South Side Festival Neuhausen


Überdosis Rock: Eine Woche nach dem Ring ist immer noch keine Ruhe.

Der Arzt hat gesagt, daß da eine Überdosis passieren kann, zwei Wochenenden hintereinander auf große Rockfestivals. Jetzt stehen wir vor Chris Cornell, der „Spoonman“ singt, wie früher bei Soundgarden. Heute singt er es mit der Alt.Rock-Supergroup Audioslave, und Rage-Against-The-Machine-Gitarrist Tom Morello spielt quietschige Soli dazu. Später rappt Cornell „Kilting in The Name“, und Morello quietscht Soli dazu. Neben diesen 90s-Evergreens haben Audioslave keine Songs mit Wiedererkennungswert, werden aber gefeiert wie Weihnachten. Erstaunlich. Wie später der in Anbetracht der nicht eben flockigen Zugänglichkeit ihrer Musik gigantische Andrang bei System Of A Down. Deren halsbrecherische Prog-Metal-Artillerie säuft hier im Gegensatz zur Hallenshow netterweise nicht im Soundbrei ab. Powerchord-Moratonum zwischendurch bei Beck: Dessen Bühnenshow ist nicht so exzentrisch wie zuletzt, aber Einlagen wie die Band während eines Solo-Akustik-Teils auf der Bühne „Brotzeitpause“ halten zu lassen, worauf die irgendwann anfangen, mit Getrommel und Gerassel auf Gläsern, Tellern etc. an ihrem verkabelten Tisch einzusteigen, hat man selten. Und überhaupt.

Dann, oh, ah, New Order. Wer jetzt würdige eiderstatesmen erwartet, die mit kühler Eleganz die Chose hier in die Tasche stecken, kriegt, wie alle anderen auch: Bernard Sumner, der albern hüpft und mit wackeliger Stimme irgendwo rumsingt, nur nicht in sein Mikro, was dem Garagen-Gewummer der Band nicht weiterhilft. Sowie die ästhetische Zumutung Peter Hook, der enghosig-breitbeinig post wie beim Jethro-Tull-Tribute. Dazu verschlockrockte Joy-Division-Songs und prollige Ansagen. Eine kleine Katastrophe.

Mehr Licht und Schatten am Samstag: Daß die virtuos zusammengeborgten 60s-Rock-Ohrwürmer vom neuen Album Horse fabulous der fabulösen Stands auch in der abgespeckten Trio-Besetzung wirken, spricht für sie. Trotzdem täten Orgel und Harmoniegesänge dem Ganzen gut. Die diesen Sommer omnipräsenten Madsen stehen derweil auf der Green Stage dem bisher größten Publikum ihrer Karriere gegenüber – und nehmen es furchtlos auf die Hörner. Da ist Schwung drin, ganz im Gegensatz zum Auftritt des abgespannten Brendan Benson. Sehr hatte man sich gefreut auf ihn, der vor zwei Jahren hier alle aus den Socken haute. Und jetzt? Schludrigkeit. Vier Mikros und kein Harmoniegesang. Ein verhunztes „Metarie“. Lauter so Sachen. Dann lieber rüber zu den Eagles Of Death Metal. Da sitzt zwar nicht Josh Homme an den Drums, aber Jesse Hughes ist so ehrlich begeistert über die tanzenden Massen („We love you so Hard“), daß einem warm ums Herz wird beim schön schrottigen Stakkato-Rock. Moneybrother ist höflich [„Guten Tag! Ich bin der Moneybrother.“), Kettcar besorgt {„Hier vorne steht ein kleines Mädchen, das schon die ganze Zeit weint. Was ist denn nur las? Wir wollen doch Freude verbreiten.“), Sarah Bettens soll bitte weggehen. Mando Diao sind toll wie wohl immer, Wir Sind Helden wuppen gigantische Publikümmer mittlerweile routiniert. Dann wird gerockt. Andere Bands sind hart, schnell, laut. Queens Of The Stone Age sind heavy. Josh Homme steht da oben im Gegenlicht wie Robert Mitchum in „Die Nacht des Jägers“, die Riffs nageln, die Gitarren summen wie böse Killerbienen. „Are you alright?“, fragt Homme/Mitchum alle paar Songs. Und nagelt weiter. Vermißt jemand Nick Olivieri?

Wortkarge Männer auch bei Oasis auf der Blue Stage. („Is everybody fookin freezin? It’s cold, innit?“ Das geht bei Noel G. als launiges Geplauder durch, Liam zeigt Becherwerfern Stinkefinger – kann ja nichts schiefgehen. Tut’s auch nicht. Mit so einer Greatest-Hits-Revue Idas lang vermißte „Wonderwall“ gar) könnten die alt werden. Zu „Champagne Supernova“ dann noch einen Crowdsurfer ins Kreuz, und das Festivalfeeling ist komplett. Und die Arzte? Routiniert. Man merkte vor allem beim Wortgeplänkel, dem es deutlich an surrealem Witz fehlte, daß sie derzeit nicht touren, nicht eingespielt sind.

„We re gonna playa whole bunch of crazy fast shit. Try and keep up“, kokettiert tags drauf Mike Patton mit der wohlkulfivierten Freakyness seiner Allstarcombo Fantomas. Das Konzert klingt, als würde jemand in einer Stadt mit seltsamer Radiolandschaft ständig die Senderskala auf und ab scannen. Unkonsumierbar, ultimative Angebermusik. Aber auch pervers wohltuend anders inmitten der Viervierteltaktparty hier. Drüben ravet sich derweil alles weich zu den crazy Beats von, äh, 2raumwohnung. Sie sind der einzige Dance-orientierte Act des ganzen Festivals. Sollte uns das zu denken geben? Wir finden: Ja. Und lassen uns dann von Muskelmann Trent Reznor und seinen Nine Inch Nails mit ihrem Kraftraum-Gummizellen-Industrial-Prog durchnudeln. Mehr positive Vibes gibt’s bei der diesjährigen Sensations-Reunion nebenan: Dinosaur Jr.! J Mascis gniedelt und soliert, daß es eine Pracht ist – beim finalen „Mountain Man“ verschwimmen die Grenzen zwischen Mascis und Malmsteen -, Lou Barlow bollert daneben am Baß – und sie schlagen sich nicht gegenseitig die Köpfe ein! Das machen die löblich geschichtsbewußten Jung-Indierocker in der Moshpit. Am Ende eben Rammstein. Budenzauber, Splatter-Sketche, doofe Musik. Unterhaltsam, aber als Festivalfinale in seiner Rohheit einfach unpassend. Als würde man nach einer rauschenden Hochzeitsparty noch dem Vater der Braut beim Kacken zusehen. So fahren wir heim. Knapp an der Überdosis vorbei.

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