Tangerine Dream – Berlin, Reichstagsgelände


Knapp 70OOO Zuschauerwaren gekommen, um vor der geschichtsträchtigen Kulisse des Berliner Reichstages bei einer Friedensveranstaltung dabeizusein, die Tangerine-Dream-Chef Edgar Froese gemeinsam mit 60 Berliner Organisationen und Bürgerinitiativen auf die Beine gestellt hatte. Froese deklarierte dieses Engagement als „kleinen Beitrag zum Nachdenken“, denn: JEs geht rapide auf die Zwölf zu!“ 100 000 DM hatten die Veranstalter investiert, um den Besuchern neben der Musik im Rahmenprogramm noch diverse Informationsmöglichkeiten zu bieten (Stände, Redner etc.). Die Besuchermassen ähnelten dem Ansturm, wie ihn das Reichstagsgelände im vergangenen Jahr beim Auftritt von Barclay James Harvest erlebt hatte — nur: die Mehrzahl der Medien und die offiziellen Stellen, die sich damals angesichts enormer Publicity-Wirkung eingeklinkt hatten, blieben diesmal fern, als es um Frieden und Abrüstung ging.

Diejenigen jedoch, die an diesem Abend gekommen waren, bewiesen mehr Engagement für den Frieden als so mancher Politiker. Und vermutlich in der Mehrzahl auch mehr Interesse an der übergeordneten Thematik als an der eigens für diesen Abend ins elektronische Instrumentarium einprogrammierte Tangerine Dream-Musik: In der Hauptsache versponnene, lyrische Wohlklänge, wie sie die Band nunmehr schon seit etlichen Jahren ihren Synthesizern entlockt. Soundgebilde, die für mein Empfinden mittlerweile einen Hauch von Anachronismus an sich haben. Disharmonien traten nur dort auf, wo in überdimensionaler Größe Kriegsszenen projiziert wurden, dann schickten TD akustischen Horror über die Verstärker. Aber indem sie das musikalische Chaos für den Verfall und die angenehmen, entspannten Passagen für die Vorstellung von einer intakten Welt einsetzten, machten sie es sich wohl eine Spur zu leicht Die neuen Impulse innerhalb des musikalischen TD-Konzeptes scheinen ausschließlich im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium ihres Instrumentariums zu Bnden sein. Was bedeutet, daß auch die komplizierteste Programmierbarkeit ihres Rhythmusgerätes wohl eher dem Konstrukteur als dem Musiker zum Ruhme gereicht.

Da die Musik an jenem Abend jedoch nicht die tragende Rolle spielte, zog die Mehrzahl der Besucher zufrieden ab – so friedlich übrigens, wie man Zehntausende selten auf einem Haufen erlebt.