The Cramps


Heiliger Müll, das war’s! Es gibt sie also wirklich, die Cramps, und glaub mir: Alles, was man über sie erzählt hat, ist wahr. Wenn es einen Rock ’n‘ Roll-Himmel gibt, dann kommen die Cramps aus der Hölle. Auch Cramps-Neulinge, die erst seit dem letzten Album A DATE WITH ELVIS dabei sind, werden die irritierende Doppelbödigkeit des Cramps-Dings bereits kennen. Live aber ist alles nur noch brutaler.

Sänger Lux Interior liefert die wohl böseste Parodie des „Rock ’n‘ Roll-Stars“, die sich denken läßt: Sex, Alkohol, Schweiß, Exzentrik, alles brodelt in einem dampfenden Gemisch über die Rampe. In solcher Perfektion, daß es niemanden kalt lassen kann. Auch nicht das sehr gemixte Publikum der (natürlich ausverkauften) Markthalle, die konzertlang Kopf stand.

Auch wenn die unermüdlichen Pogoisten in den ersten Reihen auf der falschen Veranstaltung waren (mit Punk der späten 70er haben die Cramps weniger als nichts zu tun), hatten die vier Gruft-Heroen keine Schwierigkeiten, die Sache in den Griff zu kriegen. Gitarristin Poison lvy Rorschach (im Haremsdamen-Gewand) und Gast-Bassistin Für wurden dann auch gleich zu Beginn mit großem Gejohle begrüßt: Viva Las Vegas!

Und „Heartbreak Hotel“ gab das Tempo vor. Selten hat man jemanden so diszipliniert trinken sehen wie Lux Interior: Jeder Schluck aus der Rotweinflasche ein choreographischer Akt. Jeder Bühnen-Sturz Teil einer Songkür. Jedes kaputte Mikrofon ein Mosaiksteinchen des ausgeklügelten Trash-Happenings. Das ist schlicht großartig, wenn auch ziemlich cool und durch seine Überdrehtheit fast schon wieder abstrakt.

Ob die mangelnde Naivität der Cramps nun — live — eine Stärke oder eine Schwäche ist, muß jeder für sich selbst entscheiden. Ihre Rockabilly/ Country/Pop-Songs verändern sich live in genau dem Maße, wie es sich für ein Konzert gehört: roher, direkter, hitziger klingen sie. selbst hier aber totale Kontrolle. Keine Note zu viel, kein Break zu lang. Drummer Nick Knox konnte sich zwischendurch erheben und wieder setzen: Es war atemberaubend.

War es amüsant? Wenn man über den bizzaren Humor von Andy Warhols cineastischen Horror- und Blutorgien lachen kann, dann sicher.

Die Cramps pur genossen, ist schon eine Menge. Lux Interior und seinen Komplizen gelang etwas schier einmaliges: Sie haben unmißverständlich bewiesen, daß sie zu Recht eine Kultgruppe sind, mehr noch: Sie haben den Begriff gradegerückt. Der verblichene Rock n‘ Roll-Kult kann nur noch in schwarzen Messen beschworen werden. Dies war eine.