Tubes – Kuchen statt Brötchen


„Wir wollen nicht mehr clevere Songs schreiben“, ereifert sich Fee Waybill, „Songs, die so witzig sind, daß sie im Radio höchstens dreimalgespielt werden. Zum ersten Mal haben wir eine Plattenfirma, die voll hinter uns steht, zum ersten Mal haben wir ein Album wirklich professionell durchgezogen – und zum ersten Mal machen wir die Show, die wir uns schon immer vorgestellt hatten: Keine Kompromisse, keine Papp-Kulissen, keine zweite Wahl. Stattdessen die ‚big show‘ mit Tänzerinnen und allem Drum und Dran! Von den lauwarmen Dingern haben wir die Nase voll.“

Diese Jungs“, bekräftigt der Manager, „haben zehn Jahre lang kleine Brötchen gebacken. Es ist ihr verdammtes Recht, nun auch ein Stück von dem Kuchen abzubekommen.“

Die Tubes 1981. Aus einem Haufen chaotischer Multi-Media-Manicas ist eine erfolgsorientierte Showtruppe geworden. Aus den bizarren Parodien auf den „american way of life“ unterhaltsame Variete-Nummern. Schienen ihre Phantasien früher aus den Reagenzgläsern kalifornischer LSD-Manufakturen zu blubbern, so kommen sie heute eher aus den Chart-Notierungen des „Billboard“ und ähnlicher Industrie-Bibeln.

Dabei hat sich auf den ersten Blick gar nicht so viel verändert. Die visuelle Umsetzung einer Songidee gelingt den Tubes nach wie vor mit routiniertem Witz. In „Power Tools“ agieren sie als gestylte Geschäftsleute im grauen Anzug, in „Sportsfan“ demonstriert Fee Waybill das bizarre Arsenal des amerikanischen Sportfans, in „Mr. Hate“ schließlich mimt er einen maskierten Irren, der sich (aus dem Publikum) eine Geisel greift und bedrohlich mit der MG fuchtelt. Clever, intelligent, unterhaltsam. Im Vergleich zu ihrer ersten Deutschland-Tournee aber, (die auch heute noch bei Vielen in bester Erinnerung ist), wirken die neuen Nummern einfach zu brav und vordergründig.

Zugegeben: Vielleicht ist solche Kritik voreilig und ungerecht. Denn als die Tubes Ende April ihre neue Show im Studio des Bremer „Musikladens“ uraufführten, blies ihnen der Wind hart ins Gesicht. Die Bühne war zu klein, der technische Ablauf klappte noch nicht – und das erlesene Publikum aus Kritikern und Plattenfirmen-Anhang war wie gewöhnlich abgebrüht und apathisch. (Fee: „Du weißt von vornherein: Diese Leute machen keinen Finger krumm. Und du stehst oben auf der Bühne und bist am verhungern.“) Möglich, daß auf ihrer inzwischen abgeschlossenen Tournee die Sterne ein wenig günstiger standen.

Daß die Tubes aber neue – und kommerziellere – Ufer ansteuern, daraus macht auch Fee Waybill keinerlei Hehl. „Ich weiß noch: Als auf unserer ersten Platte erstmals das Wort ‚fuck‘ erschien, haben eine Menge großer Warenhäuser sich geweigert, diese Platte zu verkaufen. Als dann die zweite Platte kam, die völlig sauber war, ist keiner der Herren hergegangen und hat gesagt: ‚OK, diese Platte können wir verkaufen.‘ Stattdessen wurden wir weiter boykottiert. Und daraus zieht man natürlich Konsequenzen.

Hinzu kommt, daß unsere früheren Platten auch nicht so gut liefen, weil das Material doch teilweise zu sehr auf die visuelle Präsentation ausgerichtet war. Die neuen Songs hingegen stehen auf eigenen Beinen und sind einfach kommerzieller.

Der Schlüssel zu der neuen Platte ist David Foster. Er ist ein ausgekochter Profi und hat Sachen produziert wie Earth, Wind & Fire, die Brothers Johnson, Boz Scaggs, aber auch Dolly Parton und Burt Bacharach. Er ist ein gottverdammtes Genie, er hat uns geholfen, unsere Musik erstmals richtig zusammenzukriegen. Von ihm haben wir ganz elementare Sachen gelernt, z. B. wie man einen Song baut. Bei uns ging das früher immer wie Kraut und Rüben durcheinander. Er hat uns gleich am Anfang gesagt: Ihr habt ein paar großartige Songs, aber es muß noch daran gefeilt werden. Und abgesehen von dem vorhandenen Material, möchte ich mit euch noch einen wirklich kommerziellen Rocksong („Talk To Ya Later“) schreiben und ebenfalls eine Ballade („Don’t Want To Wait“). Ich glaube, daß wird euch helfen. Er hat da nicht lange rumgedruckst, sondern uns das klipp und klar ins Gesicht gesagt. Er hat die Tubes auf ein professionelles Niveau gebracht. Als wir nach Los Angeles kamen und ihn bei der Arbeit beobachteten, haben wir nur gedacht: Puh, hier wird in einer ganz anderen Liga gespielt. Wir dachten, wir wären Pros, dabei spielten wir bis jetzt nur in der Kreisklasse.

David Forster hat uns wirklich die Augen geöffnet. Zu Bill Spooner hat er beispielsweise gesagt: Bill, dein Gitarren-Sound bringt’s nicht. Entweder du machst da was dran, oder wir müssen einen anderen Gitarristen ins Studio holen. Und Spooner sagt: OK, du hast freie Hand, mach, was du für richtig hältst. Und David hat sich Spooners Anlage vorgenommen uns sie neu eingestellt. Ruckzuck. Phantastisch! Er hat einfach aus uns rausgeholt, was da neun oder zehn Jahre am Schlafen war. Mit einem Schlag waren wir eine brandneue Band.

Das neue Album ist eigentlich auch kein Konzeptalbum mehr wie noch REMOTE CONTROL. Es gibt keine storyline, wenn auch das Completion Backward Principle irgendwie durch jeden Song geht. Den Ausdruck Completion Backward Principle haben wir von einem Amerikaner namens Stanley Patterson, der in den 50er Jahren eine Platte gemacht hat, die große Konzerne als Training für ihre Vertreter kauften. Seine Theorie dreht sich um konzeptionelle Realisierung: Stell dir ein vollendetes Konzept plastisch vor – und laß dich auf dem Wege der Verwirklichung von dieser spontanen Vorstellung nicht abbringen! Geh‘ keine Kompromisse ein, sondern verfolge die ursprüngliche Idee bis ans Ziel.

Als wir diese Platte in die Hand bekamen, ist uns ein Licht aufgegangen, daß die Tubes eigentlich immer das Gleiche getan hatten – nur eben nicht mit letzter Konsequenz. Wir fingen auch mit einem visuellen Konzept an, aber auf dem Weg zur Verwirklichung haben wir uns immer ablenken lassen, haben Kompromisse gemacht und die ursprüngliche Idee verwässert. Diesmal haben wir uns gesagt: Komme was wolle, wir werden keinen Schritt von dem Ausgangspunkt abrücken. So und nicht anders! Zum Glück haben wir jetzt eine Plattenfirma, die da voll hintersteht und das Projekt finanziert – auch wenn sie sich ausrechnen können, daß sie ihr Geld vermutlich erst langfristig zurückbekommen. Trotzdem ging die Produktion weit über das Budget hinaus. Aber zum ersten Mal konnten wir es genau so machen, wie wir es immer machen wollten. Keiner hat gesagt: Das wird zu teuer, macht was Billigeres! Selbst wenn die Show ein totaler Flop würde, selbst wenn die Tubes daran kaputtgehen würden – wir können dann immer noch sagen: Einmal zumindest haben wir es richtig gemacht.“