The Great Indoors, Bavarian Open Festival, München, BR Funkhaus


Es braucht wahrlich nicht die ganz großen Namen, um dieses Festival im rasanten Eilverfahren auszuverkaufen: Diesem Reiseführer durch die vielen Geheimtipps der ausgestellten Länder lässt sich blind vertrauen.

„Wenn es für den Musikjournalisten bei einem Konzert absolut kein Halten mehr gibt, bewegt er seinen rechten Fuß zum Rhythmus der Musik“ (zit. nach: Koch, Albert: „Fuck Forever -Der Tod des Indie-Rock“, 2007).

Für diesen einen Abend sind wir alle Musikjournalisten. Wir verschanzen uns hinter einem Bollwerk aus verschränkten Armen und wippenden rechten Füßen. Wir wiederentdecken den Wert des Social-Drinking und begutachten dabei, was uns die fünfte Ausgabe dieses „größten europäischen Indoor-Festivals“ in den Traditionsstudios des Bayerischen Rundfunks an Musikern aus Bayern, Deutschland und dem Rest der Welt vorzustellen hat. Natürlich trägt dieses „Event“ mehr Messe- als Konzertcharakter, aber viel Zeit zur Raserei bliebe ohnehin nicht. Viel zu sehr ist man durch die nahezu universale Attraktivität der stattfindenden Konzerte zur Dauerwanderschaft von Saal zu Saal angehalten. Dazu sind es auch die leisen, unbetanzbaren Momente dieses Spektakels, die am lautesten im Schädel nachhalten werden. Scout Nibletts Herz beim Bluten zuzusehen, ist so einer. Oder andächtig an den Lippen der Newcomerin Dillon zu kleben, als diese mit Sluts Christian Neuburger in der neuen „Powerballade“ dessen Band, „Wednesday“, verschmilzt. Oder die Ganzheit des bis zu jenem Abend noch weitgehend ungehörten, unerhört guten Scott Matthew. Dem Australier wurde unterschiedlich lautenden Gerüchten zufolge eine Woche zuvor in seiner Wahlheimat New York von einem nicht lange fackelnden Junkie die linke Hand zerdeppert. In einer Nachtund-Nebel-Aktion arrangierte Matthew seine für Gitarre und Ukulele gedachten Songs für Cello und Piano um, trommelte flugs Gastmusiker herbei und dürfte selbst etwas erstaunt gewesen sein, wie wunderbar stimmig seine androgynen Folksongs in ihrer neuen Garderobe klangen. Lässt er sich aber natürlich nicht anmerken – zurückgezogen in seinem Kapuzenpulli kauert er auf einem Barhocker oder so und verbreitet mit seiner simultan fragilen und Ehrfurcht gebietenden Stimme eine Coolness, die den Rauch der Nebelmaschine sekundenschnell gegen Bühnendecke sausen lässt. Der erste Höhepunkt eines an denkwürdigen Momenten nicht gerade armen Festivals. So wird einem das Warten auf die headlinende Band Of Horses verkürzt durch geschichtsträchtige Ereignisse wie den ersten hierzulande stattfindenden Konzerten der kanadischen ElektRock-Freigeister Holy Fuck sowie der landstreicherigen, vom Publikum sehr stark geliebten Felice Brothers und dem letzten regulären Konzert der Ulmer Hip Hopper Kinderzimmer Productions. Die Trauer ob dieses Wegfalls einer Größe, die der galoppierenden Verdummung deutschsprachigen Raps seit jeher Einhalt geboten harte, muss allerdings später nachgeholt werden: Der Band Of Horses wird ein freudestrahlender Empfang beschert, den die langbärtige Horde umgehend zu bedanken weiß. Die optimale Akustik in speziell für Orchesteraufnahmen errichteten Radiostudios ist eine Sache, seine Instrumente und insbesondere Songs (mit „Act Together“ sogar inklusive eines Ron-Wood-Covers) aber so gut zu beherrschen, eine andere. Inmitten all dieser Perfektion versprühen sie aber eine selbstverständliche Wärme und Menschlichkeit, als wollten sie jeden einzelnen Besucher nach dem Konzert noch warm baden und zu Bett bringen. Allerdings nicht vor der Bassmassage der Gebrüder Teichmann, die schließlich doch noch den Arsch auch des seriösesten Musikjournalisten zum Rotieren bringt. »>www.br-online.de/kultur-szene/thema/bavarianopen