The Christians – Auf Fels gebaut


Popstars dürfen wieder singen. Aus voller Kehle, mit reinem Herzen. Bestes Beispiel sind die Singles der Christians ("Forgotten Town", "Hooverville", "Ideal World") und ein Debüt-Album, das von null auf zwei in die englischen Charts einstieg und den gottesfürchtigen Newcomern in neun Wochen eine goldene Schallplatte brachte. Rolf Lenz erzählt die ungewöhnliche Geschichte einer altmodischen Band.

Wären die Gebrüder Christian in Chicago oder Detroit zur Welt gekommen, hätten sie ihre Karriere mit fünf, höchstens sechs Jahren im Kirchenchor begonnen – und nicht erst Mitte 20 in einer Feierabend-Band. Als Liverpooler Jungs gingen sie zwar brav jeden Sonntag in den Kindergottesdienst, aber mit Singen war da nicht viel. Das machten sie zu Hause, da war überhaupt mehr los: Die Christians waren 12 Kinder, und die meisten davon musikalisch oder zumindest Musik-begeistert.

Eine der älteren Schwestern kaufte immer die neuesten Import-Singles aus Amerika (die in Liverpool traditionell hoch im Kurs stehen und schon ehedem den Beatles auf die Sprünge halfen) und formte damit maßgeblich den Musik-Geschmack ihrer Brüderschar: Soul, Rhythm & Blues, Doo Wop, Jazz… alles, was gut und schwarz und amerikanisch war. Irgendwann begannen Garry, Roger, Russell, Vic und Marc Christian „aus einer Laune heraus“ gemeinsam zu singen und traten als A Capella-Gruppe Equal Temperament mit alten Temptations- und Impressions-Songs auf.

Bei einem dieser Auftritte erlebte sie Henry Priestman, damals Keyboarder der in Enland recht erfolgreichen Pop-Combo It’s Immaterial: „Das war auf einem Festival, sie kamen nach allen möglichen lokalen Punk-Bands und waren umwerfend. Kurze Zeit später suchten It’s Immaterial einen Chor für die Nummer ‚Eds Funky Diner‘ und engagierten schließlich Roger, Russell und Garry Christian.“

Schon bald beschlossen Henry Priestman und die drei Christian-Brothers, gemeinsame Sache zu machen. Henry: „A Capella-Gesang war nach den Flying Pickets und den Housemartins allerdings irgendwie abgehakt, also probierten wir’s erstmal – nicht allzu erfolgreich – mit alten Nummern in neuen Arrangements: Persuasions-Songs, Curtis Mayfields ‚Man Oh Man und solches Zeug. Dann kamen erst die eigenen Sachen, ich hatte damals ein paar Nummern …“

Er hatte damals ein paar Nummern … Henry Priestman neigt zur Untertreibung: Er hat alle Songs des Christians-Debütalbums geschrieben, einschließlich sämtlicher eingangs erwähnter Hit-Singles. Ohne seine Musik währen die Christians vielleicht immer noch Hobby-Sänger, „aber ohne ihre Stimmen lägen meine Songs wahrscheinlich immer noch in der Schublade“, hält Henry allen Versuchen entgegen, die Band auseinanderzudividieren.

Eine der Stärken der Christians liegt für ihn in den unterschiedlichen musikalischen Interessen ihrer maßgeblichen Mitglieder: Russell ist stark Jazz-beeinflußt: Sonny Rollins, John Coltrane; außerdem versteht er am meisten von Musik-Theorie, kennt sich mit Akkorden usw. aus. Garry ist Spezialist für Soul und Blues, und mir gefällt alles von Hank Williams über Captain Beefheart bis zu den Clash. Schmeiß all das zusammen und du hast unsere Musik.“

Die Plattenfirmen, denen sie ihre ersten Aufnahmen schickten, konnten damit allerdings zunächst recht wenig anfangen: Da kamen Antworten wie: Also, wir haben hier vier Songs („Ideal World“, „Forgotten Town“, „Hooverville“ und „One In A Million“) – eine Ballade, ein bißchen was Afrikanisches, Reggae-Hip Hop … Das ist uns alles viel zu unterschiedlich. „

Ähnlich dachte auch Roger Christian, der dritte Gründungs-Bruder. Er hat die Band inzwischen wieder verlassen, um sich eigenen Projekten zu widmen, und die anderen weinen ihm keine Träne nach. „Roger konnte ziemlich schwierig sein“, formuliert Henry vorsichtig. „Es gefiel ihm schonmal grundsätzlich nicht, im Team zu arbeiten. Außerdem war er fünf Jahre älter als wir (Garry und Henry sind 32, Russell ist 31 Jahre alt) und wesentlich stärker der orthodoxen R&B- und Soul-Tradition verhaftet.“

„Roger ist irgendwann stehengeblieben“, wird Glatzkopf Garry Christian deutlicher. „Er war nie mit ganzem Herzen dabei und zeigte manchmal einen unerträglichen Mangel an Respekt vor Musik. „

„Die Arbeits-Atmosphäre ist besser ohne Roger“, findet auch Henry. „Wir drei müssen jetzt zwar härter ran, können uns aber auch besser entfalten. Jemand wie Russell zum Beispiel, der gar nicht so darauf aus war, ganz vorn zu stehen. Jetzt muß er’s hall, und es hat ihn weitergebracht, am Saxophon und überhaupt. „

Auf der Bühne stehen den Front-Christians noch drei weitere Herren zur Seite. Mike Bulger (Gitarre), Tony Jones (Baß) und Paul Barlow (Schlagzeug). “ Wir kennen uns alle schon ellenlang“, erklärt Henry, „und bei uns ist keiner auf der Bühne, von dem du gleich weißt: ,Ah, der gehört eigentlich nicht dazu, den haben sie nurjür die Tour mitgenommen.‘ Wenn wir die Stücke vom Album so spielen wollten wie im Studio, brauchten wir an die 18 Leute, aber das wollen wir nicht. Bei uns soll Wärme von der Bühne kommen, ein gewisses Zusammenspiel der Band – und das kriegen wir in der momentanen Besetzung am besten hin.“

Ob sie weiterhin so gute Songs hinkriegen, wird sich zeigen. Russell und Garry Christian wollen Henry Priestman zwar in Zukunft unter die Arme greifen, der fühlt sich nach den bisherigen Erfolgen allerdings bereits unter Zugzwang: „Jetzt sind wir in der Tretmühle. Ich hatte drei Jahre Zeit, um die Songs des ersten Albums zu schreiben – fürs nächste haben wir gerade drei Monate.“