Spaßgesellschaft tot ist, wird erst das Jahr 2002 zeigen. 2001 war die Re-Politisierung der Popkultur bestenfalls eine zarte Ahnung.


Street fighting men: Trotz harter Zeiten: Im Popjahr 2001 war Protest oft nicht mehr als eine Pose.

Jan Delay – war da nicht was? Doch, da war was. Politrebellentum war sexy 2001 und als der „Jan Soul Rebel“ Anfang des Jahres in einem Interview die Morde der RAF-Terroristen rechtfertigte, konnte man das als einen der im Kulturbetrieb üblichen, publicitywirksamen Tabubrüche abtun. Am Jahresende sind solche Politclownerien gar nicht mehr sexy, und Eißfeldt steht als einer, der den Terrorismus als Mittel der Politik gerechtfertigt hat, ziemlich böse da.

Dazwischen lag dem. September, und zumindest in punkto Widerstand gegen den globalisierten Kapitalismus ist wirklich nichts mehr, wie es vorher war: Mit ihrem grauenhaften Anschlag auf Washington und das World Trade Center hatten Bin Ladens Fundamentalisten das Symbol des weltumspannenden Kapitalismus zerstört und damit einer neuen Protestbewegung auf perfide Art und Weise den Wind aus den Segeln genommen. Nach den Attentaten durfte ein Feind der USA unter keinen Umständen zum Freund werden: Wer jetzt gegen das umweltpolitisch und weltwirtschaftlich öfter mal egozentrische Handeln der USA auf die Straße ging, befand sich plötzlich in denkbar schlechtester Gesellschaft der islamistischen Terroristen und hätte zudem auf einen schwer angeschlagenen Gegner eingeprügelt. Apropos Prügel: Das Thema Gewalt als Mittel der politischen Willensäußerung hatte bereits vor dem n. September eine erstaunliche Präsenz in den Medien. Stichwort Straßenkämpfe. Joschka Fischer musste sich für seine Putztruppe rechtfertigen, gejagt von einigen Boulevardmedien, die bestrebt schienen, alte Feindbilder aus den späten 60-er Jahren wieder zu beleben.

Auch die Kritik am globalisierten Kapitalismus geriet 2001 zum medialen Dauerthema, wobei sie eindeutig an Profil gewann: Je mehr die Herren der New Economy ihre Entscheidungen in den festungsartig gesicherten Hinterzimmern von Seattle, Tokio oder Göteborg auskartelten, umso deutlicher gaben die Globalisierungskritiker den Verantwortlichen weltumspannender Ungerechtigkeiten ein Gesicht. Der minuziös organisierte Protest feierte publicityträchtige Erfolge, in Seattle legten die Demonstranten zeitweise eine ganze Konferenz lahm. In den Medien hatte man den Lenkern der großen Industrienationen ohnehin längst die Show gestohlen, selbst, wer nicht unbedingt die politischen Anliegen der Globalisierungsgegner teilte, konnte im klassischen „David-gegen-Goliath“-Szenario durchaus Sympathien für die Underdogs entwickeln.

Das Bewusstsein, da» viele Einzelne auch jenseits der Repräsentation durch Parteien politische Wirkung erzielen können, steigerte sicher die Lust am Widerstand. Für 20- bis 30-Jährige, die aus einer immens individualisierten – und politisch wenig engagierten – Gesellschaft stammen, war das „Gemeinsam sind wir stark“ sicher eine ganz neue Erfahrung. Aber auch die Straßenkämpfer des Jahres 2001 hatten bald ihren Benno Ohnesorg zu beklagen: Carlo Giuliani hieß er, und zum hohen Preis seines Todes wurden in Italien Polizeistaats-Tendenzen sichtbar. Genua war das Altamont des Anti-Globalisierungsprotests.Trotzdem: Die Euphorie und Aufbruchstimmung innerhalb der Protestbewegung schien kaum zu bremsen.

Umso überraschander, dass die Lücke zwischen Protest und Popkultur im Jahr 2001 dennoch nicht geschlossen werden konnte. Manu Chao, in Südamerika wegen seiner revolutionären Botschaften als singender Freiheitsheld verehrt, wird in Europa als folkloristisch-hippiesker Wandergitarrist wahrgenommen. Weniger harmlos wirkten neben den notorischen Goldenen Zitronen die Soul Rebels von Superpunk, die den Bekehrungswillen und Enthusiasmus von Soul mit proletarischer Aufmüpfigkeit mischten; Blumfeld geißelten mit der schneidenden Stimme des Staatsanwaltes und Zeilen wie „Medien helfen beim Dummsein, ein starker Staat beim Stummsein“ die „Diktatur der Angepassten“. Und die Zweckgemeinschaft der Brothers Keepers reagierte gegen rassistische Ausgrenzung ganz Black-Panther-like als ein Kollektiv afrodeutscher Musiker.

Eine Bewegung wird aus den Einzelkämpfern des politischen Pop damit noch lange nicht. In der viel zitierten Spaßgesellschaft ist offenbar noch wenig Platz für Künstler, die nicht ausschließlich Hedonismus und Eskapismus zelebrieren. Dabei gibt es genügend Missstände, über die zu singen sich lohnen müsste. Und seien es nur die drei „s“ im Wort „Missstand“.