Udo Lindenberg – Berlin, Schiller-Theater


Der Mann ist ein Phänomen. Seit ewigen Zeiten kommt dieser Mensch ohne Sauerstoff am Hirn aus und hat dort trotzdem noch kein Schimmel angesetzt. Im Gegenteil. Er ist fit wie ein Turnschuh und präsentiert sich im 15. Jahr seines Solo-Schaffens mit neuer LP und seiner „Feuerlandrevue“, obwohl die Kritik und die Avantgarde schon seit zehn Jahren beharrlich an ihm sägt. Udo Lindenberg ist sicherlich aus altem Eisen, gehört aber noch keineswegs auf den Schrotthaufen der Rockgeschichte. Also: Hut ab und gute Noten für eisernen Willen und Durchstehvermögen. Im Berliner Schiller-Theater hatte das millionenschwere Spektakel seine Premiere. Vorher heizte der Meister die Premierenstimmung durch öffentliche Proben und Generalproben psychologisch geschickt an. bis schließlich Tourneeleiter Fritz Rau die Spannung löste und seinen alten Kumpel in den heiligen Hallen ankündigte. Eine obskure Publikums-Mischung hatte sich zu dem Ereignis eingefunden. Pelzige Theatergänger, die kamen, damit sich ihr Abonnement trägt, dumpfe Lederlappen, denen Udos Nachname schon zu kompliziert ist. größere Gruppen kleinerer Mädchen in Trägerhemdehen auf der Suche nach Autogrammen, ein paar ehrlich echte Lindenberg-Fans von der IG Metall und jede Menge Leute von der Presse und der Branche, die ihre Freikarten absitzen wollten.

Fritz Rau bat die Gäste, das Rauchen gar nicht erst anzufangen, außerdem um Solidarität mit den Arbeitern in Schwachhausen, zu deren Gunsten während der Show eine Kollekte gereicht würde – und dann kam die Ouvertüre, wagneresk, wie es sich für Udo gehört.

Vorhang auf. Eine 10köpfige Bläsersektion trötete vor einer schlichten Kulisse aus Häuserfassaden auf dem hinteren Laufsteg zum Angriff. Fleißige Helfer stellten rechts auf der Bühne Udos Bett aus dem Hotel Interconti auf. in dem zur Freude der ersten Reihen drei netzstrümpfige Revuegirls zappelten. Das Panik Orchester (in bewährter Besetzung mit Steffi Stefan, Jean Jacques Kravetz. Wolfram Engels etc.) konzentrierte sich

mit der Big Band auf alle Swing-Nummern, und so konnte sich Wotan Wahnwitz beschwingt an der Angel auf die Bühne herablassen.

Der Entertainer im rotweißkleinkarierten Jacket und der schwarzen Lederhose sowie dem unvermeidlichen Schattenspender über den dünnen Haaren dirigierte sich ein – und es begann die Honky Tonk Show, vor der uns unsere Großmütter immer gewarnt hatten. Udo begrüßte die Gäste und freute sich, daß sich so eine ehrwürdige Institution wie das Theater nun auch für Rock ’n‘ Roll-Sachen öffnet.

Es war wohl eher umgekehrt gemeint: Udo Lindenberg-Sachen sind endgültig theaterwürdig, d. h. Rock’n’Roll ist nicht mehr ein musikalischer Gegenschlag zu einer eingeschlafenen Kulturgesellschaft, sondern Revue für Onkels und Tanten, Omas und Opas, Kids und Kegel. Udo Lindenberg bedient bekanntlich drei Generationen, von denen mindestens zwei beim Applaudieren sitzen wollen.

Tatsächlich erinnerte Lindenbergs Revue teilweise an die Shows, zu denen man in der DDR der 50er Jahre zwangsverpflichtet wurde. Nur liefen heute die Go-Go-Girls mit größeren Maschen rum.

Der erste Show-Teil war der Rock-Block – und obwohl die Band niemanden mehr in Panik versetzen wird, zeigte sie mit Routine und Handwerk, was Sache ist.

In jedem seiner Lieder hat Udo immer noch was zu sagen, auch wenn die Sprache mittlerweile altdeutsch klingt und Nachrichten und Meinungen aus seinem Munde schon in den ersten Rängen verblassen.

Seine Liebeslieder sind am schönsten; auch in dieser Revue zeigte er sich ausgiebig von seiner traurig-trotzigen Seite und schwelgte in grinsender Melancholie. Alte „Hoch im Norden“-Harmonien, neuerdings wieder verstärkt eingesetzt, kommen den neuen Songs zugute.

Lindenbergs Liebeslieder enden gerne im Orkan. Diesmal endete es fast im kollektiven Orgasmus, als die Gäste des Schiller-Theaters mit ihren begehrlichen Blicken den Laufsteg stürmten, um den anzüglichen Tanz einer halbnackten Schönheit einzusaugen.

Nach diesen scharfen Nummern schwebte der Geist von HERMINE aufs Parkett und Udo in seiner augenblicklich besten Rolle: als von Armani-Verschalter Karl Valentin. Im Frack und ohne Hut, dafür mit Fett im Haar und in der Stimme. Mit seiner Huldigung an Idole wie Friedrich Hollaender. Erich Kästner, Bert Brecht und Hanns Eissler und der dekadenten Lebenslust der 20er und 30er Jahre in Berlin gelang Udo ein kleines Stückchen Kunst, süffisant und augenzwinkernd. Selbstironisch steppte er sich dann auch in den Boden.

Nicht ganz so lustig geriet das Duo mit der von Udo im Vorfeld so enthusiastisch angekündigten Nachwuchsröhre Lina Vox. Trotz Vokal-Artistik und Gesangsvolumen (seitens der Dame) waren die Mißtöne unüberhörbar.

Die eigentlichen Gags der Revue waren klein, hießen Lukas und Kiran und waren 11 bzw. 13 Jahre jung. Von Udo als seine Panik-Söhne aus Sizilien angekündigt, fetzten die blondsträhnigen Jünglinge mit Baß und Gitarre auf die Bühne und zersägten zur Freude des Publikums bekannte Lindenberg-Arien und AC/DC-Klassiker. Besonders Lukas rasierte mit erstaunlich voluminösem Reibeisen-Organ die nikotinfreie Luft und empfahl sich auf dem „Highway To Hell“ als echtes Talent.

Anschließend feuerte ein überdimensionaler Pariser Konfetti auf die Bühne, während Udo über den bekannten Virus reimte. Und auch der Sonderzug glitt wieder nach Pankow, obwohl Honey ja nun ziemlichen Mist gebaut habe, wie Lindenberg versicherte.

Zum „Goodbye Johnny“ kamen alle fuffzig Mitwirkende noch einmal auf die Bühne, winkten die Revue-Girls mit ihren benetzten Beinen, bedankte sich Udo in einer Zugabe mit Freddies „Junge komm bald wieder“.

Fazit: Die Feuerland-Revue ist ’ne abwechslungsreiche, atemlose Party, die man auch im Sitzen genießen kann.