Tom’s Ruhige Jahre


„Frank’s Wild Years“ nannte Tom Waits seine letzte Platte. Den eigenen „Wilden Jahren“ ist der Prophet der Penner und Saufbrüder hingegen längst entwachsen. Steve Lake traf in London einen in jeder Beziehung ernüchterten Mann

Tom Waiis hat mehrKlasse I und Chic ah irgendwer sonst. Er ist der beste Songwriter überhaupt. “ Meint Leonard Cohen.

Man könnte sicher ganze Heerscharen von Kritikern versammeln, die Leonards zweiten Satz unbesehen bestätigen würden: der erste ginge ihnen allerdings bestimmt nicht so leicht über die Lippen. Chic? Tom Waits? Der Typ. der in „Big Time“ unrasiert und mit hängenden Schultern über die Leinwand torkelt, an einer dubiosen Flasche nuckelt und gerade noch ein verrauchtes, phlegmatisches Röcheln herausbringt, ist nicht unbedingt das, was die Zuschauer chic nennen würden.

Bei Waits muß man allerdings — mehr noch als bei den meisten unserer Popstars — deutlich unterscheiden zwischen wirklicher und Bühnen-Persönlichkeit. Es kommt nicht von ungefähr, daß ihm plötzlich alle den Hof machen: Drehbuchautoren und Filmproduzenten, die ihn in Francis Ford Coppolas „Outsiders“, „Rumblefish“ und „Cotton Club“, in Jim Jarmushs Kultfilm „Down By Law“ oder in Toms eigenem Stück „Frank’s Wild Years“ gesehen haben. Er hat sich schon durch ein aanzes Verbrecheralbum von Gaunern und Verlierern. Zuhältern und Hobos. Schmalspur-Discjockevs und Galgenvögeln gespielt — was ihm offenbar nicht sonderlich schwerfällt: Seine Leinwand-Rollen entsprachen bisher immer Charakteren, die er auch in seinen Songs verkörpert.

Jeder Waits-Song ist ein kurzes Schauspiel, ein Sketch, ein kleines Universum für sich. Aber die Personen in den Songs sind nicht Tom — jedenfalls nick mehr.

Er schreitet beinahe zielbewußt in die Lobby seines Londoner Hotels, die Hände tief in den Taschen einer ziemlich chicen Lederjacke. Und das Hemd ist sauber. Aus der gewolltzufälligen Frisur leuchten ein paar blonde Strähnen, und Tom hat sich für das Interview sogar sauber rasiert (okay, einmal rutschte ihm wohl die Hand ab und säbelte knapp unterm linken Ohr ein Stückchen Fleisch raus —aber ansonsten: perfekt). Die berühmten stechenden Augen strahlen groß und klar in den Nachmittag; keine Spur von Tränensäcken. Wir setzen uns an die Bar, Tom bestellt…

„Ein Mineralwasser, bitte.“

Zigaretten — (rüher waren es drei Schachteln pro Tag — faßt er schon seit fünf Jahren nicht mehr an. Hat er jetzt auch das Trinken aufgegeben?

„Och“, grinst er, „ich nehmt‘ immer noch gelegentlich ein Gläschen Portwein oder Sherry vorm Essen. Aber ich kippe nicht mehr so wie früher und ich versuche, keinen Whiskey mehr zu trinken. Schließlich muß ich jeden Morgen ungefähr um sieben aufstehen und mich auf den Trecker schwingen. Das Heu muß ja rein …“

Ich halte das zunächst für einen seiner legendären Sprüche, aber ¿

er meint das völlig ernst. Tom Waits auf einem Trecker?? Auf dem Land???

„Ja. ich bin jetzt ganz anders drauf, stimmt er zu. „Mein Kopf ist viel klarer.“

Kennengelernt habe ich Waits vor 13 Jahren im New Yorker Chelsea Hotel. Er wohnte in der verwanzten Bude, in der vorher William Burroughs gehaust hatte, neben Janis Joplins früherem Zimmer und direkt unter Nicos. Er war von L.A. nach Osten gezogen, vertiefte sich ganz und gar in den Mythos New York und wollte unbedingt an eine literarisch/musikalische Szene glauben, die es längst nicht mehr gab.

Waits, damals 26, versuchte alles, um 1975 ein 50er Jahre-Beat-Poet zu werden. Keine einfache Sache. Zu seinen Shows trommelte er die paar noch lebenden Bebop-Musiker zusammen. Er aß in den schmierigsten Kaschemmen und trank zuviel. Zu einer Zeit, als die meisten gleichaltrigen Kalifornier mit frischgeföhnten Mähnen wie Mädchen herumliefen, trug Waits Pißpott-Schnitt und einen Dizzy Gillespie-Spitzbart.

Trotzdem begann sich seine Vortäuschung falscher Tatsachen — anders kann man das ja wohl nicht nennen — nach und nach zu verselbständigen. Seine literarischen Fähigkeiten reiften, er arbeitete im Beat-Genre und war (beinah!) in der Lage, sich selbst davon zu überzeugen, daß es die 60er (ganz zu schweigen von den 70ern) nie gegeben hatte.

Dank einer der regelmäßig wiederkehrenden Trend-Zyklen war Waits Ende der 70er auf einmal in Mode. Er paßte wunderbar zu der Woge nostalgischer Begeisterung für die repressiven 50er Jahre, die plötzlich die amerikanischen Konsumenten erfaßte. Mit wehmütiger Nostalgie freute man sich über das James Dean-Revival, Norman Mailers Bücher über Marilyn Monroe, die schultergepolsterten Anzüge der Lounge Lizards und Tom Waits-Alben. Er hätte immer so weitermachen und stinkreich werden können: Die Platten verkauften sich, die Presse vergötterte ihn.

Aber eines schönen Tages — vielleicht im unbarmherzig lichten Moment eines Katers — schaute er genau in den Spiegel und sagte sich: Nein. Jetzt reicht’s.

„Als Musiker, als Künstler muß man sich selbst erfinden. Alles um dich herum sind deine Materialien, du verwendest alles, was du für echt halst. So kristallisiert sich nach und nach deine .Identität‘ heraus. Ich dachte, ich hätte meine längst gefunden und mochte sie auch eine Weile. Aber dann fühlte ich mich auf einmal ganz klein und halle Angst mich zu bewegen. Ich steckte in einer Mode fest, wie ein Haarschnitt. Ich halte einmal gesagt ,So bin ich‘, aber wenn ich jetzt eine neue Idee halle, war es schwierig, sie durchzusetzen. Heule habe ich weniger Angst davor, ich fühle mich sicherer in der Unsicherheit.“

Zwei Faktoren waren besonders ausschlaggebend für Toms „Wiedererwachen“: Der eine, wichtigere, war seine Heirat mit Kathleen Brennan. Der andere war die Entdeckung der Musik von Harry Parten.

Der 1974 verstorbene Partch war ein couragierter amerikanischer Pionier. Das eigensinnige Genie fand alle westlichen Musikinstrumente zu wenig durchdacht für die Musik, die er im Kopf hatte; also baute sich Partch seine eigenen.

Da er aber sein ganzes Leben arm war, mußte er mit den Materialien vorlieb nehmen, die er irgendwo abstauben konnte.

in seinem wundervollen Buch

„The Genesis Of A Music“ gibt er genaue Anleitungen zum Nachbau seiner Marimba aus Glühbirnen oder des Zymo-Xyls, eines Xylophons aus Alk-Flaschen.

Partch, der sich auch immer mal wieder allein in die Wüste zurückzog und quasi als Kaktus lebte, war allerdings nicht bloß exzentrisch — auch in sogenannten ernsthaften Musik-Kreisen erfreut sich seine Musik wachsender Wertschätzung.

Für Waits wurde er zu einem Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit — und zum Beweis, daß man auch nach eigenen Regeln großartige Kunst machen konnte. Scheiß doch auf die Plattenindustrie!

Tom durfte Dutzende von Instrumenten besichtigen, war hingerissen („sowas faßt man ganz vorsichtig an — wie ein Saurier-Knöchelchen“) und versammelte auch auf seinem eigenen Album SWORDFISHTROM-BONES eine Reihe musikalischer Exotika (Schlaginstrumente aus Autoteilen, eine Glas-Harmonika .. .) Ein toter Avantgardist hatte Tom Waits ins Hier und Jetzt geschubst: Das war eine neue Dimension der Rockmusik.

Außerdem steht er auf Kathleen Brennan: klein, schlank, blond, hübsch und energisch. Ohne Drink in der Hand gibt sogar Tom Waits eine ganz passable Figur ab, als er leicht verwirrt seine europäischen Interviewpartner abschreitet und ausgestreckte Hände schüttelt.

Kathleen ist mittendrin und übernimmt das Vorstellen: „Tom, du erinnerst dich doch noch an diesen Herrn vom italienischen Fernsehen?“

Waits (hat keinen Schimmer):

„Hmm …Ich glaube nicht …“

„Aber klar kannst du dich erinnern!“

„Oh… ah… ja. Wie geht’s denn so?“ Er schüttelt die nächste Hand. Kathleen verschwindet derweil in der Ecke, telefoniert mit New York und macht da schonmal die Interviews klar. Sie ist ein kleiner Dynamo, Tom wirkt daneben abwesend, fast puppenhaft.

Und Mrs. Waits ist nicht bloß Managerin, sondern auch kreativer Motor: Die Hälfte von FRANKS WILD YEARS hat sie geschrieben; BIG TIME, das Album und der Film, war allein ihre Idee.

Nicht ganz so sicher ist er, was er überhaupt von Konzertfilmen halten soll. „Ich habe nicht viele gesehen. Dylans .Don’t Look Back‘ hat mir ganz gut gefallen, aber das war was völlig anderes, eher dokumentarisch. Wozu sind Konzertfilme gut? Um Leute an einen Abend zu erinnern, bei dem sie nicht dabeiwaren? Oft kriegt man doch nur den Geist dessen, was war — ohne Herz und Lunge.“

„Big Time“ jedoch gefällt ihm und seiner Frau. Und deren Urteil vertraut er. „Sie hat mich aus dem alten Trott geholt und mir gezeigt, was für Scheuklappen ich vorher hatte. Als ich sie traf, habe ich den Hut abgenommen … und dann den ganzen Kopf. „

Er überlegt einen Moment, ob das jetzt zu sentimental geklungen hat. „Sie hat mir viel beigebracht …“

Zum Beispiel?

„Sachen aus der Physik und der Botanik. Und Make-up-Geheimnisse. Rachmaninoff und Zigeunermusik, solche Sachen. Siehatmich völlig neue Möglichkeiten erkennen lassen. „

Nach „Big Time“ fragt man sich einmal mehr, ob Waits nicht gänzlich ins Schauspiel-Fach wechseln sollte. Er sieht das nicht so: “ Wenn ich den Eindruck mache, als würde mir das alles ganz leicht fallen: prima! In Wirklichkeit ist es ungefähr so leicht, wie eine Pistolenkugel mit den Zähnen zu fangen. In einem völlig imaginären Umfeld mußt du versuchen, echt zu wirken. Ich glaube, Kinder und Geisteskranke verstehen mehr vom Schauspielern.“

Waits handverlesene Band ausgedrehter Musiker folgte ihm allerdings nur widerstrebend in die Welt des Celluloid. Mitten in der Arbeit an „Big Time“ kam es zum großen Showdown zwischen dem Boß und seinen Revolvermännern.

„Sie, äh, streikten. Schau, ich wollte, daß jeder einen Fez trägt …“

Und sie wollten nicht?

„Nee. Klare Absagen an der Fez-Front. „

Zuguterletzt opferte sich der Akkordeon- und Sitar-Spieler Willy Schwarz für die Band und setzte den verhaßten Blumenpott auf.

„Aber dann wollte sich (Bassist) Greg Cohen keinen dünnen Schnäuzer wachsen lassen …“

Trotzdem gab’s ein Happy End:

„Später hat er sich bei mir bedankt. Seine Frau ist total auf den Bart abgefahren. „