Steel Pulse – Klare Fronten


„Rastas unerwünscht“ hieß es vor fünf Jahren sogar noch in Birminghams einzigem Reggae-Club. Das Rialto lag im berüchtigten Handsworth, einem verslumten Stadtteil der Industriestadt Birmingham, und da wollte man sich unnötigen Ärger mit dem Rauschgiftdezernat ersparen. Dreadlocks sind heute noch eine beliebte Zielscheibe der dortigen Polizei. Steel Pulse-Bassist Ronny McQueen weiß ein Lied davon zu singen.

HHandsworth, im Nordwesten der mittelenglischen Industriemetropole Birmingham gelegen, ist die größte Ansiedlung farbiger Einwanderer in Großbritannien. Ein kleiner Mikrokosmos, ein Schmelztiegel vieler Rassen, überwiegend aus den karibisehen Commenwealth-Staaten und aus den ehemals britischen Kolonien in Südostasien. Dieses Stadtviertel, mit seinen heruntergekommenen spätviktorianischen Wohnblocks, überbietet an Trist esse und Gesichtslosigkeit gar noch die armseligen Arbeiter- und Fabrikbezirke, die das Stadtbild vieler englischer Industriestädte prägen. Abgerissene Gebäude wirken wie Bombentrichter zwischen den Häuserreihen; Die Stadtverwaltung verzichtet, angesichts der steten Abwanderung weißer Anwohner aus der Umgegend, auf dringend erforderliche Restaurierungs-Arbeiten, überläßt das Viertel sich selbst und beschwört somit nahezu ghetto-ähnliche Lebenszustände herauf. Kein Wunder also, daß die Unzufriedenheit, vornehmlich unter den schwarzen Jugendlichen, wächst. Die Arbeitslosenquote ist die höchste auf der Insel und wohl nirgendwo in einem liberalen Rechtsstaat ist das Durchgreifen der Polizei so skrupellos und willkürlich wie hier.

Ja, und ich bin selbst schon manchmal zum Opfer der Staatsgewalt geworden,“ bricht Steel Pulse-Bassist Ronny Mc-Queen das betretene Schweigen in unserem Hotelzimmer, nachdem er zuvor eine detaillierte Beschreibung seiner Heimatstadt gegeben hatte. „Und die Gründe für die zahlreichen Inhaftierungen sind doch immer dieselben,“ fügt er hinzu, „entweder du wirst beim Rauchen von Marihuana erwischt, oder man erklärt dich aufgrund deines Aussehens zur verdächtigen Person. Im Gegensatz zu London existiert zwar in Birmingham nicht das antiquierte SWS-Gesetz, aber dennoch ist für die Polizei allein die Tatsache, daß ich Dreadlocks trage, schon fast ein Grund zur Verhaftung. Und wenn du erst mal hinter schwedischen Gardinen sitzt kann es wochenlang dauern, bis es zur Verhandlung kommt…“ „Schon als wir vor etwa fünf Jahren die Gruppe gründeten“, meldet sich Gitarrist Basil Gabiddon aus dem Hintergrund zu Wort, hatten wir immense Schwierigkeiten mit Ronnys Haarpracht. In den kleinen Clubs in Birmingham und Umgebung, in denen wir damals auftraten, war das Tragen der Rasta-Zöpfe nicht gestattet, da man Ärger mit der Polizei und mit dem Rauschgiftdezernat befürchtete. Ronny war seinerzeit der einzige locksman in der Band, und wir mußten ihn regelmäßig in diese Läden hereinschmuggeln! Selbst in dem einzigen Reggae-Club, der in Handsworth existierte, dem Rialto, waren Rastas unerwünscht!!!“ „Ja, als wir begannen,“ erinnert sich der äußerst zurückhaltende Organist Selwyn Brown an die schweren Anfangstage der Band zurück, „besaßen wir lediglich ein altes Klavier und akustische Gitarren. Wir bekamen aufgrund unseres negativen Images auch kaum Auftrittsmöglichkeiten. Denn eine Reggaeszene wie heute existierte damals praktisch nicht, und von den wenigen Gigs in den schwarzen Clubs kannst du kaum leben.“ Das änderte sich erst, als Anfang 77 in London der Punk losbrach. Ein ganzes Heer neuer Bands entstand, kleine, unabhängige Labels schössen wie Pilze aus dem Boden und zahlreiche New Wave-Clubs öffneten ihre Pforten. Steel Pulse waren seinerzeit die erste Reggaeformation, die im Vortex, jener legendären Londoner Punk-Kaschemme in der Wardour Street auftraten. Basil: „Das war als Vorprogramm von Generation X. Für die Punks war und ist der Reggae die einzige Alternative zu ihrer Musik. Wir bekamen fortan zahlreiche Offerten und absolvierten dannzusammen mit den Stranglers auch unsere erste England-Tournee. Und obwohl wir zu dieser Zeit überwiegend vor einer weißen Zuhörerschaft spielten, erreichte unsere erste Single, »Nyah Luv“, ein Spitzenplatz in den britischen Reggae-Charts.“ Und Ronny ergänzt: «Die Punks konnten sich als einzige mit unseren Sorgen und Problemen identifizieren. Das Milieu, das soziale Umfeld, unsere Ziele und Perspektiven sind nahezu identisch. Und wir haben gemeinsame Gegner. Rechtsradikale Parteien und Aktionsgruppen wie das „British Movement“ und die neonazistische „National Front“ gewinnen in England gegenwärtig immer mehr an Boden. Deren Zulauf ist keineswegs nur auf ältere Semester beschränkt, sondern resultiert überwiegend aus den Reihen politisch orientierungsloser Jugendlicher. Viele machen die farbigen Einwanderer für ihre eigene Arbeitslosigkeit verantwortlich und lassen sich dann leicht von der rassistischen Agitation dieser Organisation manipulieren. Wenn es nach Enoch Powell (Vorsitzender der National Front -Anm. der Red.) ginge, würden. Andersfarbige und sogar gemischtrassige Paare ohnehin alle abgeschoben werden…“ Die persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung in ihrer britischen Wahlheimat charakterisierten auch die Thematik ihres im Sommer 78 veröffentlichten Debutalbums, HANDSWORTH REVOLUTION. Die LP hielt sich wochenlang in den englischen Top 10 und zählt noch heute zu

den bestverkauften Reggaepiatten überhaupt. Selwyn glaubt gar, daß der kommerzielle Erfolg ihres Vinyl-Debuts bei frühzeitiger Veröffentlichung noch zu überbieten gewesen wäre. „HANDSWORTH REVOLUTION war das Produkt langjähriger, kontinuierlicher Arbeit. Wir hatten uns durch zahllose Gigs in ganz Großbritannien einen Namen gemacht, und die Leute erwarteten die Platte einfach früher.“ Steel Pulse waren wohl die erste britische Reggae-Band die, unabhängig vom jamaikanischen Vorbild, einen eigenständigen Stil kreierten. Die Musik wirkt komplexer, die Betonung und Akzentuierung unterscheidet sich erheblich von den Produktionsmethoden in Kingstons Studios und erleichtert somit auch Pop- und Rockmusik-gewohnten Konsumenten den Zugang. Vertrackte Harmonieverschiebungen und vor allem Basils Vorliebe zu ausgeprägten Soloparts auf der Gitarre bereichern den typischen 2/4 Beat, verleihen ihm einen unterkühlt wirkenden, europäischen Flair. Die Texte von Sänger David Hinds, der bei unserem Interiview leider durch Abwesenheit glänzte, bestechen durch einen umweltbezogenen, zeitgemäßen Realismus. „Handsworth“, so erläutert Ronny, »ist eigentlich nur ein Pseudonym. Du kannst es durch jede x-beliebige Stadt ersetzen, in der vergleichbare Zustände existieren.“ Die Thematik des folgenden Albums, TRIBUTE TO THE MARTYRS, war dann universaler, bezog sich nicht mehr ausschließlich auf die unmittelbare Umgebung der Band. Hommagen an schwarze Völkerrechtler und Befreiungskampf er wie Steve Biko und Martin Luther King beweisen eindrucksvoll, daß sich Steel Pulse voll der Vergangenheit und ihres kulturellen Erbes bewußt sind. Bei ihrem jüngsten Album, CAUGHT YOU, (Vergl. ME 7/80) macht sich vor allem der Verzicht auf den renommierten Island-Produzent Karl Pitterson positiv bemerkbar. Selwyn: „Wir haben dieses Mal bedeutend mehr Einfluß auf Produktion und Arrangements gehabt. Die Kompositionen, vor allem auf TRIBUTE…, wirkten stellenweise regelrecht überladen. Jetzt steht der Rhythmus wieder eindeutig im Vordergrund, die Melodien sind unkomplizierter, geradliniger und klarer strukturiert.“

Szenenwechsel Zwei Wochen später treffe ich die Band beim Rock gegen Rechts“-Festival in Frankfurt wieder. „Satans Kingdom must fall,“ orakelt David Hinds, just als ein gewaltiger Blitz den Himmel teilt. Der nun einsetzende Regen zwingt die Gruppe, ihren Auftritt bereits nach der dritten Nummer abzubrechen. Auch die geplante Wiederholung am folgenden Tag entfällt aufgrund terminlicher Schwierigkeiten. Und als die Jungs dann schon abfahrtsbereit im Bus sitzen, werden sie von einem Anhänger der deutschen Agitprop-Formation Checkpoint-Charly gebeten, sich an einer Unterschriftensammlung gegen den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU zu beteiligen. Da jedoch den Bandmitgliedern der Name Franz Josef Strauß kein Begriff ist, lehnt man die Stellungnahme ab. Fassungslos möchte der emsige Unterschriftensammler nun wissen, warum sich eine so politische Band wie Steel Pulse nicht mit den Zielen der Linken solidarisiert. „Du kannst unsere Argumentation nicht verstehen? Wir stimmen doch nicht gegen jemanden, den wir gar nicht kennen,“ versetzt Basil. „Oder kennst du etwa Enoch Powell???“