Spiel ohne Grenzen


Achtung Baby! U2 kommen nach Deutschland. Fünf mal öffnet der "PopMart" seine Pforten. Ein Spektakel der Superlative, ME/Sounds nennt die Höhepunkte und die Schwachstellen der Show. Dazu ein offenes Interview mit "PopMart"-Chef Bono.

Mit der „PopMart“-Show wollen U2 neue Maßstäbe setzen. Haben sie sich dabei vielleicht zu weit aus dem Fenster gelehnt?

U2 haben für ihre „PopMart“-Tour weder Mühe und erst recht keine Kosten gescheut. „PopMart“ dürfte als eine der aufwendigsten Tourneen aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Paar Zahlen gefällig? 250 Techniker und Bühnenarbeiter begleiten die Band permanent auf ihreri4monatigen Tour, die Bono und Co. von Nordamerika über Europa nach Asien und Südamerika führt. 500 Tonnen Equipment – darunter 35 Kilometer Kabel, 60 riesige, orangefarbene Lautsprecher und 20 Flagscheinwerfer – werden von 75 Trucks und einer Boeing 727 durch die Gegend gekarrt, während die Mannschaft in 16 Bussen folgt. Die Band jettet im Privatflieger hinterher. Das Soundsystem hat über eine Million Watt und wiegt allein schon 30 Tonnen. Insgesamt sorgen 149 Lautsprecher für den guten Ton in den Stadien. Die optische Umsetzung übernimmt unter anderem eine gewaltige Projektionsfläche (20 x 60 Meter). Kosten des gesamten Unterfangens: 215.000 Dollar pro Tag. 100 Stadien sollen im Verlauf der Tour gefüllt werden. Geht die Rechnung auf, klingeln am Ende 225 Millionen Dollar in der Kasse.

Ganz nebenbei unternehmen U2 auch noch den ungeheuerlichsten Drahtseilakt, den eine alteingesessene Band heutzutage wagen kann: Sie singen dem Publikum vor „Wir sind jung und modern“, und die Fans sollen antworten „Darum haben wir Euch gern .Bislang sind die Ticketverkäufe – ähnlich den „Pop“-Albumverkäufen – allerdings nicht gerade sensationell.“Pop“ ist für U2-Verhältnisse relativ schnell in mittlere Chartregionen abgerutscht. Zudem war so manche amerikanische Show alles andere als ausverkauft. In San Diego und Denver waren die Stadien zum Beispiel gerade mal zur Hälfe gefüllt, vier Konzerte mußten abgesagt werden. In Deutschland wurden die Fantastischen Vier (s. Gastspiel) engagiert, um die schleppenden Vorverkäufe anzukurbeln. Bereits bei ihren letzten Gigs hierzulande, im Rahmen der „Zooropa“-Tour, holten U2 sich mit den Toten Hosen erklärte Publikumslieblinge an Bord.

Haben sich U2 zu weit aus dem Fenster gelehnt? Vielleicht. Vielleicht war es vermessen zu glauben, mit einem auf neue Fans ausgerichteten Album auch gleichzeitig Stadien auszuverkaufen. Vielleicht ist der Gedanke, ältere Herren wie U2 im Techno-Gewand zu sehen,für die jüngere Generation einfach nicht reizvoll genug, um dafür 80 Mark hinzublättern. Aber das kann man der Band nicht vorwerfen. Im Gegenteil, es zeugt von Courage. Und daran mangelt es heutzutage schon genügend Bands. Nein, was man der Band vorwerfen kann, ist eine stellenweise unausgegorene Show. Ein Mega-Event.das im technischen Bereich zwar brilliert,jedoch immer dann die Balance verliert, sobald das menschliche Element hineinspielt, sobald es um die Präsentation der Band selbst und um Auswahl und Vortrag der Songs geht. Sicher, es gibt viele hervorragende Momente. Freude kommt auf, wenn nach dem trefflichen Anheizer „Pop Muzik“ von M nahtlos „M0F0“, eine einwandfreie Tanznummer vom neuen Album, erklingt.

U2 gehen neue Wege. Das zeugt von Courage. Und daran mangelt es schon genügend Bands.

Freude kommt auch über den brillanten Sound auf. Und Augen und Mund öffnen sich vor Staunen und Verzückung, wenn der 1200 Quadratmeter große LCD-Bildschirm hinter der Band mit wahnwitzigen Farbspielen, Zeichentrickanimationen von Pop-Art-Ikonen (Haring, Warhol, Lichtenstein) oder tanzenden, pornoesken Blondinen aufwartet. Das Zusammenspiel High-Tech-Show und Musik klappt naturgemäß am besten bei High-Tech-Songs, namentlich „M0F0“, „Miami“, „Discotheque“ und „Please“. Das sind die Highlights. Der Rest ist zum Teil banal, manchmal schlicht daneben. Einmal kommen U2 als Village People daher (Bono im Muskelmann-Shirt, The Edge als Cowboy, Adam Clayton als Kampfpilot), an anderer Stelle klettern sie aus einer qualmenden, überdimensionalen Discokugel. The Edge gibt eine Karaoke-Version des Monkees-Hits „Daydream Believer“ zum besten, den er als seinen „liebsten Bob Dylan-Song“ ankündigt. Bei „Bullet In The Sky“ erhellen Suchscheinwerfer den Himmel. „Mysterious Ways“ ist in der völlig verfremdeten Live-Version nicht wiederzuerkennen.

U2 verpassen es, ihr Geld und ihre Energie dazu zu nutzen, einen deutlicheren Strich unter ihre prätentiöse Vergangenheit zu ziehen und auf diese Weise wirklich Neues, Modernes zu schaffen. Stattdessen versuchen sie, mit ihrem Status als Superstars zu kokettieren und die gesamte Show ironisch zu überhöhen. Als Mick Jagger 1993 die „Zoo TV“-Tour sah, befand er: „Jetzt hat der Rock’n’Roll das Star-Wars-Zeitalter erreicht.“

Mit „Pop Mart“ nun hat er das „Independence Day“-Zeitalter erreicht-gigantisch, handwerklich nahezu perfekt, von der Muse allerdings bloß nur auf die Wange geküßt.