The Prodigy: Zurück als Zombie


Liam Howlett versucht The Prodigy zu retten, indem er Keith Flint und Maxim aus dem Studio jagt und auf seinem Laptop neuen Krach macht. Ist die einst größte Party-Band der Welt am Ende?

The Prodigy sind wieder da. Tja. Niemand hat damit gerechnet, weil vor zwei Jahren die Single „Baby’s Got A Temper“ erschien. Das Stück klang wie dreimal durchgekaut, wie ein Aufguss vom Aufguss. Ein Vollflopp. Seitdem wird das neue Album angekündigt und verschoben, angekündigt und verschoben – und weg sind alle Erwartungen. Wenn man jetzt ALWAYS OUTNUMBERD, NEVER OUTGUNNED hört, weiß man, warum Axl Rose Angst hat, CHINESE DEMOCRACY zu veröffentlichen: Was tot ist, soll tot bleiben. Zombies will man nur, wenn sie von George Romero kommen. Oder von Kante. Trotzdem ist die Rückkehr von The Prodigy bemerkenswert, denn sie ist eine Tragödie.

Der Held dieser Tragödie heißt Liam Howlett. Er ist der musikalische Chef des einst weltweit erfolgreichen, weil nicht zuletzt tatsächlich genialen Trios. The Prodigy einten Anfang der 90er Raver und Rocker, weil ihre Beats schmutzig waren und ihre Gitarren tanzbar. Wenn heute irgendwo „Firestarter“ oder „Breathe“ läuft, stürzen immer noch alle auf die Tanzfläche. The Prodigy trieben jede Festival-Meute in kollektive Raserei, sorgten mit politisch unkorrekten Videos für hyperventilierende Spießer, überraschten mit innovativen Musiken, definierten den Begriff Big Beat mit und nahmen ein Album auf wie FAT OF THE LAND, das in 22 Ländern auf Platz eins landete. Das war früher. Heute sitzt Liam Howlett allein im Bademantel in einem sterilen Hotelzimmer und schaut weg, wenn man ihm in die Augen sieht. Wo sind der irre Stachelkopf Keith Flint und der durchgedrehte Reime-Schmeißer Maxim, die Vorzeige-Verrückten der Vorzeige-Party-Band? Weg sind sie. Liam Howlett ist allein und versucht zu retten, was nicht zu retten ist.

„Wenn man Erfolg hat, ist man wie in einem Kokon „, sagt er. Und irgendwann ist die Luft raus. The Prodigy spielten und feierten, aber irgendwann fielen ihnen keine Lieder mehr ein. Normalerweise kamen die Lieder auf Tour, wurden auf der Bühne ausprobiert, entstanden während der Party. Aber die Party war vorbei – zumindest für The Prodigy. Im Jahr 2000 machte Liam Howlett nichts, im Jahr 2001 nahm er fünf neue Lieder auf. „‚Baby’s Got A Temper‘ war scheiße“, sagt er heute. „Und dann spielten wir 2002 auf dem Reading-Festival. Das war schlimm, sehr schlimm. Wenn man gute neue Stücke hat, ist alles gut. Aber wir hatten nur Downer. Es fehlte die Faust in der Luft.“ Er warf die neuen Stücke weg, ging vier Monate in ein Studio in Essex und wurde ein bisschen verrückt. „Mein Kopf war leer. „Ab und zu kamen die Leute von der Plattenfirma, sahen ihm über die Schulter und sahen nichts. Er flüchtete aus dem Studio, kaufte sich einen Laptop, flog nach New York, dann nach London und arbeitete an neuer Musik. „Ich fühlte mich frei.“ Das war 2003.

Das erste neue Stück nannte er „Wake Up Call“. „Es ist ein Weckruf für mich, damit ich mich daran erinnere, worum es bei The Prodigy geht – um Spontaneität und Energie.“ Er schrieb zwei weitere Lieder und holte Keith Flint – der mittlerweile unter dem Namen Flint ein Rotz-Rock-Soloalbum aufnahm (welches hierzulande allerdings nur als teurer Auslandsimport zu haben ist) – und Maxim ins Studio, spielte seine neuen Lieder vor und sagte: „So wird das neue Album klingen, und ihr werdet nicht dabei sein. Nur so können wir weitermachen.“ Heute sagt er, sie hätten das verstanden. Howlett: „Sie haben sowieso immer nur die Vocal-Parts geliefert. Wenn ich mit Keith Flint als Frontmann zurückgekehrt wäre, wären The Prodigy jetzt Geschichte. Die Leute wollen nicht immer den selben Typen sehen. Sie wollen Musik.“ Aber auf die Tour im Oktober gehen sie dann doch zu dritt.

Wer braucht The Prodigy noch, sieben Jahre nach FAT OF THE LAND, zehn Jahre nach dem bahnbrechenden MUSIC FOR THE JILTED GENERATION? Howlett lächelt gequält und sagt: „Niemand kam und hat unseren Platz eingenommen. Oasis waren weg, und neue Bands ersetzten sie. Doch uns hat niemand ersetzt. Es gibt da draußen niemanden, der den Krach macht, den ich mache. But someone has to make the noise!“ Zu Hause hört Liam Howlett mittlerweile ruhige, melancholische Musik. Aber wenn ich im Studio bin, kommt immer Krach dabei raus. Aber vielleicht schreibe ich irgendwann ein Ambient-Album.“ Im Fernsehen redet Jürgen Fliege, und Liam Howlett sagt: „Ich bin immer noch derselbe wie damals, als ich Public Enemy und die Sex Pistols hörte. Ich fühle mich heute nicht anders als früher“, und er weiß wohl, dass er lügt. Liam Howlett ist The Prodigy, seitdem er 18 ist. Die Band ist sein Leben. Was kommt danach? „Ich weiß nicht. Vielleicht produziere ich junge Bands oder helfe ihnen irgendwie. Jetzt kommt erst mal der Neuanfang. Es muss funktionieren.“