Tyson


80er-Revival? Nein, in dieser High-NRG-Disco sind die 80er ja nie gestorben.

Zunächst sind da mal die gleichen 80er-Accessoires, mit denen seit Jahren, bald sogar seit Jahrzehnten, Videoclips durchironisiert werden: in Bodys gekleidete Damen mit Hairspray-Frisuren, dramatisches Posing hinter einem Drahtzaun, Lederjacken, E-Drums, Freeze-Frames und natürlich viel, viel Kunstnebel. Aber der Song, der hier vertont werden soll, der ist völlig ironiefreie 80s-High-NRG-Disco: „Out Of My Mind“ heißt die zweite Single aus Die On The Dancefloor, dem Debütalbum des Londoners Tyson, dem die 80s ziemlich ernst sind. „Wer macht schon 80er-Musik, die tatsächlich wie die 80er klingt?“, fragt er. Er habe das Album aufnehmen wollen, das seiner Meinung nach in den 80ern gefehlt habe. Und tatsächlich klingt die Platte, als wäre die Zeit 1989 stehen geblieben: Falsettgesang, Discofunk-Bassläufe, cheesy Sequenzer-Spuren, euphorische Gitarrensoli und komplett egale Texte über die Freude am Tanzen und die Schmerzen der Liebe. Das ist ganz viel Sylvester, das ist ganz viel Jimmy Somerville und das ist Giorgio Moroder, Ära „Reach Out“. Wie Hercules And Love Affair ohne die Lektionen der Indiekultur, wie Wolfram ohne die Liebelei mit Trash. Tyson weiß genau, was er da macht: Mit 17 Jahren unterschrieb er mit seiner damaligen R&B-Band Street Symphony seinen ersten Plattenvertrag – gleich mal beim Major Sony. Danach stand er mit seiner Folgeband, der Electro-Soul-Gruppe Unklejam, bei einem weiteren Riesen, Virgin, in Lohn und Brot. Glücklich war er mit beiden Projekten nicht. Nach seinem Ausstieg bei Unklejam und schlechten Erfahrungen mit Besserwissern aus der Industrie sei Musik für ihn „tot“ gewesen. Dann erkannte er, dass er es einfach allein machen muss. Mit Die On The Dancefloor habe er erstmals eine Vision komplett umsetzen können. Das Ergebnis ist ein Album, dem man sicherlich keinen Variationsreichtum bescheinigen kann, das aber, gerade im oder auf dem Weg zum Club, einen Riesenspaß macht – mit oder ohne Ironie im Grinsen.

CD im ME S. 19, Albumkritik ME 7/12

* Tysons Vater war jahrelang Mitglied der britischen Roots-Reggae-Band Misty In Roots, Lieblinge von DJ-Legende John Peel.

* Tyson trug bereits als kleines Kind Dreadlocks. In seinem sechsten Lebensjahr kam aber die Mutter mit der Schere und die Locken waren ab.

* Zu seinen Idolen zählen – tatsächlich! – Tina Turner und Millie Jackson, deren Cover zu ihrem Album Back To The S__t! jeder mal gegoogelt haben sollte.