Van Morrison


Der Ruf des verschlossenen Schweigers geht ihm voraus. Am liebsten läßt Morrison nur seine Musik reden. Und gibt er dann doch einmal ein Interview, endet es meist mit Mißtönen. Diesmal aber war es anders: In einem langen Gespräch mit Steve Lake erörtert der schwierige Ire die Stationen eines 20jährigen Lebens für die Musik vor allem aber seine Befremdung angesichts der gegenwärtigen Pop-Szene.

ME/Sounds: Auf der Live-Version von „Summertime in England“ erwähnst du eine Menge literarischer Größen, u.a. Coleridge, Wordsworth, Joyce, Yeats, T.S. Eliot, Christopher Isherwood, Beckett. Sicher nicht unbedingt das Futter, aus dem die Hitparaden gemacht sind. Möchtest du das Publikum auf diese Schriftsteller aufmerksam machen?

Van Morrison: „Ich möchte mit meinen Songs nicht Empfehlungen geben. Sie entstehen aus dem, was mich im Moment gerade inspiriert. Mehr hab‘ ich damit nicht am Hut. Es ist allerdings sicher nicht verkehrt, die Leute auf musikalische Alternativen anzuturnen, sie für ein paar Minuten vom Mainstream-Pop abzulenken.“

ME/Sounds: Machst du dir überhaupt noch Gedanken über die Kommunikation mit dem Publikum, wenn du bei einem Konzert Themen ansprichst, die offensichtlich einen großen Teil des Publikums überfordern ?

Van Morrison: „Hmmm… (Pause) … Es ist schwierig, die momentane Grundstimmung in der sogenannten Rock n‘ Roll-Szene zu beschreiben. Wir haben das gegenwärtige Stadium erreicht, aber wie geht es nun weiter? Das ist nicht so einfach.“

ME/Sounds: Dieses Thema ist wohl vor allem in einer Zeit von Bedeutung, in der sich die Rockmusik wieder einmal in eine Sackgasse zu entwickeln scheint. Mir gefällt es deshalb, daß du auf andere Formen der Kunst aufmerksam machst, die wiederum völlig neue Gebiete eröffnen und so alles etwas auflockern können…

Van Morrison: „Ja, ja – genau das denke ich auch. Popmusik wird einfach immer stupider, wird Massenverdummung. Es wird immer mehr sinnlos produziert und ich frage mich ernsthaft, wo ich meinen Platz in all dem habe. Ich bin durch die Sechziger und Siebziger gegangen und jetzt durch die Achtziger, betrachte mir das Ganze mit etwas Abstand und frage mich, wo ich in diesem Umfeld stehe. Alles hat sich völlig verändert…“

ME/Sounds: Vertrittst du den Standpunkt, ein Song sei nicht perfekt, solange er nicht vor einem Publikum gespielt wird… daß er ohne ein gewisses Feedback nicht wirklich lebendig ist?

Van Morrison: „Habe ich mal. Aber jetzt nicht mehr, weil ich eigentlich nicht weiß, wer mein Publikum ist. Als ich anfing, waren die Leute in meinem Alter, machten dasselbe wie ich. Zum jetzigen Zeitpunkt aber ist mir nicht mehr klar, mit wem ich es überhaupt zu tun habe! Ich denke, mein Publikum ist ziemlich bunt gemischt. Jedenfalls glaube ich nicht, daß sich meine Musik irgendeinem momentanen Trend zuordnen läßt.“

ME/Sounds: Fühlst du dich dadurch eher frei und unbelastet oder doch etwas ausgestoßen und verloren?

Van Morrison: „Sowohl als auch.“

ME/Sounds: Bei jedem deiner Gigs, die ich bisher gesehen habe, schien dich das Publikum sehr zu verehren, geradezu zu vergöttern. Wäre es dir lieber, sie würden dich durch eine etwas kritischere Brille betrachten?

Van Morrison: (Grinst) „Das wäre wirklich einmal interessant. Ich würde mich gerne mit dem Publikum darüber unterhalten, was tatsächlich in ihren Köpfen vorgeht. Aber das ist bei einem Konzert nun einmal kaum machbar.“

ME/Sounds: Die Inhalte deiner neueren Songs sind sehr abgehoben und esoterisch – gemessen an den üblichen Normen der Rockmusik. „Rave On. John Donne“ z.B.. das Bezug auf die Theosophie nimmt, oder „Dweller On The Threshold“ behandeln Themen, die vom Mainstream-Rock Lichtjahre entfernt sind.

Van Morrison: „Ja, ich würde auch gerne in diesem Themenkreis weiterarbeiten. aber das Problem besteht darin, wie man sich damit im Rock-Geschäft präsentiert wie durchbricht man altbewährte Strukturen, festgefahrene Systeme?“

ME/Sounds: Darf ich fragen, ob du noch Mitglied der amerikanischen Kirche/Sekte „Scientology“ von L. Ron Hubbard bist?

Van Morrison: „Ich habe mich eine ganze Weile nicht mehr damit beschäftigt: es hat mich zu viel Zeit gekostet. Scientology hat durchaus gute Seiten, aber ich konnte mich nichts anderem mehr widmen. Außerdem war ich an einer Art totem Punkt angelangt, wo es nicht mehr weiterzugehen schien.“

ME/Sounds: Die Presse hat deine Sympathien für Scientology bereits weidlich ausgeschlachtet. Die „Rolling Stone Encyclopedia Of Rock And Roll“ etwa macht sich lustig darüber, daß du auf der Hülle von INARTICULATE SPEECH OF THE HEART deine „Thanks To L. Ron Hubbard“ vermerkst.

Van Morrison: „Ist das dein Ernst? Als ich mich einmal gerade besonders gut fühlte, dachte ich mir: ‚Das schreib‘ ich einfach auf das Album.‘ Ich hätte nie damit gerechnet, daß es solche Wellen schlagen würde.“

ME/Sounds: Hatte dich nicht Robin Williamson auf Scientology aufmerksam gemacht? (Williamson, ehemals Mitglied der Incredible String Band, war einer der frühesten Verfechter Hubbards‘ Ideen in der Rock-Szene und später auch auf Vans Album INTO THE MUSIC als Musiker vertreten. – SL).

Van Morrison: „Nein, ich kannte Robin bereits seit einigen Jahren und wußte, daß er Scientology machte, aber er sprach nie viel darüber. Ein anderer Typ, Nicky Hopkins, (der berühmte Session-Pianist und Ex-Mitglied von Quicksilver, den Stones und der Jeff Beck Group), erzählte mir viel darüber und schickte mir Material. So fing ich an. Ich hatte bereits einige Bücher gelesen und dachte: ,Na, das klingt interessant, wie kann ich mehr darüber herausfinden?‘ Der Hauptgrund war, daß ich Erfahrungen gemacht hatte, die ich nirgends einordnen konnte – spirituelle Erfahrungen, wenn man so will. Und ich wollte etwas finden, das mir helfen würde, sie richtig einzuschätzen, ihnen auf den Grund zu gehen. Ich lebte wie jeder Mensch – meist auf einer ganz normalen Bewußtseinsebene, aber manchmal fand ich mich in Bewußtseinszuständen wieder, mit denen ich nichts anfangen konnte. Da dachte ich: Na ja, vielleicht hilft mir das, rauszufinden. was sie zu bedeuten haben.“

ME/Sounds: Warst du dann also doch der Meinung, eine bestimmte Religionsform sei den anderen überlegen? Denn in deinem Song „Vanlose Stairway“ singst du: „Bring me your bible/Bring me your bhagavad-gita“ – und die Aussage läuft eigentlich darauf hinaus, daß alle Pfade zur „Erleuchtung“ gleich seien.

Van Morrison: „Ich studiere alle Religionen. Ich betrachte das alles aus einer mehr philosophischen Perspektive. Und die Philosophen behaupten nun einmal, daß alle Religionen letztendlich dasselbe meinen; Hinduismus und Christentum praktisch die gleiche Basis haben und in dem übereinstimmen, was sie uns vermitteln wollen. In besagtem Song sprach ich eben über die Gemeinsamkeiten dieser Glaubensformen. Glaubst du, daß die Leser sich überhaupt für diese Themen interessieren?“

ME/Sounds: Schwer zu sagen. Interessiert dich eigentlich der Eindruck, den die Leser von dir bekommen? Im Laufe der Jahre ist so viel über dich geschrieben worden, was dich als launischen, introvertierten, schwer zu interviewenden Menschen abstempelt …

Van Morrison: „Ja, das ist richtig. Das Problem besteht nur darin, daß dieses Image unglaublich alt ist und immer noch für bare Münze genommen wird. Als das erste Mal solche Sachen über mich geschrieben wurden, war es eigentlich ein Publicity-Gag. Ich meine jetzt die graue Vorzeit, die Ära der britischen R & B-Szene. Unsere Manager dachten damals, es sei eine gute Idee. Sie konnten einfach nicht sagen: ‚Das sind fünf anständige Knaben aus Belfast, die ihre Eltern heiß und innig lieben!‘ oder so was. (Lacht) Also mußten sie sich was ausdenken, das dem allgemeinen Trend entsprach, den die Dowliners Sect, die Pretty Things und die Rolling Stones damals verkörperten, eine Beschreibung, die dazu paßte. Es war wirklich eine Art Publicity-Gag. (Lacht vor sich hin) Aber es schien hängen zu bleiben – so wie alles, was in dieser Zeit passierte. Und fortan haftete mir dieses Image an, die ganzen Siebziger hindurch. Sicher, es gab eine Periode in der ich sehr zurückgezogen und eigenbrötlerisch war, in den späten Sechzigern, aber das ist ja nun wirklich lange her…

Doch dieses Image klebt an mir, ganz gleich was ich tue. Es ist völlig egal, wieviele Interviews ich gebe, die Leute beharren auf ihrer vorgefaßten Meinung. Deine Vergangenheit umgibt dich immer in der einen oder anderen Form – und das ist manchmal ganz schön lästig.“

ME/Sounds: Ich kann mir aber kaum vorstellen, daß du sehr viel Zeit darauf verschwendest, über dein „Image“ nachzudenken. Ich vermute, derartige Überlegungen bewegen sich weit unterhalb deines Niveaus…

Van Morrison: „So sehe ich das auch. Ich fühle mich in gewisser Weise fast wie ein Verräter. (Lacht) Ich bin Teil eines Systems, das ich nicht recht ernst nehmen kann. Ich kann den Rock-Zirkus einfach nicht ernst nehmen, aber ich muß mich bis zu einem bestimmten Grad daran beteiligen, weil man seine Musik ohne Vertrieb, die Medien, Tour-Promotion usw. nicht an die Öffentlichkeit bringen kann. Also mußt du bei diesem Spiel mitmachen.

Aber es stimmt: Ein großer Teil der gegenwärtigen Popmusik bewegt sich intellektuell und emotioneil auf einer sehr niederen Ebene. Entweder du begibst dich auch dorthin – oder aber du versuchst, dir selbst treu zu bleiben.“

ME/Sounds: Ist das heute schwieriger als in der Vergangenheit?

Van Morrison: „Ja, würde ich schon sagen. Die Achtziger sind komplizierter.“

ME/Sounds: Ich weiß nicht, ob du mir da zustimmen wirst, aber ich habe den Eindruck, als seist du so ziemlich der einzige Musiker aus den Sechzigern, dessen kreatives Potential nicht abgenommen hat. Wenn ich mir die Leute von damals anschaue, habe ich das dunkle Gefühl, als hätten sie echte Probleme. Die meisten passen sich doch mehr oder weniger erfolgreich gängigen Moden an. wogegen sich deine Musik kontinuierlich weiterzuentwickeln scheint.

Van Morrison (Das Kompliment bringt ihn sichtlich in Verlegenheit): „Nun. das ist nett von dir. Für mich ist es schwer, das selbst zu beurteilen. Ist aber dufte, daß du das so siehst. Freut mich wirklich. Ich hab‘ darüber eigentlich noch nicht nachgedacht. Ich glaube aber, daß eine Menge von den 60er-Leuten immer noch gute Musik machen.“

ME/Sounds: Vielleicht. Aber diejenigen, die nicht nur immer wieder ihre alten Kamellen aufwärmen, versuchen doch offensichtlich, ihr Material mit allem aufzumotzen, was gerade so läuft seien es nun elektronische Disco-Drums, eine Prise Reggae oder ein Hauch von New Wave. Deine musikalische Palette war von Anfang an so breit gefächert, daß eine Erweiterung nie notwendig schien.

Van Morrison (schaut betreten zu Boden): „Ah ja, verstehe. Hmmm. Ich glaube, du hast recht. Danke.“

ME/Sounds: Du hastz. B. zum Zeitpunkt von INTO THE MUSIC verstärkt Folk-Elemente benutzt.

Van Morrison: „Ja, das war ein Rückgriff auf Altbewährtes, um dann einen Schritt vorwärts zu gehen. Ich habe damals versucht, alles neu einzuschätzen, alles aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, habe auf der akustischen Gitarre den Sound der gesamten Band aufgebaut. Und ich glaube, momentan mach ich wieder dasselbe. Ich neige dazu, mich schnell eingeengt zu fühlen, wenn ich mit einer umfangreichen Band samt Bläsern und Chor zusammenspiele. Ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich sagen kann: ‚Laßt uns ohne großen Aufwand ein paar Songs spielen‘. Ich werde künftig einige halbakustische Sachen machen, während in den letzten Jahren die komplette Band bei jedem Song voll dabei war. Mittlerweile möchte ich hie und da wieder einen etwas intimeren Sound erreichen.“

ME/Sounds: Im Sommer 82 wurde viel darüber gemunkelt, daß du mit Konzerten endgültig Schluß machen wolltest. Kannst du dir vorstellen, wie diese Gerüchte entstanden ?

Van Morrison: „Ich glaube, das wurde verursacht durch meine Unzufriedenheit, durch das Gefühl, alles anders machen zu wollen. So geht es mir immer noch. Ich möchte alles neu anpacken. Was dabei herauskommen wird, weiß ich nocht nicht. Es fällt mir verdammt schwer, meine Rolle zu spielen und die Erwartungen zu erfüllen. Am Ende eines Tages habe ich immer mehr das Bedürfnis, alleine sein zu wollen. Ich empfinde es als zunehmend schwierig, auf der Bühne fast ein… Schauspieler sein zu müssen, verstehst du? Diesen inneren Konflikt habe ich schon öfters einmal angesprochen: und immer wird es so ausgelegt, als hätte ich endgültig die Nase voll.“

ME/Sounds: Welche Qualitäten braucht ein Musiker, um mit dir spielen zu können?

Van Morrison: „Letzlich wohl nur ein Verständnis dafür, was Musik wirklich bedeutet – und das bekommt man nicht von heute auf morgen. Jemand, der sich in Musik einfühlen und bis zu einem gewissen Grad identifizieren kann. Und nicht jemand, der nur denkt: ‚Schon wieder ein Gig!‘ Und eine gute Technik ist absolut notwendig. Manchmal muß man natürlich hier oder da Abstriche machen.“

ME/Sounds: Free Jazz-Pianist Cecil Taylor hat einmal gesagt, Sinn und Zweck der Musik sei es, die Musiker in einen Trance-Zustand zu versetzen…

Van Morrison: (Begeistert): „Absolut. Diese Erfahrung kenne ich nur zu gut.“

ME/Sounds: Andererseits gibt es auch Stimmen wie die des Musikexperten Andrew White, der sich einmal die Zeit genommen hat, um John Coltranes Saxophon-Soli zu analysieren. Er vertritt die Meinung, diese Musik sei so komplex und erfordere so viel Konzentration, daß eine intellektuelle Distanz zur Materie unerläßlich sei. In diesem Fall wäre also das Publikum emotionell mehr beteiligt als die Musiker…

Van Morrison: „Ich persönlich verspüre diese Distanz nicht. Ich fühle mich emotionell durchaus verbunden mit dem Publikum. Ob das nicht vielleicht eine Täuschung ist, steht auf einem anderen Blatt (lacht).“

ME/Sounds: Kann man eigentlich die gefühlsmäßige Spannung eines Songs bewußt aufbauen?

Van Morrison: „Ich habe herausgefunden, daß eine gewisse Struktur nötig ist, um diesen Effekt zu erreichen. Es ist schon ziemlich paradox: Du mußt einem relativ festgelegten Muster folgen, um Spontaneität zu erzeugen.“

ME/Sounds: Wenn du nun einen neuen Song deiner Band vorspielst, ist diese Struktur dann schon von dir festgelegt?

Van Morrison: „Grundsätzlich ja. Die Arrangements können sich dann aber durchaus noch ändern. Manchmal hab‘ ich schon sämtliche Parts beisammen, ein andermal für die Bläser beispielsweise noch gar nichts geschrieben – oder nur eine Linie, die sie dann selbst ausarbeiten.“

ME/Sounds: In einem alten „Rolling Stone“-Interview behauptest du, die Bedeutung einiger deiner Lyrics nicht zu kennen.

Van Morrison: „Nun, in einigen Fällen trifft das sicher zu. Rückblickend wird dann alles klar; man erkennt deutlich, woraus sie entstanden sind. Beim Schreiben schöpft man eben auch aus dem Unterbewußten. Laut C. G. Jung sind Schreiben und Träumen vergleichbare Prozesse. So geht es mir mit vielen meiner Songs: Manchmal taucht eine Zeile auf – und ich frage mich ernstlich, wo die wohl herkommen mag. Alles liegt im Unterbewußtsein verborgen.

Ich kann mich nicht einfach um neun Uhr ans Piano setzen und einen Song aus dem Ärmel schütteln – ich brauche eine Nachricht aus dem Unterbewußten (grinst) als Ansporn.

Die Literatur ist mittlerweile mehr denn je für mich zu einer Quelle neuer Ideen geworden. Ich habe schon immer viel gelesen, aber in letzter Zeit versuche ich bewußt, dort jene Bezugspunkte zu finden, die mir im Rock ’n -Roll fehlen. Rock hat keine Geschichte und existiert nur innerhalb seiner eigenen Grenzen. Diese Musik ist erst 25 Jahre alt – gemessen an der Weltgeschichte also nicht mal ein Baby.

So muß ich mich also in andere Gebiete begeben, um Maßstäbe für meine Arbeit zu finden. Ich setze meine Arbeit in Beziehung zu den Arbeiten diverser Schriftsteller. Ich muß einfach diesen Weg einschlagen, wenn ich mir die Pop-Videos im Fernsehen betrachte, frage ich mich wirklich (spöttisches Gelächter), was das alles noch soll.“

ME/Sounds: Hat dir die Technologie der achtziger Jahre überhaupt Vorteile gebracht? Machst du heute irgend etwas, das in den Sechzigern nicht möglich gewesen wäre?

Van Morrison: „Eigentlich nicht. Denn im Grunde nehme ich alles so auf wie früher. Nur der Zeitbegriff hat sich geändert: Als ich anfing, Platten zu machen, hat das ein paar Stunden gedauert. (Lacht) Jetzt steht mir ein größeres Budget zur Verfügung, ich kann mir mehr Zeit lassen und selbst produzieren. Was durchaus nützlich ist, denn diese Distanz macht mir die Entscheidung leichter, was ich wirklich veröffentlichen möchte.

Doch manchmal habe ich das Gefühl, als ob die Zeit gegen mich arbeiten würde. Denn wenn man die Möglichkeit hat, einen Song unendlich lange zu überarbeiten, besteht die Gefahr, daß man nicht mehr aufhören kann und sich mit nichts zufrieden gibt.“

ME/Sounds: Hat sich für deine künftige Musik schon eine bestimmte Richtung herauskristallisiert?

Van Morrison: „Nichts Konkretes. Ich glaube, da könnten sich einige Ansätze entwickeln, aber dazu braucht man Geld das leidige alte Problem. Es gibt einige Projekte, die mich interessieren, aber es hat keinen Sinn, schon vorher lang und breit darüber zu reden.

Ich würde einfach gerne ein bißchen an den altgedienten Systemen und Schemata rütteln, z. B. aus dem üblichen Album-Tour-Album-Tour-Rhythmus ausbrechen. Doch dazu wäre die Unterstützung einer Firma notwendig. Künstlerische Projekte kosten immer viel Geld – und das habe ich nicht.

Anderen Musikern geht es genauso, aber sie bleiben dabei, weil’s eben so gut läuft und einen bestimmten Lebensstil ermöglicht. (macht eine ratlose Geste) Aber ich weiß, daß ich das nicht mehr allzulange so machen kann. Ich habe es 20 Jahre lang versucht – und es geht einfach nicht mehr.

Es kommt nichts zurück außer einem Berg negativer Vibrations. Und beileibe nicht nur von den Geschäftsleuten, sondern auch von den Musikern selbst! Es herrscht eine tiefsitzende Apathie. Wir müssen einen Weg finden, sie zu überwinden – oder wir können die Musik völlig vergessen.“

ME/Sounds: Es ist allerorts bekannt, daß du für die Rock-Presse nicht allzuviel übrig hast. Glaubst du, ein Rock-Kritiker könnte irgendeine kreative Rolle spielen in dem von dir beschriebenen System?

Van Morrison: „Ja. ganz bestimmt. Diese Leute üben schließlich einen ungeheueren Einfluß aus und könnten gewichtige Veränderungen herbeiführen. Sie kontrollieren die Medien. Sie könnten uns durchaus einen Schritt weiterbringen. Aber die meisten von ihnen akzeptieren den Status Quo. Sie behalten ihren angenehmen Job, stellen keine Fragen und so bleibt alles beim Alten…

Es gibt wohl nicht viele wirkliche Künstler im Rock ’n‘ Roll-Geschäft. Einer von ihnen ist Van Morrison. In seinem Metier ist er so gut. daß er es gar nicht nötig hat, sich vor Journalisten zu beweisen. Er läßt lieber seine Musik für sich sprechen. So singt er in einem seiner Songs: „It aint why? why? why?/ It just is.“

Und doch läßt er etwa einmal im Jahr Reporter an sich heran, um den Anforderungen des Busineß gerecht zu werden. Es sind dies fast immer Begegnungen der heikleren Art, von denen die Journalisten mit eingezogenem Schwanz nach Hause laufen und sich darüber ergehen, wie sehr Van Morrison doch Interviews haßt. Ich hatte Glück. Die ersten Momente waren zwar ziemlich schwierig und ich hatte das Gefühl, als könne das Gespräch jeden Moment einschlafen. Aber als das Eis einmal gebrochen war, sprach er ziemlich offen über Themen, zu denen er sich bis dato in der Öffentlichkeit noch nicht geäußert hatte.

Obwohl wir uns fast 90 Minuten unterhielten (wovon ungefähr knapp die Hälfte hier abgedruckt ist), kann man Van Morrison nicht gerade als gesprächig bezeichnen. Seine Sätze sind wie kurze, abrupte Ausbrüche: sein Belfast-Akzent – gemildert durch lange Jahre in Amerika- schlägt nur durch, wenn er ungeduldig oder ärgerlich wird. Sein Gesichtsausdruck, meist düster und unnahbar, entspannt sich, als er einige Male wirklich lachen muß.