NY-Reportage

Konfliktzone Times Square: Superhelden machen Stress


Der Times Square in New York ist die meistbesuchte Touristenattraktion der Welt. Und eine Konfliktzone: Besucher  fühlen sich von Elmo, Batman und Micky Maus bedrängt. Die Polizei hat den Helden der Pop­kultur deswegen den Kampf erklärt. Für die kostümierten Darsteller macht das den Job noch härter. Eine Geschichte über pöbelnde Sesamstraßenbewohner, eine Gewerkschaft für Kuschelmonster und einen Platz, auf dem die Realität manchmal an ein Superhelden-Comic erinnert.

Disney brachte 1997 seinen „König der Löwen“ an den Broadway. Der Naked Cowboy, ein Alleinunterhalter in Unterhosen, folgte 1999. Übertönt vom Straßenlärm stand er anfangs noch auf einer Verkehrsinsel, die kaum genug Platz bot, um ihn in voller Pracht aufs Foto zu bekommen. Heute flaniert er zwischen Tischen und Stühlen in einer autofreien Zone. Geschaffen hat diese der Bürgermeister Michael Bloomberg. Giulianis Nachfolger disneyfizierte die letzten dunklen Ecken des Platzes. Wieder war der Times Square eine Metapher für die Ausrichtung der Stadt.

Hier wird versucht, etwas zu regulieren, was sich nicht regulieren lässt. Das hier ist New York.

Der aktuelle Bürgermeister Bill de Blasio gilt als Mann, dem die Bedürfnisse der Bürger – Wohnungen und Jobs – wichtiger sind als Investoren und Touristen. Doch mit Bill Bratton hat er denselben Polizeichef ins Amt geholt, der schon unter Giuliani eine Null-Toleranz-Strategie gegen alles verfolgte, was nicht ins Bild einer makellosen Stadt passte. Das schlechte Benehmen der Plüschhelden werde er nicht tolerieren, kommentierte er die Situation auf dem Times Square. Auf die Diskussionen über das vorgeschlagene Gesetz freue er sich. Sollte dieses durchkommen, gäbe es in New York eine Ordnungswidrigkeit mehr: Dann dürfte niemand mehr am Times Square im Kostüm unterwegs sein, sofern er keine Lizenz hat. Unangemeldete Darsteller müssten mit einer Geldstrafe zwischen 100 und 1000 Dollar oder bis zu drei Monaten Gefängnis rechnen.

Times-Square-Elmo-Ruvan-Wijesooriya„Hier geht es um Kriminalisierung und wie so oft trifft sie die schwächsten New Yorker, denn die Mehrheit der Menschen unter den Kostümen sind Immigranten“, sagt Lucia Gomez. Die Direktorin der Organisation La Fuente setzt sich für die Rechte von Immigranten in New York ein. Die Stadt habe bereits genug strafrechtliche Möglichkeiten gegen Betteln. Warum nun noch ein eigenes Gesetz für Kostümierte? „Jede Hintergrundinformation, die während des Lizenzierungsprozesses über die Darsteller gesammelt wird, könnte dazu benutzt werden, diejenigen zu deportieren, die noch keine Papiere haben“, sagte sie während einer Anhörung im Stadtrat. Unterstützung bekam sie unter anderem von Robert Cornegy. Das Stadtratsmitglied ist ein Gegner von Andy King und dessen Gesetzentwurf. Die große Mehrheit der Individuen auf dem Platz sei gesetzestreu und habe sich nie etwas zuschulden kommen lassen, so Cornegy – eine Aussage, die von der Polizei bestätigt wird. „Die Stadt will eine sichere Umgebung schaffen, aber Lizenzen schaffen keine Sicherheit“, sagte die Bürgerrechtlerin Gomez. „Hier wird versucht, etwas zu regulieren, was sich nicht regulieren lässt. Das hier ist New York.“

Doch dieses New York ist eine Stadt, die nicht mit sich im Reinen ist. In der Überraschungen erwartbar und Erwartungen inkompatibel sind. In der Lebensqualität für Reiche auf Kosten der Armen geschaffen wird. Eine Stadt, in der ein Luxusapartment-Turm nach dem anderen hochgezogen wird, der dann leer steht, weil er nur als Geldanlage für Investoren aus dem Ausland taugt. In der die Arbeitskräfte, welche die Stadt am Laufen halten, wegen zu hoher Mieten vom Stadtrand oder aus New Jersey kommen. In der eine Zwölfstundenschicht unterm Krümelmonsterfell für einen Migranten eine tatsächliche Option ist, wenn dafür 50 Dollar winken. In der Touristen froh sind, sich unbehelligt durch die Stadt bewegen zu können, am Ende aber irgendwie enttäuscht, weil die Reibung gefehlt hat. In der sich die Gentrifizierer von gestern über die neu Zugezogenen beschweren. In der New Yorker so tun, als sei der Times Square authentischer gewesen, als man vorsichtshalber vom Port-Authority-Busbahnhof zur Subway gerannt ist, stetig die Angst im Rücken. Dabei sind der verdammte Times Square und die verfluchten Micky Mäuse die Essenz New Yorks.

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Berlin, Tel Aviv, Melbourne – alle faszinierenden urbanen Räume stehen vor der Herausforderung, ihre Energie zu bewahren und sich trotzdem weiterzuentwickeln. Am Times Square zeigt sich, dass sich das glorreiche Biest New York nicht vollends zähmen lässt, und das ist vielleicht seine Rettung. Die stadtpolitische Ausrichtung auf Tourismus hat eine Armada von Action Heros mit und ohne Fell ins Herz der Stadt gelockt. Hinter diesen Masken verbergen sich die frustrierten Vergessenen. Kommt es zur Revolte? Immerhin haben sie erreicht, dass die Polizei ihre Fahndungsfoto-Kampagne überarbeitet hat. Sie haben sich vorerst ihre eigenen Ausweise gebastelt und konnten bei öffentlichen Auftritten ein Bild von gesitteten, vertrauenswürdigen Bürgern vermitteln. Während ihrer Treffen in den Büros der Organisation La Fuente erarbeiten sie Pläne, um eine weitere Kriminalisierung zu verhindern. Eine Veränderung ist in Gang. Ihr zugrunde liegt die Einsicht, dass man New York nicht aus New York herauskriegt. Zumindest nicht, solange eine Schar Superhelden da ist, um dies zu verhindern.

Dieser Text ist ursprünglich in der me.URBAN-Ausgabe 1/2015 erschienen. Alle Fotos: Ruvan Wijesooriya

Ruvan Wijesooriya
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