange hingearbeitet. Ich war ja schon immer ein Wanderer zwischen den Welten. Von Rock bis Reggae, von Juju bis Cajun, von Soul bisR&B habe ich so ziemlich alles für meine Zwecke eingesetzt, was mir passend erschien.

Bei all dem hat sich mein Gesangsstil wenig verändert. Nur, daß ich heute ganz bestimmte Gefühle besser ausdrücken kann als früher. Darum bin ich überhaupt Sänger — um Gefühle in Musik zu übersetzen.

Schon früher haben die Musiker über meine Vorstellungen oft den Kopf geschüttelt. Diesmal hielten sie mich für glatt verrückt. Sicher es ist ein wenig gewagt, ein Cajun-Akkordeon mit einer Heavy-Gitarre zu ehelichen, aber warum in drei Teufels Namen nicht?“

Inzwischen, so findet er selbstbewußt, hat er die nötige menschliche und musikalische Reife zu solch stimmungsmäßigen Bocksprüngen. Jüngster Plan: Ein Album vollgepackt mit durchorchestrierten Balladen, produziert von Miles Davis‘ langjährigem Partner Teo Macero und Arrangeur Ciaire Fischer. „Ich habe kürzlich mit den beiden verhandelt und die Sache dann delegiert. Irgendwann erhalte ich einen Anruf daß es soweit ist …“

Ein zufriedener Mann sitzt da vor mir. Einer, dem nach dreijährigem Ritt auf dem Amtsschimmel endlich die Schweizer Staatsbürgerschaft ¿

zugesprochen wurde. “ Wie du weißt, lebte ich jahrelang in Nassau auf den Bahamas. Aber innerhalb von nur zwei Jahren wurde diese schöne Karibikinsel zum Drogen-Umschlagplatz Nummer eins. Die Kriminalität stieg in ungeahnte Höhen, und zum Schluß fühlte ich mich in New York sicherer als zuhause.“ Sagt’s und zieht die Nase hoch.

Der seit Jahren verheiratete Beau lebt heute am Corner See in einem „Traumhaus“. Auf den Bahamas konnte er dank Satellitenschüssel 200 TV-Programme empfangen. Jetzt genießt der Stilbewußte eidgenössische Beschaulichkeit und seinen Ruf als singender Pop-Gentleman.

Palmers Weg begann in London bei einer Truppe namens Mandrake, führte über das Alan-Bown Set zu Dada und hielt dann bei der ersten Karriere-Station: Vinegar Joe. Nach drei Alben war die vielgelobte Combo — mit Elkie Brooks als Roberts Vokalpartnerin — am Ende. Seit dieser Zeit gibt’s den Solisten. Und der macht von Jahr zu Jahr eine bessere Figur. Er erhält nicht nur Demo-Cassetten aus aller Welt, tritt nicht nur als Produzent (Moon Martin, Desmond Dekker, Peter Baumann) in Erscheinung, sondern wird auch von James Brown zu einer „Detroit-Jam“ mit Freunden eingeladen.

Wer glaubte, daß der weiße Mann neben dem schwarzen Godfather abstinken würde, mußte sich eines Besseren belehren lassen. Palmer gab nicht den devoten Schüler. Er stand da eins zu eins neben dieser Legende. “ Wäre diese Einladung ein paar Jahre früher gekommen, hätte ich mir vermutlich in die Hosen gemacht. So aber hatte ich richtig Bock drauf. Singen mit James Brown? Klar doch!“

Brown, so erzählt Robert Palmer geschmeichelt, hätte ihn in seiner unnachahmlichen Weise gelobt: “ You’re okay youngfella.. ..'“

Daß der Soul-Nestor als potentieller Frauenmörder in die Schlagzeilen geriet, interessiert den Briten nicht. “ Ob er ein Kinderschänder oder Frauenschänder ist, interessiert vielleicht die Boulevardpresse. Ich weiß nur eins: Menschen, die sich einer Sache total verschreiben, ob sie nun Schuhe anfertigen oder Songs singen, haben mein vollstes Verständnis.“ Palmer steckt sich erneut eine Zigarette an.

Vorfreude auf die kommende Welttournee? „Ja, genau. Es ist ganz simpel: Warum leckt sich ein Hund die Eier. Weil er’s kann!“