Steve Miller


Nichts liegt uns bekanntlich ferner als irgendwelche Vorurteile. Aber auch der wegen seiner Objektivität geschätzte Steve Lake erkannte in Steve Miller Wesenszüge des "typischen Texaners".

Nichts liegt uns bekanntlich ferner als irgendwelche Vorurteile. Aber auch der wegen seiner Objektivität geschätzte Steve Lake erkannte in Steve Miller Wesenszüge des „typischen Texaners“. Ich hab‘ immer jenen Pauschalierungen mißtraut, die bestimmten Völkern oder Gegenden besondere Eigenschaften zuordnen, aber – ich kann mir nicht helfen – an „den“ Texanern ist doch irgendwas dran! In Texas ist alles größer: Die Texaner pflegen einen „way o/ being larger than hie“. Basierend auf meiner begrenzten persönlichen Erfahrung, halte ich sie für egozentrische „workaholics“. Eine einzige „Dallas“-Episode reicht zur Erklärung. Setze Steve Miller einen Hut auf, und er wäre – vermutlich nicht mal ungern – eine der sympathischeren Randfiguren des Ewing-Clans. Er würde vielleicht den gutmütigen Cowboy spielen, jemanden, der fast ein wenig Herz gezeigt hätte, aber letztlich von seiner angeborenen texanischen Skrupellosigkeit übermannt wird, vom zwanghaften Bedürfnis, der Boss zu sein und – vor allem – zu arbeiten. Wenn ich den Namen Steve Miller höre, denke ich an eine strahlende, hochtechnisierte Song-Fabrik – mit pumpenden Kolben und rollenden Förderbandern. Und Miller in der Rolle des verrückten Wissenschaftlers, der mit einer Peitsche in der Hand durch die Laboratorien rennt und „schneller, schneller!“ schreit, während drei Rechtsanwälte neben ihm herzotteln und ununterbrochen Notizen machen. Einige Musiker zeichnen ein weniger schmeichelhaftes Porträt. Rhythmusgitarrist Greg Douglass, der den Hit „lungle Love“ mitkomponierte, zog es vor, sich zur Bay Area und Terry And The Pirates abzusetzen: .Arbeit mit Miller, das ist wie ein Büro-Job. Du gehst da hin und alles läuit absolut glatt. Du hast einen Chei, machst, was dir gesagt wird und wirst bezahlt. Und das war’s.“ Dann wiederum gibt’s Geschichten, die ihren Ausgangspunkt offensichtlich im Neid von Musikern-Kollegen, die sich sowohl über Millers hemdsärmelige Methoden als auch über seinen Erfolg ärgern. Als Teenager drängelte er sich beispielsweise auf die Bühnen zu den Blues-Größen: „Hey, Muddy, ich kann den Scheiß übernehmen. Laß‘ mich das spielen… so lief das damalsin Chicago, jeder nur iür sich selbst“. Er boxte sich den Weg frei auf die sprießende San FranciscoSzene und verhöhnte dann die Lokalmatadoren: „Das war ein Kinderspiel iür uns, weil wir schon eine richtige Band waren – sie aber erst lernen m ußten. Es war lustig, Grateful Dead und Jefferson Airplane zu beobachten, wie sie versuchten, die Akkordwechsel von ‚In The Midnight Hour‘ herauszufinden“. Und schließlich der lange Marsch zu dem Platz an __ der Spitze des Rock-Berges. Dreifaches Platin für THE JOKER nach acht Jahren Plackerei. Am Wegesrand gingen dabei vielleicht einige musikalische Feinheiten verloren – der ehrgeizige Suiten-ähnliche Aufbau solch früher Klassiker wie CHIL-DREN OF THE FUTURE und speziell SAILOR trat hinter einer Stromlinienform zurück, die den Anforderungen des Marktes gerecht werden sollte. Miller war immer ein Pragmatiker und seine Ziele waren konventioneller Natur, maßgeschneidert für den bodenständigen Rock-Star: die Ranch, ein Studio (komplett mit Turnhallen-großer Bühne), das Boot und so weiter. Ich denke mir, daß er all das auch redlich verdient hat. Mir hat Miller immer Spaß gemacht, seine Platten, seine Konzerte. Gewiß: Der Auftritt in München steckte nicht gerade voller Überraschungen. Steve spielte die kompletten Hits und Beinahe-Hits von „Üvin In The USA“ (1968) bis „Abracadabra“ (1982) und ließ den Set mit ein paar alten Bluesnummern ausklingen – „Look Over Yonders Wall“, „Little Bit“ und ein 20minütiger Jam zu „Macho City“, bei dem vor allem Harmonikaspieler Norton Buffalo glänzte. Während ich noch quer durch die Stadt zu seinem Hotel fuhr, hatte sich Miller schon entspannt, umgezogen und… sah sich ein Video von genau der Show an, die er eben erst beendet hatte! Er ist schneller als jedes gewöhnliche menschliche Wesen; ihm zu begegnen, ist immer eine Konfrontation mit der personifizierten Leistungsfähigkeit. Dies war das drittemal, daß wir uns gegenübersaßen, zuletzt vor fünf Jahren – überflüssig zu sagen, daß er sich daran erinnerte. Aber vielleicht zeichne ich ein zu einseitiqes Bild. Miller ist viel komplexer und hat auch ausgefallene Vorlieben. Zum Beispiel ist er Experte für elektronische Avantgardemusik. Nur wenige wissen, daß er – vor Gründung der Miller-Band – eine Karriereals Komponist in Betracht gezogen und für eines seiner Stücke 1965 auf einem Festival einen Preis gewonnen hatte. Bei unserer letzten Begegnung war er gerade auf dem Weg nach Paris, um dem unangefochtenen König jenes undurchdringlichen Genres, Karlheinz Stock hausen, seinen Respekt zu erweisen. ,Mann, das war stark. Ich war ein wenig ängstlich, weil mirso viele Leute erzählt hatten, was für ein schwieriger Typ er wäre“. Angst einflößend, oder? Sehr ernst? „Alle hatten mir gesagt, ich müsseihnmit ‚HerrDoktor’oder ‚Herr Professor‘ anreden. Er schlug stattdessen vor, ich solle lieber ‚Onkel Karl‘ sagen. So Angst einflößend war er!Er war ’n richtiger Schnurrkater, ein echter Freund“. Der Schlagzeuger Gary Mallaber tritt ins Zimmer und setzt sich rücklings auf einen Stuhl, den Kopf auf die Ellbogen gestützt. Studiomusiker aus LA sitzen immer so. Warum, weiß ich nicht. Miller begann, die Songschreiber-Qualitäten des Drummers zu loben. Mallaber hat acht der zehn Songs auf ABRACADABRA geschrieben bzw. mitkomponiert. Selten, daß Miller sich in solchem Umfang die Zügel aus der Hand nehmen läßt. Miller war so angetan von Mallabers Songs, daß er die in Garys Garage entstandenen Demos als Grundlage für die späteren Aufnahmen verwendete. Lediglich Gerald Johnson zog er noch hinzu, um den Bass ein wenig aufzupeppen; er selbst steuerte Gitarren und Gesang bei. Die Stükke, “ die jeder Produzent in Hollywood abgelehnt hätte“, machten ABRACADABRA zu Steves erfolgreichstem Album seit THE JOKER Es ist eine klassische Pop-Scheibe für den Sommer, stellenweise zuckersüß bis hin zur Geistlosigkeit („Abra, Abracadabra/ / wanna reach out and grab ya!“), aber guter, harmloser Spaß und gespielt mit der unvermeidlichen Präzision. Auf alle Fälle eine optimistischere Platte als ihr Vorgänger CIRCLE OF LOVE, die geprägt war von einem seiner seltenen politischen Ausbrüche, dem endlosen „Macho City“. er Song scheint rundum mißverstanden worden zu sein. In München kam der lauteste Applaus von den GI’s im Publikum – und gerade sie sind die Zielscheibe jener Nummer. In dem Song geht es darum, wie bestimmte Klischees von Männlichkeit – glorifiziert durch Film und Fernsehen – zur sich verschlechternden Weltlage beitragen. Miller zählt all die Unruheherde auf, an denen sich die B-Movie-Helden produzieren – und schildert, wie die Welt seinen Song alle paar Monate aufs Neue aktualisiert. „Als ich in England die Falkland-Inseln erwähnte, brach der Jubel los“, sagt er stöhnend. “ Was für ein sonderbares Land. Ich war letzten November dort und alle waren total deprimiert. Jetzt aberhaben sie ihren netten kleinen Krieg gehabt, ihr nettes königliches Baby, und alle sind glücklich. Sie haben ihren ‚Stolz‘ wieder, lieber Himmel…“ Ich entschuldige mich für mein Heimatland und stimme zu, daß die englische Presseberichterstattung über den Falkland-Konflikt die erschreckendste, ultrachauvinistische Scheiße der jüngeren Vergangenheit war. „Ja, und genau diese Art von Manipulation durch die Presse hat mich zuallererst zu einem solchen Song inspiriert. Es ist überall das gleiche, egal, ob Iran, UdSSR oder USA. Es war eine ziemlich einsame Entscheidung, diese Platte zu machen. Es war 1980. Ich saß auf meinem Boot, zählte mein Geld und begann, mich lächerlich zu fühlen .-Einfach so den Bauch in die Sonne zu legen, während ringsum die Welt zusammenbricht. Ich will damit nicht andeuten, daß gerade mein Beitrag nun ungeheuer wichtig sei, aber ich finde schon, daß die Leute ihren Arsch hochkriegen sollten, um etwas Positives zu machen. Schön und gut, entgegnete ich, aber muß das nicht irgendwie ironisch wirken, einen Song wie „Macho City“ zu spielen und dabei schwarze Lederhosen zu tragen? Ist nicht Rockmusik generell mitverantwortlich für die Verbreitung des Machismus? Miller lacht. Ich habe das Gefühl, daß er nie zuvor an eine derartige Möglichkeit gedacht hat. „Nein… ha, ha… Ich glaube nicht, daß schwarze Lederhosen zu männlich sind. Hm, ernsthaft, alles, wasmitMusikzu tun hat, steht doch weit darüber. Glaubst du wirklich, daß meine Band ein Macho-Image hat?“ „Nein, eigentlich nicht“, antworte ich – und merke plötzlich, daß mir das Thema ohnehin gleichgültig ist. Ein Ausspruch von Robert Wyatt schießt mir durch den Kopf: „Rock Against Sexism? That’s like Omelettes Against Eggism!“ Nur zu wahr. Aber so ganz zu leugnen ist es nicht, daß ein Song wie „Rock’n‘-Me“ (das Stück, bei dem Steve das Riff von Free „ausgeliehen“ hat) eine unverblümt sexuelle Angelegenheit ist … „Naja, vielleicht. Gary Mallaber will weiter über Politik sprechen und beginnt über die sechziger Jahre zu quasseln, wieviel doch erreicht worden sei. Ich bin anderer Meinung und erinnere daran, daß in jenen Tagen allenfalls der Schein schön gewesen sei: Jim Morrison beispielsweise mit seinem Aufschrei “ We want the world and we want it now!“ 1982 möchte ich diese Welt absolut nicht haben. Ich möchte ein kaltes Bier aus der Minibox und genügend Frieden,, um es zu trinken. Diese Haltung erscheint den beiden Pop-Stars offensichtlich zu defätistisch, also wird sie geflissentlich ignoriert. „Ich wurde 1962 zum politischen Aktivisten“, sagt Miller. „Ich stieg in einen Bus nach Selma, Alabama, weil ich einfach nicht glaubte, daß dort die Schwarzen nicht machen konnten, was sie wollten. Also sagte ich, ‚Okay, ich seh’mir das mal vor Ort an, um mir eine eigene Meinung zu bilden‘. Mein lieber Mann, ich hob unheimlich schnell kapiert, was hinter den „Bewegungen“ steckt. Die Idee war in Ordnung, die Bewegung aber so voller Scheiße, daß ich ’s nicht glauben wollte. Da waren die verbittertsten und beknacktesten Leute dabei, denen ich je begegnet bin. Auf der anderen Seite gibt’s diese ganze Musik-Szene im San Francisco der 60er Jahre, die schon sowas wie ein Entwurf dessen war, was die heutige Festival-Szenerie ausmacht. Laß dir eines sagen: Die Chance, deine Stimme auf einem Rock-Festival zu erheben, ist wesentlich größer als bei einer Bürgerrechts-Veranstaltung“. Stimmt, man kann sogar einen Song vortragen, den alle völlig in den falschen Hals bekommen… „Moment mal“, ereifert sich Steve. ‚Macho City‘ finde erst ganz allmählich die richtige Resonanz. Er habe es sehr zweckgebunden komponiert, so daß es durch die komplette Pop-Szene segeln könnte, ohne polemisch anzuecken… Als ich später die. Begegnung rekapituliere, habe ich den Eindruck, daß Miller wohl auf dem richtigen Weg ist. Karl Kraus hätte „Macho City“ wahrscheinlich gemocht. Er war es, der einmal gesagt hat: „Satire, die vom Zensor verstanden wird, verdient es, verboten zu werden“. Denkt mal drüber nach…