TV Gaga


In seinem 20. Film, der denn auch gleich runde 20 Millionen Mark gekostet hat, beschäftigt sich Meister-Regisseur Federico Fellini mit einem Medium, das er ganz und gar nicht leiden kann: dem Fernsehen. Mit sichtlichem Vergnügen wirft Fellini böse Blicke hinter die Kulissen des TV-Betriebs und zieht dabei vor allem die gegenwärtige Werbung gründlich durch den Kakao. "Ginger und Fred" lief soeben als Eröffnungsfilm der diesjährigen Berliner Filmfestspiele in Deutschland an.

Als Führer in die total verrückte und völlig überdrehte (Fellinische) Fernsehwelt fungieren Giulietta Masina und Marcello Mastroianni alias Amelia Bonetti und Pippo Botticella alias Ginger und Fred. Fellini-Ehefrau und Oscar-Preisträgerin Masina („La Strada“) und Topstar Mastroianni (im Film künstlich gealtert) spielen ein Tingeltangel-Tanzpaar aus der Provinz.

Ihre Glanzzeit liegt lange zurück; nach 30 Jahren treffen sie sich jetzt wieder, um in einer weihnachtlichen TV-Unterhaltungs-Show noch einmal gemeinsam aufzutreten. Benannt haben sich Ginger und Fred natürlich nach berühmten Vorbildern: Virginia McMath und Frederick Austerlitz alias Ginger Rogers und Fred Astaire, dem Steptanz-Meisterpaar der Hollywood-Musicals aus den 30er und 40er Jahren.

Amelia und Pippo werden schon bei ihrer Ankunft in der großen Stadt mit riesigen, skurrilen Werbeplakaten konfrontiert (die Fellini selbst entworfen hat); aus dem Fernseher werden sie ständig mit absurden Werbespots bombardiert (die Fellini selbst gedreht hat). Im Fernsehstudio treffen die beiden auf seltsame Gestalten: eine Frau, die ihre Familie verlassen hat, weil sie sich in einen Außerirdischen verliebt hat; einen Hund, der winselt, seit der vorige Papst gestorben ist; einen schwebenden Mönch, einen verheirateten Priester —- undsoweiter.

In der Kantine sitzen lauter Doppelgänger berühmter Persönlichkeiten: Clark Gable und Ronald Reagan, Bette Davis und Marlene Dietrich, Pius XII. und Tarzan – undsoweiter. Im Labyrinth der Korridore drängeln sich Muskelmänner und Operndivas, Schimpansen und Schwimmerinnen, Rock-Stars und Journalisten. Pippo gerät beinahe in eine Schlägerei, als er einen mit Abzeichen behängten Mann darauf aufmerksam macht, daß ihm noch ein wichtiges fehlt: „das vergoldete Arschloch an der Nabelschnur. “ Pippo ist vom TV-Betrieb bald so angewidert, daß er den Zuschauern vor laufender Kamera erklären will, was für dumme Schafe sie doch sind. Doch dann fällt bei der Aufzeichnung seines Auftritts der Strom aus…

Federico Fellini, der den Zuschauer in seinen Filmen oft in eine mal traumhaft schöne, mal alptraumhaft bedrückende Kinowelt entführt, macht in „Ginger und Fred“ aus seiner Abneigung gegen die flimmernde Mattscheibe keinen Hehl. In Italien veröffentlichte er sogar ein Manifest mit dem Titel: „Dieses Fernsehen ist nicht wert, daß es überlebt. „

Dabei sollte „Ginger und Fred“ ursprünglich als Episode einer Fernsenreihe von fünf 50-Minuten-Filmen gedreht werden. Glücklicherweise fand der Produzent jedoch, Fellinis Drehbuch sei zu bedeutend, um es an den Bildschirm zu „verschleudern“.

Fellini über das Fernsehen:

„Es ist der Mitbewohner, mit dem die meisten von uns den größten Teil ihrer Freizeit verbringen. In Italien werden durchschnittlich fünf Stunden und 20 Minuten in der Gesellschaft des Bildschirms verbracht. So viel Zeit widmen die meisten von uns weder ihrer Frau noch ihrer Geliebten oder ihren Kindern. Wenn das Fernsehen die größte Show der Welt ist, so muß das, was sich hinter den Kulissen abspielt, mindestens ebenso unterhaltsam sein.“

Genau das ist „Ginger und Fred“: ein unterhaltendes, satirisches, grell-glitzerndes, hektisch-absurdes Panoptikum. Fellinis Fernsehstudio ist ein exemplarischer Ort, „ein Kondensat der Eitelkeiten, Dummheiten, Grausamkeiten unserer Gesellschaft“, wie der Meister selber sagt. Dazu bemühte Fellini rund 250 Schauspieler und Statisten. Es hat sich gelohnt: Dieser Kino-Spaziergang durch die Fernseh-Welt, der mit einem TV-Spot für „schlankmachende Spaghetti“ endet, macht rundum Spaß und Fellinis Phantasie alle Ehre.