Super Seelchen


Introvertiert ist sie noch immer. Doch inzwi- schen hat Sensibelchen Suzanne Vega sogar gelernt, wie man P-O-P buchstabiert.

„Ups! Das P-Wort.“ Ihre Augen strahlen so schelmisch selbstzufrieden, als habe sie gerade Super Marios Erzfeind von der Videobildfläche gezappt. Die Rede ist von dem neuen Pop-Song „When Heroes Go Down“, dessen Beschreibung mit dem Wort „catchy“ im Amerikanischen genau so klischeehaft klingt wie mit dem deutschen „Ohrwurm“.

„Ich wollte halt einen schmissigen Song machen, der wie Pop klingt, etwa so wie ein Elvis Costello es im“, hatte das einstige Sensibelchen gerade gesagt — ein Bekenntnis mit einem derartigen Hoppla-Effekt, als verkünde Woody Allen, sein nächster Film werde ein Western sein.

Wir sitzen im Hinterzimmer von Vegas (mitbegründeter) Firma AGF Entertainment Ltd. (das wie eine mit Hi-Tech vollgestopfte Knastzelle ausschaut) und sprechen über das neue Album „99.9 F°“. „Natürlich wollte man, When Heroes Go Down‘ in England sofort als Single auskoppeln“, fährt Vega fort, „und man fragte mich, ob ich den Song verlängern könne.“ Der potentielle Chart-Brummer hat nämlich einen Haken, gewissermaßen einen Vega-Widerhaken: Es ist ein Gartenzwerg von einem Popsong, nicht einmal zwei Minuten lang.

„Absicht“, strahlt Vega, „damit man das Lied nicht als Hitsingle verbraten kann.“ Und wieder beamen ihre Augen dieses Super Mario-Erfolgsfeeling aus der „Brieitte“strickmusterlichen Biederfrau-Fassade hervor.

Die restlichen zwölf Songs auf „99.9 F“ jedoch werden erneut von den skurril schrägen, sentimentalen „Luka“-Gestalten bevölkert: Der Junge auf dem Kirchturm, der wie der Glöckner von Notre Dame die Glocken zum Sonntagsgebet läutet („In Liverpool“), die Zirkustänzerin und der dicke Zeremonienmeister mit dem verrückten Äffchen („Fat Man And Dancing Girl“).

Ob die im April 1985 mit ihrem Debütalbum unvermittelt zu internationalem Ruhm gelangte New Yorkerin mit diesem Album freilich erfolgreich sein wird, ist ungewiß. Vegas Plattenumsätze gleichen dem Paternoster-Kurs von George Bushs Popularität: Gegenwärtig zeigt die Fahrtrichtung Erdgeschoß an, wenngleich die 33jährige Sängerin mit dem irischen Blut des leiblichen Vaters und dem spanischen Nachnamen des puertoricanischen Stiefvaters weitaus interessanteres zu erzählen weiß als ihr Präsident. Und obendrein ehrlicher ist. „Von SOLITUDE STAN-DING wurden gute drei Millionen Exemplare verkauft“, bekennt Vega unumwunden, „und von der letzten LP nur mehr eine Million.“ Darum der Wechsel von SOLITUDE-Produzentin Vega zu Mitchell Froom, der schon Crowded House, Chrissie Hynde oder Elvis Costello erfolgreich produzierte?

Nein. „Ich hatte noch nie mit einem Produzenten gearbeitet, der Erfahrung hatte“, sagt Vega. „Die letzte LP halle ich zusammen mit meinem Freund Anton Sanko in unserem gemeinsamen Wohn-Studio produziert, und wir hatten von morgens bis spät in die Nacht nur an der Plane herumgebastelt. Das hat ein furchtbares Durcheinander in meinem Kopf verursacht, weil ich gleichzeitig Hausfrau spielen mußte. Denn wenn fünf Musiker auf dem Sofa sitzen und Kaffee trinken wollen, bin ich es, die in die Küche rennen muß. Schließlich sind diese Typen gewissermaßen meine Gäste.“

Und mit dem Freund nachts um 2 Uhr aus dem Studio nebenan in die Laken zu springen, killt nun mal die Libido — das wußte schon Siggi Freud.

Vega machte Hausputz. Zunächst flog das Studio aus der Wohnung in Manhattan — und dann auch Anton („Wir sind gute Freunde geblieben“).

Und während der dreimonatigen Arbeit an „99.9 F°“ („Arbeitszeit 13 Uhr bis 18 Uhr“) wurde ihr der Kaffee gekocht und die Lunchpakete serviert. Das hält den Blick frei für eine gesunde Selbsteinschätzung. Meditationen und das Praktizieren von Soka Gakkai (eine japanische Variante des Buddhismus) tun ein übriges.

„Ich bin nicht der Typ wie Prince oder Madonna mit ihrem aufgeblasenen Image. Ich verstecke mein wahres Ich lieber hinter den Gestalten in meinen Songs und bin privat völlig langweilig. Die Amerikaner sind an mir als Promi nicht interessiert. Ich schlafe nicht mit Filmstars, ich bin kein bekehrter Heroin-Junkie. Wies in meinem Herzen aussieht …“ Vega beamt einen erneuten Schelmenblick in die Runde … „das geht nur mich etwas an. „