Muskeln zeigen


DJ HELL ist einer der angesagtesten DJs und Clubmusiker der Welt und treibt sich mit Typen wie P. Diddy herum. Seine neue CD ist trotzdem purer Underground.

41 ist er gerade geworden, Helmut Geier alias Hell. Gefeiert wurde in Tokio. Wie sich das eben gehört für einen der begehrtesten Discjockeys des Planeten. Ansonsten das ganze Jahr über straffes Programm. Filmwoche in Madrid in Begleitung von Regisseur Romuald Karmakar, Shooting mit Karl Lagerfeld, Videoclip mit Puff Daddy, Versace-Modeschauen, Vernissagen. Auflegen in Barcelona, Kapstadt, Genf, Costa Rica, Rom, Paris, Berlin. Zwischendrin Anzüge wechseln, Platten produzieren, Legenden lancieren. Und dann das tägliche Label-Geschäft. International Deejay Gigolos kann sich vor Erfolg kaum retten. Acts wie Miss Kittin, Crossover, Fischerspooner, Chris Korda, Fat Truckers oder David Caretta haben Heils Plattenfirma zu einem der einflussreichsten Clublabels der Welt gemacht. Überwintern in Rio, Buenos Aires, Johannesburg. Helmut Geier ist ein Vielbeschäftigter. DJ, Produzent, Unternehmer, Fashion-Ikone, Mittelstürmer. „Ich versuche immer, ruhiger zu werden – und das Gegenteil tritt ein. „Überfordert? Nein! Helmut Geier lässt sich nicht stressen. Streicht sich die Strähnen aus der Stirn. Trinkt seine Limo. Schwarzes T-Shirt mit doppelköpfigem Adler und Kaiserkrone. Die berüchtigte Fußballtrainer-Frisur zerzaust wie nach einem schlechten Spiel. „Familie? Ja, will ich nach wie vorhaben. Aber wann? Wie?“ Nie war Glamour so bodenständig wie bei Hell.

Und im Sommer taucht Helmut ab. In die kleinen Waldseen rund um das oberbayerische Altenmarkt. „Ist halt ein magic ploce, dieses Bayern“, findet Hell, der dort seinen alten Freundeskreis pflegt, auf Mutters Eckbank Würstl isst und den Fußballclub der Heimatgemeinde sponsert. Acht Jahre sind vergangen seit dem Debüt geteert und gefedert. Fünf Jahre seit munich machine, Triumph der Homebase: Disco, Glamour, Party. Das war 1998. Die neue Platte ist in New York entstanden. Von Oktober 2002 bis April 2003 hielt sich Hell am Hudson River auf. Gewohnt hat er im Tribeca Grand Hotel, Meeting Point der Künstlerszene. „Das Tribeca Grand ist nicht weit von Ground Zero. Ich hob mir das öfter angeschaut. In New York hat sich seit dem 11. September vieles grundlegend verändert. „Wohl gefühlt hat sich der Bayer trotzdem. „Ich hob mich schnell angepasst, Freunde gewonnen. Leute, mit denen ich über alles reden konnte. Eines der Dauerthemen: die Irak-Krise. Im Studio haben wir noch Kriegsausbruch ständig darüber geredet. Dos hatte sicher auch musikalische Auswirkungen.“

nymuscle ist ein düsteres Album-aggressiv, kraftvoll und dreckig. Songorientierter als je zuvor, schwärzer, funky, fies.

„Den NYMuscIe spürst du, sobald du in dieser Stadt bist. Du gehst schneller, hast mehr Energie. Dem kann sich keiner entziehen!“ „Fucked-up Dancemusic‘ nennt Hell seinen Sound. Fucked-up kann man wohl sagen. Nehmen wir zum Beispiel „Let No Man Jack“. Hell hat einen Freund aus Chicago dazu gebracht, zu schreien wie am Spieß. Gruselig. „Ich wusste, dass er das kann. Aberdoss es so extrem wird, habe ich selbst nicht erwartet.Schreien als rhythmisches Element“, erklärt Hell und verweist auf die Tradition der Body Music. Überhaupt spielt die menschliche Stimme eine überraschend große Rolle auf nymuscle. Zum Beispiel bei den beiden Songs, die Hell zusammen mit Alan Vega aufgenommen hat, dem Sänger des legendären Synthie-Core-Duos Suicide. „Alan Vega hob ich ja schon als DJ sehr lange gespielt“, erzählt Geier, „und ich hab ihn dann im Tribeca Grand kennengelernt. Supernett, ein verantwortungsvoller Familienvater. Von wegen durchgeknallter Junkie.“ Die Arbeit mit Vega war so gut, dass Hell sich vorstellen könnte, ein ganzes Suicide-Album zu produzieren. „Weil die ihre Sachen ganz spontan entstehen lassen. So sind auch unsere beiden Takes zustonde gekommen. The first cut is the deepest.“ Und dann gibt es noch die „Tragic Picture Show“, cool erzählt von Tommy Sunshine. Die 80er, nervös eingespielt mit Bass und Schlagzeug. „Das ist ja fast schon ein Punk-Song. Ich hätte mehr Tracks in dieser Richtung machen können“, findet Hell und schaut auf seinen Unterarm. Munich Muscle. Kommt das noch von der Schlosserlehre, vom Plattenkisten-Schleppen oder vom Sport? Mit solchen Armen kann man Dance-Tracks machen, die gehörig auf den Zuhörer eindreschen. Wie „Control , oder wie die erste Single-Auskopplung.

Brutal und minimalistisch klingt „Keep On Waiting“. Die Stimme desillusioniert, fast schläfrig:

Gueststar hier ist Erlend Oye von den Kings Of Convenience.

Im Vernichten Video taucht neben einer Horde Topmodels auch Puff Daddy auf. Sogar der Superstar der Black Music will sein Stück Hell. Von Mainstream trotzdem keine Spur. Das ganze Album spielt im Underground. Für „Black Panther Party“ hat Hell eine Rede des Black-Panther-Mitbegründers Fred Hampton gesampelt. „Eine Erinnerung an diese extreme Zeit – die Jüngeren wissen ja gor nicht mehr, was diese Bewegung war. “ Auch dieses Stück ist intensiv, spooky, extrem. „Dos Düstere, Verstörende ist einfach mein Stil, meine Form des Produzenten-Daseins“, erklärt Geier. „Und das entspricht irgendwie auch meiner Person. Obwohl ich ja kein düsterer Typ bin.“