Setzkasten des Schreckens


Aus Vorbildern und Zitaten etwas ganz Eigenes zu schaffen, ist eine Kunst. The Horrors beherrschen sie ziemlich perfekt.

In England geht der Schrecken um. Na ja, fast. The Horrors aus Southend haben mit der allgemeinen Rückbesinnung auf Früh-8oer-New-Wave-Stilismen nichts am Hut und halten mit einem gänzlich anderen Verweissystem dagegen. Da ist nomen tatsächlich omen: Sänger Faris Badwan und seine vier Mitmusiker bringen die Finsternis zurück in den Punkrock. Sollen andere mit schnoddrigem Hochhausakzent von Bier, Mädchen und Videotheken erzählen – The Horrors versprechen auf ihrem Debüt nicht weniger als „Psychic Soundsfor Freaks and Weirdos „.

Bei näherem Hinhören entpuppen sich die hochtoupierten Gruselrocker als musizierender Setzkasten aus Verweisen und Konzepten. Wir zerlegen die Band in ihre Einzelteile und präsentieren die wichtigsten Bausteine der Provokateure im Überblick.

Screammg Lord Sutch

David Edward Sutch war ein britischer Musiker, Politiker und Sonderling, der sich den Künstlernamen bei seinem Idol, dem Voodoo-Blues-Exzentriker Screaming Jay Hawkins, borgte. Sutchs Bühnenshows, bei denen er als „Jack the Ripper“ auftrat, waren naive Horror-Inszenierungen, die Alice Cooper und Marilyn Manson auf unschuldige Art und Weise vorwegnahmen. Seit den frühen 6oern war Sutch (zu dessen Musikern lange Zeit der für seine Liebe zu Düsterem notorische Ritchie Blackmore zählte) politisch aktiv u. a. für die Monster Raving Loony Party. Der depressive Sutch nahm sich 1999 das Leben. The Horrors eröffnen ihr Album mit seinem „Jack The Ripper“.

The Cramps/Psychobilly

Die 1972 gegründeten Cramps gelten als Erfinder des Psychobilly, einer Punk-Spielart, die sich auf Blues, B-Horrorfilme und (zumindest bei den Cramps) Lackund Leder-Fetischismus bezieht. Berühmt ist die von Sänger Lux Interior und Gitarristin Poison Ivy angeführte Band für ihre exzessiven Liveshows, bei denen sie zu minimalem Rockabilly-Punk systematisch die Bühne zerlegten. Ihr Einfluss ist enorm: Nick Caves Birthday Party, White Stripes und eben The Horrors (neben vielen anderen) wären ohne die Rock’n’Roll-Schmierlappen aus Sacramento undenkbar.

B-Movies/Grindhouse-Filme

Fast wichtiger als die Musik ist das optische und textliche Konzept der Horrors: Es belehnt mehr als deutlich das Exploitation-Kino der 50er bis 70er. Italienische Nacktkrimis, US-Bikerstreifen, Folterkellerfilmchen aus Südamerika – aus derlei Bahnhofskinoattraktionen destilliert die Band einen verführerisch miefenden Image-Sud, der allenfalls durch exzessives Duschen wieder wegzukriegen ist. Demselben Sumpf entstammen die Künstlernamen der Musiker wie Joshua von Grimm und Coffin Joe.

Edward Corey

Der US-amerikanische Autor und Illustrator Edward St. John Gorey kombinierte in seinen bizarren Illustrationen den Surrealismus MagTittes und De Chricos mit dem beunruhigenden Grusel viktorianischer Settings. Etliche Arbeiten Goreys gemahnen an die Kurz-Animationen, die Terry Gilliam für Monty Python schuf. Berühmt wurde Gorey neben Büchern wie „Das jüngst entjungferte Mädchen“ vor allem durch den Vorspann zur TV-Serie „Mystery!“ Mit dem Vorwurf der Düsternis konfrontiert, verwies Gorey, der seine Bücher als „literary nonsense“ beschrieb, auf den Komponisten Franz Schubert: „Wie Schubert schon sagte: Es gibt keinefröhliche Musik. Und es gibt auch keinen fröhlichen Nonsens.“

ChrisCunningham

Der hochdekorierte Videokünstler und Clip-Regisseur zauberte für The Horrors nach Jahren der Musikvideo-Abstinenz tatsächlich noch mal ein kurzes Filmchen. Sein Video zur Single „Sheena Is A Parasite“ mit der Schauspielerin Samantha Morton wurde von MTV sofort mit einem Boykott belegt. Cunninghams frühere Videos wie „Come To Daddy“ (für Aphex Twin) sind hochmoderne Bastard-Werke aus Kunstfilm und Exploitation, die den Horrors-Imagegestaltern gut gefallen haben dürften. »> www.thehorrors. co.uk