Tori Amos über Intuition


Tori experimentiert längst nicht mehr mit Drogen. Trotzdem erhält sie noch regelmäßig Besuch von der Muse mit dem Tomahawk. „Ich bin ja nicht so außergewöhnlich, daß ich mir das alles selbst ausdenken könnte", verrät sie.

„Der Intellekt hat auf dem Weg der Entdeckung wenig zu tun“, stellte Albert Einstein fest. „Es tritt ein Bewußtseinssprung ein – nennen Sie es Intuition oder wie immer Sie wollen -, und die Lösung fällt lhnen zu, und Sie wissen nicht, wie und warum.“

Auch Tori Amos, eine der mutigsten und interessantesten Künstlerinnen unserer Zeit, läßt sich in ihrem Studio in Cornwall von ihrer Eingebung leiten, wenn sie ihre eigenwilligen Songs erarbeitet. Da dieserTage überraschend ein neues Album erschien (THE BEEKEEPER), baten wir die Amerikanerin, die, wie sie selbst sagt, als Tochter einer Halbindianerin und eines Methodistenpfarrers „mit der Friedenspfeife in einer Hand und dem Kreuz in der anderen“ aufgewachsen ist, um ein Gespräch über das Geheimnis der Intuition.

Nach dem Kraftakt SCARLETT’S WALK hast du uns erzählt, daß du völlig leer bist. Niemand hat so bald mit einem neuen Album gerechnet…

TORI AMOS (überlegt lange): Seltsam, wie man als Komponist sagen kann: „Ich fühle mich leer und ausgebrannt von dem Prozeß“, obwohl der Prozeß nicht leer und ausgebrannt ist. Der existiert einfach weiter. Und wenn er wieder in Gang kommt, hat er nicht neun Monate Pause in der Wüste gebraucht, um die Batterien wieder aufzuladen, (lacht) Der Prozeß ist immer möglich, aber er besucht nicht nur mich. Ich kann der Muse nichts vorschreiben. Das ist eine unabhängige Kraft – oder ein Wesen, wie auch immer man „es“ bezeichnen will. Beginnt das Komponieren mit Intuition?

Ja – mit etwas Unbeschreiblichem: In meinem Kopf ist es still – ich sitze da und versuche meiner Tochter Tash an ihrer Magnetwand das Alphabet beizubringen. Plötzlich kommt es durch die Türe. Und ich höre: (singt) „Thought I had a witness.“ Das ist anders, als wenn jemand im Flur singt, – man weiß sofort, daß es die Muse ist, wenn sie einen besucht. Diese Eingebungen kommen aus heiterem Himmel?

Wenn ich das Menschen erzählen würde, die sehr gradlinig denken, würden die sicher sagen: „Sperrt sie ein.“ Stell dir vor, ich würde versuchen, dem Kabinett von Bush zu erklären, warum man dies und das nicht in der zweiten Strophe machen kann, weil die Muse mit einem fuckin’Tomahawk neben mir stehtund jeden spaltet, der noch einen siebten Akkord in den vierten Takt packen will!

Das käme denen sicher spanisch vor.

Die würden denken, daß ich Stimmen höre. Weil man das nicht unter ein Mikroskop stecken und beweisen kann. Die Kongreßabgeordneten, für die ich als Teenager in Bars in Washington gespielt habe, hätten das einfach nicht akzeptiert. Sogar in London ist das noch schwierig – da kommen die Leute dann sofort mit dem New-Age-Klischee: „Ah,das ist „Channeling!“ Da würde ich ihnen gerne eine runterhauen und sagen: „Das war auch ‚gechannelt‘, Motherfucker!“ Weil das für mich etwas anderes bedeutet.

Du lebst in einem Dorf in Südengland. Ist es da anders ?

Die Menschen in Cornwall verstehen das. Und in Irland auch. Da gibt es Musiker… also ich spreche nicht von … (überlegt)

U2?

Nun, dazu kann ich nichts sagen. Wer weiß? Vielleicht ja auch die? Jedenfalls meine ich nicht „Fastfood-Musik“. Ich hab‘ ein Haus in Cork, und wenn ich einfach still durch die Stadt spaziere und in kleine Cafes gehe, dann sehe ich Musiker, die das Traditionelle mit dem Modernen verbinden und dabei eine Beziehung mit dem eingehen, das man nicht sehen und nicht erklären kann. Und wie bei den Indianern bekommt man auch dort keine Medikamente, damit das aufhört. Vielleicht bekommt man ein Medikament, um das Phänomen zu unterstützen. Aber es wird einem kein Arzneimittel verabreicht, weil man „ein Problem hat“, das nicht in die Gesellschaft paßt.

Dein Großvater gehörte zum Stamm der Cherokee. Ich hoffe, das ist kein schlimmes Klischee, – aber ist Intuition Bestandteil der indianischen Kultur?

Ja. Mein Großvater hat mir erzählt, daß er auf so eine Art Geschichten hören konnte. So war es ihm möglich, einen Teil der mündlich überlieferten Geschichte der Ost-Cherokee-lndianer zu bewahren. All ihre Songs, die Spiritualität, Riten und Zeremonien wurden durch das „Storytelling“ weitergegeben. Er hatte die Fähigkeit – oder die erforderliche DNS-Struktur -, sich da anzuschließen. Hof er dir beigebracht, wie man so empfänglich wird? Er hat mich unterrichtet. Ich hab‘ gemerkt, daß er diese Beziehung zur Natur hatte und die Geschichten der Erde und der Ahnen hören konnte. Aber ich mußte ihm gestehen, daß ich mich auf so eine Weise nicht öffnen konnte: „Paps, ich hab’einfach diese Gabe nicht“ Und er hat gesagt: „Vielleicht sieht es im Augenblick so aus. Ich glaube aber, daß du die Gabe hast. Sie wird sich nur anders zeigen.“ Kein Jahr später konnte ich ihm berichten, daß mich Songs besuchen – ich sie richtig sehen konnte. Nicht mit Armen und Beinen … Songs eben. Wie in einer Symphonie. Ich konnte die verschiedenen Teile hören – den Chor, die Congas…

Wie praktisch.

Ich glaube, daß jeder halbwegs begabte Musiker eine gute Platte in sich hat. Die Komponisten aber, die sich dauerhaft etablieren können und immer weiter schöpferisch tätig sind, richten sich nach der kreativen Kraft, sind Sklaven der Muse.

Das klingt bescheiden.

Weißt du, ich bin ja als Person nicht so außergewöhnlich, daß ich mir das alles selbst ausdenken könnte, was ich mache. Ob dir meine Musik gefällt oder nicht. Ich bin nicht total dumm, und ich lüge nicht, wenn ich behaupte, daß ich ein paar gute Eigenschaften habe. Ich hab‘ auch ein paar schlechte. Ich bin wie jede andere Frau, die versucht, sich im Leben durchzuschlagen und eine gute Mutter, Ehefrau und Freundin zu sein. Aber es gibt etwas, das mein Leben verändert hat: Ich konnte die Musik hören, die von einem anderen Ort zu mir kam.

Du hast vorhin Drogen erwähnt, die das Phänomen der Intuition unterstützen können. Wie kann man im Rausch zwischen einer Halluzination und einer wahrhaftigen Eingebung unterscheiden?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich finde, daß es schwer ist, den Unterschied zu erkennen. Das hängt davon ab, welche Reise du mit welcher Droge antrittst. Außerdem kommt es darauf an, ob du unterscheiden kannst, was dir dein eigenes Unterbewußtsein schickt und was du wirklich von außen empfängst.

Hat echte Intuition eine andere Qualität?

Für das intuitive Empfangen ist eine Feinheit charakteristisch, die ich erst erkannt habe, als ich älter geworden bin. Ich habe mir auch oft was vorgelogen, wenn ich auf so eine Reise gegangen bin. Das Experiment mit Drogen kann grauenvoll fehlschlagen. Es können sich aber auch Fenster öffnen. Es gab eine Zeit, in der ich mich oft in Frage stellen mußte – was höre ich da eigentlich? Inzwischen vertraue ich der Intuition. Was nicht bedeutet, daß man an den Eingebungen nicht noch arbeiten muß – manchmal erhalte ich nur eine Phrase, die zwei Takte lang ist. Das sind aber keine Halluzinationen, weil ich auf irgendwas „drauf bin“ – das mache ich ja nicht mehr.

Diese Phase ist abgeschlossen ?

Ich hab‘ das in meinen 20ern gemacht, und da hat es für mich auch gestimmt. Man muß behutsam vorgehen. Ich hab‘ mit jemandem studiert, der in Süd- und Mittelamerika war. Und ich konnte mich der Sache damals voll verschreiben – inklusive Fasten und der Vorbereitungen. Wenn du das zur Erholung machst, ist das etwas ganz anderes.

Wie „fertig“ kann dir ein Song intuitiv erscheinen?

(überlegt lange) Meistens erscheinen Soundbites vor meinem inneren Auge. Das ist die Normalität. Wie bei einer Welle, die anrollt: (singt) „I thought it was easter-time“ und das war’s.

Gibt es Songs auf deinen Alben, die fast keiner Arbeit mehr bedurften, weil die Eingebung so komplett war?

Hmm. Ja. „Garlands“, der Bonus-Track auf der DVD. Aber da hab‘ ich viel Arbeit in die Vorbereitung gesteckt, obwohl ich nicht wußte, worauf ich mich vorbereitete. Ich hab‘ mir Lithographien von Chagall angesehen. Irgendwann hat mich dann das Piano regelrecht angezogen … Der Song ist acht Minuten lang, und ich hab‘ ihn nur ein einziges Mal gespielt. Ich muß ihn jetzt erst wieder lernen. Der kam und verließ mich wieder. Das passiert nicht oft. Normalerweise einmal pro Album. „1000 Oceans“ ist ein anderes Beispiel.

Wie funktioniert der Arbeitsprozeß, nachdem du eine Intuition hattest?

Ich setze mich in das Studio in meiner Scheune und bringe meine musikalische Palette mit- verschiedene kleine Melodien und Phrasen, die ich gesammelt habe: aus Kunstbüchern, von Telefongesprächen, aus Unterhaltungen, die ich im Cafe mitgehört habe … Ich prüfe, was Qualität hat und was nur Blabla ist. Ich hab‘ ja Material mit viel Nonsens auf Band. Ich sitze nicht nur da und warte auf die Muse. Ich übe. Sonst ginge nie etwas voran. Ich nehme stundenlang spielerisch Sachen auf. All das wird Teil dieser musikalischen Palette. Man muß lernen, wo was zu finden ist: Tape 6, nach 25 Minuten – da ist der Teil, der zu dem anderen paßt. Es gibt also Strukturen, an denen ich viel gearbeitet habe. Und dann kommt diese metaphysische Qualität ins Spiel, die schwer erklärbar ist. Das muß vereint werden.

Vertraust du der Eingebung? Arbeitest du mit jedem Soundbite, das dir die Muse schickt?

Na ja, meine Intuition kann mir ja auch sagen, was gut ist und was Mist ist.

Die Muse schickt auch Mist?

(lacht) Ja. Ich denke schon. Oder ich höre es eben nur so. Ein Song ist ja eine Gemeinschaftsproduktion. Die Sachen kommen durch meinen Filter. Und ich werde in meiner musikalischen Sprache eine Eingebung anders ausdrücken, als wenn sie zum Beispiel John Mayer besucht. Eigentlich logisch, oder?

Kommt es vor, daß dich die Muse hängen läßt?

Manchmal hab‘ ich mich schon gefragt, was mit meinen Antennen los ist. Das Problem ist dann wohl meine Unfähigkeit, zuzuhören. Wenn mein Geist mitmeinen eigenen Problemen bewölkt ist, fange ich an, die auf alles zu projizieren. Es ist sehr schwer, ein klares Gefäß zu bleiben. Es gibt ein altes Sprichwort: Man füllt kein Wasser in ein dreckiges Glas. Manchmal muß ich mich also in eine metaphorische Spülmaschine stecken.

Tiere scheinen bessere Antennen zu haben. Vor dem Tsunami in Asien haben sie die Küsten verlassen. Man hat Elefanten beobachtet, die zu den Hügeln galoppiert sind. Es wurden kaum tote Tiere gefunden. Glaubst du, daß Menschen einst so präzise „Ahnungen“ hatten? Daß das zum Menschsein gehörte ?

Ja.

Hast du eine Theorie, warum das verloren ging?

Man kann sich als Lebewesen nicht so weit von der Erde absondern, bis sie keine Stimme mehr hat und nicht mehr gehört wird, und dann plötzlich sagen: „Mutter Erde, warum hast du uns nicht benachrichtigt? Bitch? Wo wir dich doch meistens ignorieren, wenn du nicht unseren Zwecken dienst?“ Der Menschheit als Masse geht es nur um Bedürfnisse. Es gibt aber Leute, die Kontakt zur Erde haben und nicht nur reden. Man muß gut zuhören und die Zeichen deuten können. Ein Teil des Planeten sein, nicht nur „Krone der Schöpfung“. Das Tierreich ist viel mehr mit der Pflanzenwelt und der terrafirma verbunden.

Welche Erfahrungen hast du mit deiner Tochter Natashya gemacht? Fällt es Kindern leichter, auf ihre Intuitionzuhören?

Wenn sie jung sind. Tash vertraut ihrer Umwelt. Wir wohnen draußen in Cornwall zwischen Bauernhöfen, wo es keine Straßenlaternen gibt. Sie fühlt sich sicher. Sie hat keine Angst.

Ist so ein Vertrauen angeboren?

Ja, aber es geht verloren. Es wird nicht in der Schule unterrichtet. Es muß gefördert werden. Sonst werden die Kinder „modernisiert“ und fallen wieder in diese „Wir haben die Kontrolle, wir sagen der Erde, was sie tun muß“-Falle.

Eine Einstellung, die den Indianern fremd war.

Du mußt im Internet unbedingt was über Sun Bear nachlesen. Er war ein Medizinmann, ist aber inzwischen gestorben. Er hat über die Veränderungen auf der Erde gesprochen und vor 20 Jahren schon gesagt, daß sich die Erde gegen uns wendet. Er hatte Träume davon. Ich hab‘ damals seine Aufzeichnungen gelesen und konnte es nicht nachvollziehen. Ich hab‘ mir gedacht, ja – keine Ahnung. Jetzt stecken wir mittendrin und kommen mit all den Katastrophen nicht mehr hinterher. Man fragt sich, was noch passieren muß, bis man in der Politik wieder auf die Erde hört…

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