The Charlatans


Eine Duftdusche mit 8 x 4 könnte dem pubertierenden Jüngling links von mir nicht schaden. Sein archaischer Veitstanz in der vornehmen Royal Albert Hall setzt einen Schweißmief frei, der jedes Brillenglas in Sekundenschnelle beschlagen läßt — der Preis für einen Abend mit Englands Vorzeige-Ravern. den Charlatans.

Überhaupt herrscht an diesem eher trüben Tag mit Londoner Nieselregen in der mit gut 5000 Plätzen ausverkauften Halle eitel Sonnenschein. Schon bei den ersten Tönen aus dem gewaltigen Soundsystem steht die Bude Kopf. Anlaß dazu gibt’s freilich noch nicht, denn was da mit Macht ans neugierige Ohr drängt, kommt vom Band: Bevor sich die Charlatans höchstselbst die Ehre geben, beschallen sie ihre jugendlichen Getreuen an die zehn Minuten lang mit einem Percussiongewitter, das auch einem Unwetter im Voralpenland Respekt abverlangen würde. Dem wilden Getrommel folgt dann erst mal eine geballte Ladung Luft, und zwar in Form von Nebelschwaden aus der Trockeneismaschine. Von der Band nach wie vor keine Spur.

Aber dann, nach weiteren Minuten ungezügelter Vorfreude, endlich der große Moment: Die Herren Musiker betreten die befremdlich kühl hergerichtete Bühne, deren einziger Schmuck aus ein paar überdimensionalen Bettlaken in den aufregenden Farben Braun und Weiß besteht. Etwa genauso faszinierend wirken die Charlatans bei ihren ersten Schritten in dem altehrwürdigen Musentempel. Wenn’s drum ginge, einen Preis für vorgetäuschte Langeweile zu gewinnen: Die Band aus Northwich/Cheshire würde mit Abstand gewinnen. Dicht am Rande der Lustlosigkeit greifen sich die Jungstars Arbeitswerkzeug wie Gitarren und Drumsticks und bitten zum Rave — und damit wird’s endlich spannend. Die Musik der Charlatans, ein psychedelischer Mix aus butterweich wabernder Hammondorgel, treibenden Baßläufen, mehrstimmigem Sixtiesgesang und elektrischer Schlaggitarre, geht ohne Umwege vom Kopf direkt in die Beine. Was Wunder also, daß die Kids in ihrer körperlichen Ekstase transpirieren, als ob sie bei der letzten Demo einem Wasserwerfer in die Quere gekommen wären. Derartiger Euphorie zum Trotz herrscht auf der Bühne weiterhin Coolness der Marke Bauknecht. Leadsänger Tim Burgess etwa blickt öfter auf den Boden als dem Publikum ins Auge und umfaßt das Mikrofon mit der Leidenschaft eines Eismeerbewohners.

Der Stimmung in der plüschigen Halle tut das freilich keinen Abbruch. Die Menge wogt in kollektiver Hypnose und feiert die Burschen auf der Bühne wie ehedem die ostdeutschen Claqueure ihren Erich. Aber selbst solch liebevoller Zuspruch läßt die Charlatans kalt: Nach mageren 50 Konzertminuten ist zunächst mal Schluß. Mit der zehnminütigen Zugabe bringt’s die Band dann noch so gerade auf eine Stunde. Die aber hatte es in sich: spritziger Hitparaden-Pop von fünf äußerlich müden Engländern, die aber alles andere sind als dahergelaufene Scharlatane.