Ted Nugent


Er gebärdet sich wie der Leibhaftige selbst und entfesselt bei seinen Auftritten ein apokalyptisches Soundgewitter mit wilden Gitarrensoli und hämmerndem Rhythmus wie die brutalsten Gruppen des Beat-Zeitalters. Er benutzt kein Wahwah-Pedal, keine Verzerrer- oder Hallgeräte und produziert allein durch seine Feedback-Technik nie gehörte, höllisch laute elektrisierende Klangkombinationen, daß sich die Leute reihenweise in Verzückung winden, als stünde der ganze Saal unter Strom. Ted Nugent liebt den Nervenkitzel, er ist ein Mann, den es zum Ursprünglichen zurückzieht und der privat fast wie ein Neandertaler lebt. Er raucht nicht, trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen — aber was seine Mahlzeiten betrifft, ist er nicht zimperlich. Den Sonntagsbraten schießt er selbst — mit Pfeil und Bogen. Und er ist ein Anarchist...

Man stelle sich diesen Besessenen im Gegensatz zu Jazz-Vegetarier John McLaughlin vor. Ted Nugent kommt aus Detroit, der wahnwitzigen Umgebung einer amerikanischen Motorindustrie-Metropole, wo schon die Schwermetallrocker Iggy Pop & The Stooges, ein gewisser Alice Cooper und Gruppen wie MC 5 groß geworden sind. Mit 8 Jahren bekam Ted von seiner Tante eine Gitarre geschenkt, und schon mit 13 spielte er in seiner ersten Band. Seitdem hat er die Gitarre nicht mehr aus der Hand gelegt. Zwischendurch arbeitete er in einer Tankstelle und in einem Lebensmittelgeschäft, bis er genügend Dollars für eine Gibson „Byrdland“ zusammen hatte. „Die mußte ich einfach haben“, sagt Ted, „denn aus keinem anderen Instrument kann man solche Rückkopplungen herausholen.“ Zwar ist die Gibson „Byrdland“ mit ihrem kurzen Hals nicht gerade die ideale Gitarre für einen Rockmusiker, aber in den Händen von Ted Nugent wird sie zu einer phänomenalen Wunderwaffe.

Er selbst kennt seine Stärke: „Man könnte dem größten Gitarristen der Welt eine ‚Byrdland‘ in die Hand geben, aber niemand würde das hinkriegen. Das schafft keiner außer mir! Jimi Hendrix war der einzige, der es noch verstanden hat, mit Hilfe seiner verschiedenen Fußpedale einen solchen Sound aus der ‚Byrdland‘ herauszuholen…“

Er braucht nur das Feedback, und das beherrscht er vollkommen. „Es ist eine Kunst zu wissen, wo man steht und wie man die Gitarre halten muß, damit der richtige Sound entsteht. Wer mich bei einem Konzert erlebt, kann beobachten, daß ich beim Anschlagen der verschiedenen Töne an ganz bestimmten Stellen auf der Bühne stehe. Es ist eine totale Übereinstimmung von Körperbewegung und Klang!“ Damit hat Ted Nugent sein Publikum schon Mitte der 60er Jahre überrascht. In Chicago gründete er 1965 seine erste eigene Formation, The Amboy Dukes, und ging zwei Jahre später mit der Gruppe zurück nach Detroit.

Kein Cent für Nugent

In dieser Zeit brachten es die Amboy Dukes auf rund ein Dutzend Club-Auftritte im Monat und unterschrieben ihren ersten Plattenvertrag bei „Mainstream Records“. Die Single „Journey To The Centre Of The Mind“ wurde in ganz Amerika bekannt, aber darauf waren weder die Plattenfirma noch Ted Nugent vorbereitet. Die drei ersten LP-Veröffentlichungen auf dem Mainstream-Label sind mehr oder weniger wirkungslos verpufft.

Während Mainstream noch eine LP aus alten Titeln zusammenstellte und zwei unautorisierte Live-Mitschnitte herausgab, nahm Ted mit jeweils wechselnden Begleitern unter dem alten Gruppennamen „Amboy Dukes“ zunächst zwei Alben für Polydor auf. „Marriage On The Rocks — Rock Bottom“ (wurde erst vor einigen Monaten in den Staaten neu veröffentlicht) und „Survival Of The Fittest“. Auf Frank Zappas Label „Discreet“ erschienen „Call Of The Wild“ und „Tooth, Fangs & Glaws“. Alle vier Produkte sind übrigens nur als Importe auf dem deutschen Markt zu haben.

Zappa war es auch, der Ted Nugent besonders auf die Finger schaute und dafür sotgen wollte, daß aus den Studioaufnahmen gut verkäufliche Produkte werden. „Ich bin in meiner Karriere schon so oft von sogenannten Managern und Plattengesellschaften unterdrückt und reingelegt worden“, empört sich der US-Gitarrist, „daß sich mir bei dem Gedanken daran noch nachträglich der Magen umdreht. Von den Verkaufserlösen all dieser früheren Platten habe ich noch keinen Cent gesehen!“ Ted Nugent hätte darum fast seine Gitarre an den Nagel gehängt. Aber dann besann er sich doch noch rechtzeitig auf ein paar andere Möglichkeiten…

Die Feedback-Schlachten

Ted Nugent ließ sich als weltbester Rockgitarrist ausrufen und forderte jeden denkbaren Gegner auf, öffentlich gegen ihn anzutreten. Solche Veranstaltungen im Boxkampfstil versprachen natürlich eine Menge Publicity, und so waren einige namhafte US-Gitarristen ganz versessen darauf, dem Ali-Nachahmer das Maul zu stopfen. Frank Marino, der mit seiner Gruppe Mahagony Rush in Amerika das musikalische Erbe von Jimi Hendrix angetreten hatte, Wayne Krämer, früher bei der berüchtigten Detroit-Gang MC5, und der von Iron Butterfly und Cactus bekannte Mike Pinera versuchten es — und wurden allesamt von Nugent niedergemacht.

Gleichzeitig gab der Feedback-King auch wieder Konzerte mit den verschiedensten Begleitern unter dem Namen Amboy Dukes. Dabei führte er — nur mit einem Lendenschurz und Indianerkopfputz bekleidet — einen wilden Kriegstanz auf, schwang Pfeil und Bogen und zerschoß schließlich einen auf den Lautsprecherboxen plazierten Totenkopf. „Ich mußte solche Tricks in meine Show einbauen, denn ich hatte kein Management, keine ernstzunehmende Plattengesellschaft und kein Produkt vorzuweisen — einfach nichts!“ Doch Ted Nugent hatte immer noch seine Gitarre in den Händen und unübersehbare Verstärkertürme hinter sich. Damit brachte er eines Abends in einem Club immerhin die Gläser zum Zerspringen: Da klirrte auch auf der Straße das Laternenglas und fiel aus den Lampenfassungen.

Gefährliche Frequenzen

Das war ganz nach Ted Nugents Geschmack. Er wußte sofort, wie er diesen Effekt im Rahmen seiner Konzerte entsprechend zur Geltung bringen konnte. Bei dem Titel „Hibernation“, einem der wenigen älteren Stücke, die er heute noch im Programm hat, hält Nugent einen unglaublich durchdringenden Ton so lange, bis einem beinahe das Trommelfell platzt, zumindest aber eine aufgestellte Glaskugel in Stücke springt. Der Teufelsgitarrist stößt einen markerschütternden Schrei aus und attackiert sein Publikum mit gefährlich hohen Frequenzen, die schon zur Massen-Epilepsie geführt haben. Er könnte die Leute damit töten! „Wenn die danach keinen Schaum vorm Mund haben, bin ich wirklich eingeschnappt!“ prahlt Ted. „Alles, was die Leute brauchen, ist ein schön chaotischer Abend mit Rock ’n‘ Roll, und wir spielen den energiegeladensten Rock der Welt!“ „In allen von uns steckt eine Menge Energie, die in meinen Konzerten freigesetzt wird. Mit der Gitarre und der kolossalen Phonstärke kann ich mich ganz schön abreagieren. Dabei springt die Power leicht auf das Publikum über — und zündet oft wie eine Bombe!“ sagt Ted. Dann verlieren die Leute völlig die Beherrschung. Prügeleien und Saalschlachten brechen aus, Polizeiautos werden in Brand gesteckt. Der „Whisky“-Club in Los Angeles ist nach einem solchen Happening total ausgebrannt, und in South Carolina kamen bei dem Durcheinander nach dem Konzert zwölf Nugent-Anhänger ums Leben. In Spokane, Washington, zielte jemand aus dem Publikum plötzlich mit einem scharf geladenen 44er Magnum-Revolver auf Ted Nugent. Während die Band eiligst hinter den Verstärkertürmen Deckung suchte, behielt unser Mann an der Leadgitarre den Verrückten fest im Auge — und spielte weiter. „Ich wußte, daß er mir kein Loch in den Kopf schießen würde. Dafür bin ich viel zu schnell!“ meint Ted. „Ich spielte einfach immer weiter und hoffte, daß die Leute im Saal ihn überwältigen würden…“ Ted Nugent hat Glück gehabt. Es ist tatsächlich nichts passiert. Nicht an diesem Abend. Aber ein paar Tage später hat derselbe Mann vier Personen aus seiner Familie umgebracht.

Ted Nugent sieht rot

Ted Nugent übt rücksichtslos Selbstjustiz, und für die Zukunft hat er auch gleich eine radikale Lösung parat, wie man der Überbevölkerung entgegenwirken kann:“ Man sollte allen Leuten eine Knarre in die Hand geben. Jedesmal, wenn dann zwei Autofahrer auf der Straße aneinandergeraten, ist die Sache unheimlich schnell bereinigt — peng! peng! – zwei Arschlöcher weniger. All die Verrückten würden sich gegenseitig umbringen, sie würden herumliegen wie die toten Fliegen, und nach zwanzig Jahren hätte sich die Menschheit um zehn Prozent reduziert.“

Der Nugent-Sturmtrupp

1975 fand Ted Nugent einen neuen Manager und unterschrieb einen Plattenvertrag bei Epic. Das erste Album unter seinem eigenen Namen „Ted Nugent“ wurde ein Bombenerfolg. Mit der entsprechenden Unterstützung durch Rundfunk und Presse sind von der Scheibe in Amerika bisher über 250.000 Stück verkauft worden, und schon rückt nach der „Goldenen“ eine Platin-Auszeichnung in Sicht. Seitdem gehört der LP-Track „Stranglehold“ auch bei uns zum harten Kern im Repertoire der rockbewußten DJs vieler Radiosender und Discotheken, und im Spätsommer dieses Jahres fegte Ted Nugent mit seinen neuen Begleitern Derek St. Holmes (Rhythmusgitarre, Gesang), Rob Grange (Baß) und Cliff Davies (Schlagzeug, Gesang) bei dem Festival in Rottveiler und Konzerten in Offenbach und Heidelberg über die Bühne. „Haltet euch bereit, der Sturmtrupp kommt“, kündigte Ted seinen Auftritt an — und schlug ein wie ein Donnerwetter.