Süchtig nach Blues


Ein schmuckloses Gewerbegebiet an der Peripherie von London. Nur ein Schild mit der Aufschrift ‚HDS Studios‘ läßt den Besucher ahnen, daß dieser Gebäudekomplex vom Charme eines leeren Kühlschranks etwas mit Musik zu tun hat. Auch die Laster vor dem Studioeingang erinnern mehr an eine Spedition als an eine Kreativwerkstatt. Immerhin verrät ein dunkelblauer Ferrari, daß hier kein mittelloser Künstler zugange ist. Und als dann noch ein paar Noten nach draußen dringen, weiß der Gast, daß die Adresse tatsächlich stimmt. Denn diesen Ton trifft nur einer: Eric Clapton. Zusammen mit seiner achtköpfigen Band probt der Großwesir der Gitarre 15 Autominuten vom Flughafen Heathrow entfernt für seine demnächst anstehende Amerika-Tournee.

Die Atmosphäre ist gelöst. So gelöst wie Clapton selbst. Der sonst so ernst dreinblickende Gitarrengott ist guter Laune. Diesmal nicht in teures Designertuch aus Italien gehüllt, sondern lässig mit blauer Jeans und grünem T-Shirt bekleidet, scherzt der Meister munter mit seinen Musikern. Allerdings ohne dabei auf den nötigen Ernst zu verzichten, wenn es um die Sache geht. Und Claptons Sache ist der Blues. Nicht immer so klar erkennbar wie auf seinem aktuellen Album ‚From The Cradle‘, im Grunde aber schon seit 30 Jahren, also von Anbeginn seiner Karriere. Auch im Probenstudio steht der Blues im Mittelpunkt. Denn auf seiner Tournee möchte Clapton dem Publikum das Repertpoire der neuen Platte präsentieren. Songs also, die zum Besten zählen, was das Blues-Genre jemals hervorgebracht hat. Darunter Klassiker von Robert Johnson und Elmore James, von Willie Dixon und Muddy Waters: „Muddys Musik war die erste, die ich wirklich in mir aufnahm“, erzählt Clapton. „Und bis heute zählen seine Songs mit zur wichtigsten Musik in meinem Leben. Ich liebe diesen Mann so sehr, daß ich seine Lieder absolut perfekt interpretieren möchte. Nur ist das natürlich gar nicht möglich.“

Dennoch: Bei den Proben duldet Clapton nicht den geringsten Patzer. Ein falscher Schlag des Drummers? Alles noch mal von vorn! Den Einwand seines Trommlers, er habe diesen Part nur genau auf diese Art spielen können, läßt Eric der Strenge nicht gelten: „Willst Du mir etwa erzählen, das könne man nicht anders spielen. Willst Du das wirklich machen?“ Die Antwort gibt dem Drummer, mit einem Fingerzeig auf Clapton, Erics Rhythmusgitarrist: „Wenn Dir dieser Mann etwas erklärt, sag‘ immer ja. Immer nur ja.“ Großes Gelächter auf der Bühne. Alles nur Spaß also? Wohl kaum. Clapton ist der Boss. Das wissen alle. Und beim Thema Blues versteht der Chef keinen Spaß: „Diese Musik lebt von der Tiefe des Gefühls, von ihrem Ernst. Genau wie die alten Helden des Blues ist sie ein Stück Vergangenheit, das die Zeit überdauert hat und dem Zuhörer deshalb eine gewisse Sicherheit vermittelt. Fast so wie ein altes Gebäude in einer neuen Stadt.“ Ein Gefühl, das nicht viele Blues-Adepten überzeugend transportieren können. Clapton kann’s. Im Gegensatz zu vielen jungen Kollegen, die dem Gitarrenguru zwar nach besten Kräften nacheifern, Claptons Klasse jedoch in den meisten Fällen nicht mal annähernd erreichen – worüber sich der Meister selbst kaum wundern kann: „Blues hat viel mit Reife zu tun. Wenn du älter wirst, hast du besseren Zugang zu dieser Musik, weil du ihre wirkliche Bedeutung erkennen kannst. Wie willst du den Blues als junger Mensch, der noch nie gelitten hat, wirklich erfassen? Um diese Musik wirklich verstehen zu können, muß man eine gewisse Lebenserfahrung besitzen.“

Wie kommt es dann, daß Eric Clapton auch schon als junger Mann alte Blues-Helden bewunderte? „Ich hatte eine sehr seltsame Kindheit (Anmerkung der Redaktion: Clapton wuchs bei seinen Großeltern auf). Vermutlich habe ich damals schon Erfahrungen gemacht, die mir den Zugang zum Blues ermöglichten.“ Immerhin wußte Eric schon im vergleichsweise zarten Knabenalter von neun Jahren …… daß ich nicht so war wie jeder andere, jedenfalls in mancher Hinsicht. Im Blues hörte ich ein Leid, auf das ich innerlich antworten konnte.“ Ließ also das Leid den Musiker Clapton zum weitbesten Bluesgitarristen heranreifen? Vieles spricht dafür. Denn, so widersinnig es auch klingen mag: Nie zuvor war Clapton so erfolgreich wie nach dem tödlichen Unfall seines Sohnes Conor im März 1991. Ein Schicksalsschlag, der Clapton nur Monate nach dem Tod seines Freundes Stevie Ray Vaughan traf. Der Gitarrist war, wie auch drei Mitglieder aus Erics damaliger Crew, bei einem HubSchrauberabsturz ums Leben gekommen. Der seinem Sohn gewidmete Song ‚Tears In Heaven‘ bescherte Clapton einen weltweiten Single-Hit. Ein Erfolg mit tragischem Hintergrund, der allerdings von Erics ‚Unplugged‘-Album (die Hommage an Conor findet sich auch auf dieser Platte) noch bei weitem übertroffen wurde. Über 14 Millionen Exemplare der ‚Unplugged‘-LP gingen bis heute über die Ladentische und füllten Claptons Kasse. Doch das große Geld hat den Gitarristen noch nie glucklich gemacht. Nicht zu Zeiten seiner legendären Band Cream, und auch nicht als 49jährigen Senior der internationalen Rockszene. Dafür sitzt sein Blues einfach zu tief: „Wie sich ein Mensch in seiner Haut fühlt, ist nicht von seinem Kontostand abhängig. Wichtiger ist, ob man mit sich im reinen ist, oder ob man lieber jemand anders wäre. Ich hatte in meinem Leben schon mehr Geld, als Du Dir vorstellen kannst, eine schöne Frau, Autos – und trotzdem wollte ich sterben. Deswegen habe ich getrunken.“

Seinen gesundheitlichen Tiefstpunkt erreichte Clapton, im Laufe seiner Karriere des öfteren von allerlei Giften an den Rand des Ruins getrieben, vor acht Jahren. Damals brachten Drinks und Drogen den sensiblen Musiker beinahe ins Grab: „Das war zu einer Zeit, in der ich schon alles besaß und trotzdem Selbstmord begehen wollte.“ Inzwischen sind die grauen Wolken verzogen. Heute geht es Clapton „sehr gut“, wie er im Londoner Probenstudio glaubhaft versichert. Nur von einer ganz bestimmten Sucht hat er sich bis dato nicht befreien können: „Ich bin süchtig nach Blues“, gesteht er gegen Ende unseres Gesprächs. Und gegen diese Sucht können auch aktuelle Klänge aus dem Radio nichts ausrichten: „Von dem, was ich da so höre, gefällt mir nur manches. Musik, die von Computern und Synthesizern erzeugt wird, geht mit nach einer bestimmten Zeit auf die Nerven. Ich mag eben Musik, die von Menschen gemacht wird, hauptsächlich von Schwarzen.“ Und was ist mit seinen alten Cream-Kumpanen lack Bruce und Ginger Baker, die zusammen mit Gitarrist Gary Moore als Clapton-Ersatz den Sound der Sixties eine LP lang wiederauferstehen ließen? „Ich selbst hätte mich dazu nicht entschieden, weil ich zu diesem speziellen Sound vorerst nicht zurückkehren möchte. Vielleicht später mal. Im übrigen bin ich, was Cream angeht, befangen. Ein Urteil über Baker, Bruce & Moore abzugeben, wäre also den Beteiligten gegenüber nicht besonders fair.“ Weit weniger zurückhaltend äußert sich Clapton, selbst im sportlichen Jeans-Outfit ein britischer Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, über eine mögliche Wiedervereinigung der restlichen Beatles: „Ich denke, dazu wird es kommen“, klärt uns George Harrisons alter Freund auf. „Es wäre jedenfalls gut für sie, selbst wenn dieses große Spiel nicht lange dauern würde. Außerdem würde es eine Menge Leute, die Beatles eingeschlossen, sehr glücklich machen.“

Bis es soweit ist (und sicher auch darüber hinaus), sucht Clapton sein Glück in der Musik alter Meister als kongenialer Interpret von Robert Johnson („he’s the master“) und Elmore James, von Willie Dixon und Muddy Waters. Und wo bleiben neue Songs aus eigener Fertigung? „Drei gibt es schon. Das Resultat einer Romanze.“ Führte auch da der Blues die Feder? „Nein, wenn ich selber komponiere, dann schreibe ich alberne Liebeslieder. Jedenfalls meistens.“