The Singles


Die gar nicht mal so schleichende Transformation von Deichkind vom lustigen Deutsch-HipHop- zum lustigen Knüppel-Techno-Electro-Act auf ihrem Drogenverherrlichungs-Album AUFSTAND IM SCHLARAFFENLAND sei anläßlich der neuen Single, dem großartig betitelten „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“ (Island/Universal), noch einmal ausdrücklich begrüßt. Die größte und wunderbarste Idee dieser Single aber ist der „Scooter Remix“, auf dem der Ober-Hoeneß des Ich-baller-mir-mein-Gehirn-weg-Techno, HP Baxxter, in seiner charmanten MC-Art „Don’t mess with me!“, „Alright, check this out!“, „Here we go!“ und „Wicked!“ und so Sachen sagen darf. Großartig!

Der wie immer undotierte Preis für den besten Bandnamen des relevanten Abrechnungszeitraums geht diesmal an: Elektro Willi und Sohn. Die kommen aus Aachen, bestehen aus Elektro Willi, der in der Vergangenheit schon unter den Namen Aeric und Alphawezen elektronische Musik hergestellt hat, und, äh, dem Sohn von Elektro Willi. „Töne in mein Haar“ (Play’s Cool) ist in seinem Minimal-Technoiden-Acid- Ansatz gar nicht so weit entfernt von den transformierten Deichkind von einer Besprechung weiter oben. Und die Texte, die Texte erst: „Du bist das Knacken in der Ritte.“ Kann es ein schöneres Kompliment für einen Menschen geben?

Kommen wir jetzt zur beliebten Abteilung „Seelenloser, glattgebügelter und grauenerregender Schmuse-R’n’B.“ Dort ist der Schauspieler („Ray“) Jamie Foxx mit seiner Single „Unpredictable (Feat. Ludacris)“ (J Records/Sony BMG) zu Hause. Was lernen wir daraus? Einen seelenvollen, eckigen Musiker im Film zu spielen ist eine Sache, selber Musik machen eine andere.

Der prominenteste Fan der Kölner Band Locas In Love, die früher mal unter dem Namen Unser kleiner Dackel unterwegs war, heißt Josef Winkler. Der hat es sich nicht nehmen lassen, kurz vor Antritt einer wichtigen Dienstreise, zu nachtschlafender Zeit (9.52 Uhr) in der Redaktion vorbeizukommen, um dem Singleskastenschreiber in letzter Minute ein Vorabexemptarvon „Wir fangen von vorne an“ (Sitzerrecords) auf den Schreibtisch zu legen, das ihm, Winkler, wiederum am Vorabend im „Atomic Cafe“ beim Konzert von Karpatenhund, einem weiteren Alias von Locas In Love, ausgehändigt wurde. Locas In Love auf jeden Fall ist schön Sterne-esker, mal vorwärtsdrängender, mal niedlicher (immer wenn die Frau singt, deren Namen ich leider im Moment nicht griffbereit habe) Indie-Pop, der-verdammt nochmal und nicht nur, aber auch wegen Zeilen wie „Rückblickend war die Industrialisierung eine Scheinidee“ ein größeres Publikum verdient hat.

Der Erfolg von Mattafix hat ja selbst uns ausgebuffte Banderfolgvorhersage-Profis (wer hat 1998 an gleicher Stelle geschrieben, daß „The Rockafeller Skank“ Nummer 1 in Deutschland wird, hä?) auf dem falschen Fuß erwischt. Die Zielgruppe ist aber auch sowas von unberechenbar. Findet plötzlich gar nicht mal so guten jazzy, poppy, bluesy HipHop gut und kauft 150.000 Singles von dem Zeug. „To&Fro“ (Virgin/EMI) ist dann so eine jazzy, poppy, bluesy Hip-Hop-Ballade. Gar nicht mal so gut.

Kill! Kill! Kill! Man müßte maleine Untersuchung darüber anstellen, wie oft Morrissey schon in seinen Liedern getötet wurde, gefordert hat, getötet zu werden oder zur Tötung (von Mitgliedern bestimmter Berufsgruppen zum Beispiel) aufgerufen hat. Gefühlt ist das in jedem zweiten Song der Fall. Wobei wir bei der Single „You Have Killed Me“ (Attack/Sanctuary/Rough Trade) wären. Die ist natürlich wieder einer dieser fiesen Morrissey-ich-beweg-mich-keinen-Millimeter-weiter-Hits, die du erst in ein paar Monaten richtig verstehen wirst, außer du bist The Sailer.

Ui, das zwitschert aber schön. One-Two sind zwei Franzosen, die ihre Herkunft gar nicht verheimlichen (wollen/können), weil sie auf „Love Again“ (Four Music/Columbia/Sony BMG) ihren englischen Gesang mit einem hübschen französischen Akzent versehen. Die Musik? Ja so Elektro-Non-Elektro-Pop zwischen sonnenscheinig und verhalten freaky.

Na hör mal, das geht aber gar nicht! Da werden die humorfreien Indie-Spießer gleich wieder aufschreien. Die absolut Indie-unverdächtige Girlband Sugababes covert auf der B-Seite ihrer neuen Single „Red Dress“ I (Universal – UK-Import) die indieste aller Indie-Bands: die Arctic Monkeys. „I Bet You Look Good On The Dancefloor (Arctic Babes Mix)“ heißt das gute Stück hier. Es war nämlich so, daß die Arctic Monkeys im Oktober 2005 mit diesem Lied „Push The Button“ von den Sugababes vom ersten Platz der englischen Singlecharts vertrieben haben. Das kann man jetzt als einen liebevollen Racheakt betrachten. Bis auf die etwas gewöhnungsbedürftigen Joe-Satriani-Gitarren geht die Version der Sugababes grundsätzlich in Ordnung, auch wenn man sich gewünscht hätte, mehr Sugababes-Pop-Pop in diesem Lied zu hören. Und wenn du als Indie-Spiefier immer noch Bauchschmerzen hast: Wenn eine Indie-Band wie die Arctic Monkeys das erfolgreichste Debütalbum der englischen Musikgeschichte abliefert und eine Mainstream-Girlie-Band wie die Sugababes von Platz 1 der Charts verdrängt, dann ist diese Indie-Band doch auch irgendwie Mainstream, oder? Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: Yippie Yippie Yeah, Yippie Yeah, Krawall und Remmidemmi.